Liegend liebend bleiben

Der Raum, in dem gerade guter Sex stattgefunden hat, ist ein besonderer Raum. Er duftet anders und ist von einer sehr speziellen Energie erfüllt, die man eigentlich länger auskosten sollte. Doch was tut der Mensch? Er hat’s eilig, steht auf – und lüftet. Ein Plädoyer für mehr Langsamkeit und Muße in der Liebe.

Sex kann man riechen. Falsch eigentlich: Vor allem guten Sex kann man riechen. Er erfüllt jeden Raum mit dieser speziellen Form von Dampf und Ausdünstung, die so dicht ist, dass die Geruchsmoleküle fast greifbar werden. Sex sells, Sex smells, um – pardon – einen Anglizismus zu bemühen. Und so wird beinahe sichtbar, was in diesem Raum gerade geschehen ist – nicht nur: Die erotische Atmosphäre ließe sich über die Schäferstunde hinweg sogar ein wenig konservieren. Aber weil die Menschen so vernünftig sind, tun sie was? Sie öffnen das Fenster und lüften. Der Duftmix aus weiblichen und männlichen Körperflüssigkeiten, aus hormonell angereichertem Lustschweiß und Aus- wie Einatmen, wabert schwer beim Fenster hinaus. Und dann: Aus, vorbei, aufstehen, duschen, weitermachen. Schade. Denn würden die Protagonisten des stattgefundenen Exzesses ein wenig zuwarten, dem Geruch der Erotik nachspürend, würde es vielleicht zu einem hübschen da capo kommen. Was mich zu einem weiteren Gedanken führt: So eine Nummer geht oft viel zu rasch vorüber. Ja, Quickies haben ihre Berechtigung, sind oft einmal dringend nötig und ein herrliches Ventil, um Spannungen abzubauen. Aber wenn das erotische Fast-Food zum Programm wird: echt schade drum. Aber eine Zeiterscheinung. Selbst Menschen, die einander erst kurz kennen, also eigentlich so richtig gierig aufeinander wären, lassen sich nach dem Kommen kaum mehr treiben. Denn der Sex ist vielfach zur Terminsache geworden. Man tut’s, vollendet’s greift zu Kleenex, Tschik oder Smartphone, checkt erst die E-Mails, plauscht ein bissl und, wie gesagt, lüftet. Sorry, ich muss jetzt wieder, Baby. Selbst am Abend: Pfuh, deppert – ein paar Mails sollten noch rasch geschrieben werden. Darling, ich bin am Computer. Der Philosoph Jean Baudrillard hat schon früh dafür Worte gefunden: „Wir sind eine Kultur der ejaculatio praecox. Mehr und mehr verschwindet jede Verführung, jede Verführungssitte ... zugunsten eines naturalisierten sexuellen Imperativs.“ Dabei gibt es kaum etwas Reizvolleres, als sich in der Verführung des Danachs zu verlieren – liegen zu bleiben, um liebend zu bleiben. Wobei es gar nicht um das so oft eingeforderte Nachspiel geht. Motto: Streicheln Sie sie hier, verwöhnen Sie sie dort – mechanisch, Pflicht. Vielmehr geht es um das (Zu-)Lassen nach dem Tun. Ein Dahintreiben, träumend, fantasierend, einander nahe. Um diesen postorgasmischen Zustand, den der Schriftsteller und Philosoph Georges Bataille so wunderbar als „Absinken der Flut nach einem heftigen Sturm“ beschrieben hat. Herrlich. Nach dem Sex ist vor dem Sex. Heißt: Auch wenn’s vorbei ist, wäre einfach noch mehr drin, auch wenn er schon längst draußen ist: So satt, entspannt, entgrenzt und leer wie sich Menschen jetzt fühlen, so „wahr“ und echt könnten sie nun sein. Nicht nur, um weiteren Sex zu haben, sondern auch um miteinander zu reden, zu fantasieren, zu denken – von Dingen, die vom Alltag erschlagen werden und damit verloren gehen. Weil Sex auch etwas ist, das Menschen in ihrem Innersten erschüttert. Nach Bataille am besten „exzessiv und grenzerfahrend“. Lust bekommen?

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