Hüllen, los!

Treffen sich zwei. Zum ersten Mal. Nackt. Was irgendwie nach feuchtem Traum klingt, läuft derzeit im Reality-TV. In „Adam sucht Eva. Gestrandet im Paradies“ daten einander nackte Singles. Die daraus resultierende Frage: Worauf schauen Menschen zuerst, wenn sie Entblätterten begegnen? Das kommt auf die näheren Umstände an.

Ein bisserl künstlich echauffiert gibt sich der fernsehende Sofa-TV-Surfer, wenn er sich derzeit durch die Programme zappt und dann etwa in der TV-Show „Adam sucht Eva. Gestrandet im Paradies“ landet. Huch! Nackerte! Pfuh. Wer genauer hinsieht, wird allerdings feststellen, dass man genau nix sieht. Beziehungsweise nicht das, was an entblätterten Menschen primär spannend wäre. Von Erotik sowieso keine Spur. Wer’s jetzt noch nicht weiß, ein kurzes Update in Sachen Voyeurismus: In dem RTL-Format haben zwei Singles (Mann und Frau, naturgemäß) ein Insel-Date. Beide sind unangezogen, aber nicht zwingend ungezogen. Im Gegenteil. Der Hüllenlos-Spaß läuft vermutlich sittsamer ab, als es sich so mancher Trash-Fan mit Hang zur Augen-Onanie gewünscht hätte. Wobei sich hier durchaus die Frage stellt, wie viel Fake hinter und in solchen Fernsehsendungen steckt. Aber darum geht es hier jetzt gar nicht. Mir ist ja eher der Realitäts-Check ein Anliegen. Angenommen, Nackt-Dating würde zum Golden Standard der Dating-Kultur – worauf schauen die Menschen denn beim jeweils anderen Geschlecht? Gesetzt den Fall also, ich date ein Nackerpatzl, das ich noch nie zuvor gesehen habe: Mit welchen Blicken muss ich rechnen – und wohin wird mein Auge instinktiv wandern? Es ist zu vermuten, dass die Blicke erst einmal krampfhaft nicht dort wildern werden, wo sie eigentlich gerne würden. Contenance ist angesagt – nur net hinschauen! Und das ist auch eine Sinnfrage. Denn was sagt mir der Blick ins Gesicht eines männlichen Geschlechtsteils, das ich womöglich mit den Worten „Nett, dich kennenzulernen“ anagitiere. Außer Größe und Beschaffenheit wird mir der wahre Charakter seines Besitzers verborgen bleiben. Und schon gar nicht werde ich wissen, ob das, was an ihm hängt, beziehungstauglich ist. Im Gegenteil: Südlich der Gürtellinie befindet man sich in einem Umfeld, das mit den klassischen Parametern von Beziehungsfähigkeit (Häuslichkeit, Treue, Schwiegerelternaffinität) genau nichts zu tun hat. Abgesehen davon: Nichts ist peinlicher als eine Frau, die einem Mann auf den Schwanz starrt. Aber das Unterbewusstsein ist ja bekannt für seine Perfidie. Wozu übrigens eine Studie aus dem Jahr 2007 passt. Das für mich doch recht verblüffende Ergebnis des „Eye Trackings“ (dabei werden die Blicke mit Hilfe einer speziellen Kamera verfolgt): Frauen schauen – tata! – bei Männern zuerst auf den Penis. Während die Herren – ähem – offenbar das Gesicht ins Visier nehmen. Zu dieser – nun ja – „Erkenntnis“ kamen Forscher des Centers for Behavioral Neuroscience in Atlanta. Sie zeigten Männern und Frauen Nackt- und Sexfotos und beobachteten, welche Körperteile sich die Probanden als Erstes ansehen. Aber ehrlich: Es ist ein Riesenunterschied, ob ein paar Leute irgendwo in einem abgeschlossenen Kammerl sitzen und sich 100 Fotos von Frauen und Männern anschauen, oder da draußen sind – im wirklichen Leben mit wirklichen Titten, wirklichen Hintern und wirklichen Mannsbildern. Ich vermute ja, dass in nahezu jedem Menschen eine feine Dosis Schau-Lust schlummert. Gut so. Wozu Karl Kraus passt: „Das Sexuelle ist bloß die Subtraktion zweier Kräfte. Der Voyeur addiert drei.“

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