Genitale Unzufriedenheit
Ja, es soll Damen geben, die machen jetzt „Selfies“ ihrer Genitalien. Nicht, um sich damit zu exhibitionieren (etwa nach dem Motto. „Wenn Sie den Rest von mir näher kennenlernen wollen, schreiben Sie bitte ein Mail an Venusmuschel@hotmail.com“), sondern, um nachzuschauen. Nein. Falsch. Um zu prüfen, ob das, was sie auf der Digital-Version ihres Unterbaus sehen, auch wirklich gefällt. Oder – eher: nicht gefällt. Das wird – als Trend, der bereits vor einigen Jahren begann, in den USA zu grassieren – nun auch in Europa epidemisch. Wer den Begriff „Schamlippenverkleinerung“ googelt, landet sofort bei österreichischen Anbietern mit Sprüchen wie: „Endlich wieder wohlfühlen.“
Sorgten sich Frauen also bisher vor allem darum, ob ihre Schenkel zu dick und die Hüften zu fett sind, kommt nun eine weitere Dimension des Schönheits-Irrsinns dazu: der kritische Blick auf die Vulva. Und die damit verknüpfte Annahme, die Schamlippen könnten zu groß, zu lapprig, zu fleischig, zu asymmetrisch und auch sonst total floppen. Natürlich kann man sich als reife Frau an dieser Stelle an die Stirn tippen und müde fragen: „Seids deppert?“ Das würde wenig helfen, denn: Andere Zeiten, andere Auswüchse.
Es ist nämlich so, dass die jungen Damen da draußen mit falschen Bildern gefüttert werden. Die haben Macht. Vor allem Pornos – ob soft oder hart, ist wurscht – tragen zur Verirrung bei. Deren Protagonistinnen haben in der Tat Muschis, die aussehen, als hätte man das rosa Marzipan der Neujahrs-Schweinchen einer neuen Bestimmung zugeführt. Aber meist ist das kamerataugliche Souterrain das Ergebnis eines Revitalisierungsprozesses durch Chirurgenhand. Die meisten Stöhnpuppis haben operativ behübschte Geschlechtsteile. Außerdem gibt es Computerprogramme, mit deren Hilfe alles geglättet, verjüngt und abgesoftet wird.
Dennoch wird geglaubt, was man sieht. Mehr noch: Diese Bilder haben enormen Einfluss auf die Wahrnehmung der eigenen Genitalien, wie eine Studie an der australischen Queensland School of Psychology nun ergab. Viele, vor allem junge Frauen, sind überzeugt, dass das, was sie da an gefakten Bildern präsentiert bekommen, State of the Art ist. Und das, was sie selbst zwischen den Beinen wissen, nicht. Es gibt dafür bereits einen englischen Ausdruck: „Genital Dissatisfaction“, also: „genitale Unzufriedenheit“.
Möglich ist das auch, weil die meisten Frauen gar nicht wissen, wie gesunde Genitalien aussehen. Kinder lernen zwar irgendwann, dass es den Storch nicht, dafür aber einen Penis und eine Scheide gibt. Aber keiner erzählt ihnen, dass das, was eines Tages so an Bildern in ihre Köpfe projiziert wird, Schwachsinn und das Produkt von Irren ist. Und irgendwann landen sie in einem dieser Internet-Pornos und wünschen sich zur Matura neue Brüste und neue Schamlippen. Wer da draußen also eine Tochter hat, bitte! Bitte sagen Sie ihr, dass ihr „da unten“ gut ist, wie es ist. Sagen Sie ihr die ganze, schöne Wahrheit – über die Faszination „Natur“, über deren Unregelmäßigkeit und Individualität. Über das Anderssein und trotzdem Besonderssein. Symmetrie mag etwas Schönes sein, ist aber so selten wie ein Jackpot.
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