Liebeskurven
Iris Krasnow weiß genau, wovon sie schreibt: Die Autorin, Jahrgang 1954, ist immerhin Mutter von vier Söhnen. In ihrem neuen Buch "Sex after ..." – es ist in den USA soeben erschienen – schreibt sie, wie sich die weibliche Erotik und Sexualität im Laufe eines Lebens wandelt und verändert. Je nachdem, wie das Leben so spielt, entsteht eine individuelle Sex-Biografie. Wie sehr Erfahrungen die Libidokurve prägen, erfuhr sie in Interviews mit 150 Frauen – von der Kellnerin zum weiblichen CEO, von der 20- bis zur 88-Jährigen. Dadurch entstand ein buntes "Sex nach..."-Kaleidoskop – vom Sex nach der Geburt eines Kindes, von der Lustbaisse nach einer Scheidung oder der Menopause. Krasnow garniert das mit (mitunter banalen) Ratschlägen – etwa, dass jede gute Ehe auch halbwegs guten Sex impliziert.
Spannend finde ich den "Sex after"-Gedanken trotzdem. Denn zweifellos macht das Leben etwas mit der eigenen Erotik. Alles, was passiert, verändert (mitunter auch nur kurzfristig) die Sicht auf und den Umgang mit der Lust. Ganz am Anfang, wenn’s losgeht mit dem Sex, wenn wir experimentieren, probieren, neues Terrain erkunden, von Feld eins aus das sexuelle Ich wachküssen, da gibt es noch kein "danach", sondern erst einmal nur ein neu und gierig. Die Welt liegt uns lustvoll zu Füßen. Man atmet ein und nimmt, was kommt: das Experiment, die erste fixe, intime Beziehung, Affären, One Night Stands, Dates. Und eines Tages – Schnitt. Etwas endet, und die erste "Sex-after-Phase" beginnt. Zum Beispiel, wenn wir erkennen müssen, das erste Mal so richtig fies betrogen worden zu sein. Von einer Sekunde auf die andere verändert das die Tektonik des Begehrens. Sex wird erstmals mit Schmerz verbunden, gleichzeitig wird klar: Da geht jetzt nichts mehr, das ist – ja – das Ende. Finito, aus – nie mehr wieder! Der erste Sex nach sowas kann dann vieles sein: angstvoll, vorsichtig, verzweifelt. Oder – als kraftvoller Rache-Akt – einfach nur trotzig und wütend. Je nachdem, mit wem er stattfindet.
Das Leben und Lieben geht weiter – nächster Mann, nächste Orgasmen, nächste Erfahrung. Etwa das erste Kind – und der Sex danach. Ich behaupte, dass die Geburt eines Kindes das Liebesleben verändert wie sonst nichts. Dieses "anders" bezieht sich nicht nur auf den körperlichen Aspekt, sondern vor allem auf die Tatsache, dass sich eine dritte, unglaublich fordernde Kraft in den Raum zwischen Frau und Mann drängt. Das System wird neu definiert – der Fokus verlagert. Für die Frau ist Sex erst einmal so gut wie kein Thema – die naturgegebene Hingebung zum Neugeborenen ist so stark, dass fast nichts bleibt. Für den Mann an ihrer Seite eine Herausforderung – er muss teilen, den Platz in ihrem Herzen, ihrem Körper, ihre Aufmerksamkeit. Sex nach dem Baby wird in den ersten Monaten niemals so sein wie Sex vor dem Baby. Und selbst wenn sich alles wieder auf ein Normalniveau einpendelt – das Dritte ist da und will immer dann was, wenn Papi auch gerade etwas möchte.
Also wieder: Neuorientierung – neues Justieren. Das Gute daran: Intimität wird "geordneter", berechenbarer. Eine Zerreißprobe, ja, aber auch die Chance, auf neue Art zu lieben.
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