Heimlich, aber nicht still
ein guter Sex ohne Unlust“ lautet der Titel eines neuen Ratgebers der Sexualtherapeutin Beatrice Wagner. Ein Satz, der viele Paare entspannen wird. Aus 13 Jahren Sexkolumnenerfahrung und entsprechendem LeserInnenkontakt kann ich nämlich berichten: In Punkto „Nix mehr los“ ist ziemlich viel los. Wöchentlich erreichen mich Mails zum Thema „Er will nimmer so wie früher“ beziehungsweise „Sie will nimmer so wie früher“. Oder aber: „Wir beide wollen nimmer so wie früher“. Bienvenu, treten Sie ein in den Club der Langzeitliebe, der allerlei an All-inclusive-Leistungen bietet, aber in Sachen Erotik-Dauerwelle eher flau flutet.
Das hat gute Gründe: zu wenig „Fremde“, zu viel Vertrautheit. Viel Sicherheit, wenig Herzflattern. Zu viele Familienfeste, zu wenig Dinner for two. Sowie Fragen: Wer steht auf, wenn das Kind nachts schreit? Wer geht den Mist ausleeren? Warum muss deine Mutter schon wieder kommen? Oder: Hattest du nicht erst gerade gestern einen Migräneanfall? Und irgendwann, dann, bleibt man an einem Freitagabend lieber vor einem guten Fernsehkrimi hängen, statt sich mit dem Partner durch das Schlafzimmer zu turnen. Das ist jetzt nicht weiter schlimm – außer aber, die Libido-Nulllinie bleibt. Heikel wird’s, wenn der eine mehr will als die andere. Das sage ich bewusst so, denn es sind nach wie vor Frauen, die sexuell „nachlassen“. Ihr „System“ reagiert um vieles empfindsamer auf Störungen. Wenn das Setting nicht passt, geht beim Sex nix mehr. Apropos. Der Satz „Kein guter Sex ohne Unlust“ ist insoferne gut, als in den meisten Beziehungen der Tag kommt, wo das Wenig zu viel wird. Umgegangen wird damit unterschiedlich – manche suchen sich eine Affäre, andere versinken im resignativen „Kann man nix machen“-Modus und leben fortan wie Brüderlein & Schwesterlein. Oder aber: Man wacht auf und sagt endlich, was ist. Dass das Leben zu wertvoll ist, um es als geschlechtsloses Wesen zu verbringen. Meist ist das der Wendepunkt, das Schweigen hat ein Ende. Gut so, auch in einem anderen wichtigen Punkt: Es gibt nur wenige Beziehungen, in denen die Partner ihre sexuellen Fantasien beim Frühstück auf den Tisch knallen und sagen: So brauch’ ich das – und zwar dringend. Wagner schreibt in ihrem Buch: „Während öffentlich viel über Sex kommuniziert wird, sind zu Hause im Schlafzimmer auch die größten Draufgänger zu schüchtern und schamvoll, um offen über ihre ganz persönlichen Wünsche zu reden. Für eine erfüllende Sexualität ist aber genau das nötig.“ Ein Ziel könnte daher sein, endlich das zu sagen, was man sich über Jahre hinweg verkniffen hat. Häufig ist dieser „Wunsch“ aber so sehr verschüttet, dass er fast schon vergessen wurde. Da hilft ein Tool des bekannten deutschen Sexualtherapeuten Ulrich Clement. Es heißt ISS – das ideale sexuelle Szenario. Getrennt voneinander schreibt jeder für sich jene Szene(n) auf, die so richtig erregend und geil empfunden wird. Dabei soll auf Empfindungen geachtet werden, auf innere Bilder – im Idealfall entsteht ein neuer erotischer Raum. Schließlich reden die zwei darüber. Dann, irgendwann, betreten beide diesen Raum – und es passiert etwas, von dem sie und er bisher nur träumten. Soll bekanntlich Schlimmeres geben.
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