Blickfang

Sehr oft schauen die Menschen nicht, wenn sie Sex haben – sie haben die Augen zu. Das hat viele Gründe – manche beamen sich damit in ihr privates Pornokino, das die aktuellen Geschehnisse in einem anderen Licht erscheinen lässt. Andere können sich so besser auf die Lust fokussieren. Dabei ist Sex mit offenen Augen durchaus reizvoll.

Interessant ist, dass die kopulierenden Protagonisten von Pornos meist Sex mit offenen Augen haben. Das ist – wie so vieles aus den Rein-Raus-Filmchen – recht unrealistisch. Die meisten Menschen schließen während des Geschlechtsverkehrs die Augen. Das geschieht aus vielerlei Gründen. Böse Zungen mögen zwar behaupten, dass sich manche auf diese Weise den Partner schön vögeln, aber dieser „Cinderella“-Effekt trifft nur in den wenigsten Fällen zu. Vor allem Männer schauen aus pragmatischen Gründen weg – nämlich, um dem Schnellschuss zu entgehen, also länger durchzuhalten. Weil sich’s mit dem Prinzip „Augen zu und rein“ eben besser an die Wettitant’ denken lässt, deren Erscheinung meist ein probates Gegenmittel für die Ruckzuck-Ejakulation ist. Und sonst? Einer der Hauptgründe für den verweigerten Blickkontakt ist Unsicherheit. Lust entzieht sich im Optimalfall der Kontrolle – man entblättert sich, wird „durchschaubar“ und dadurch verletzlich. Das macht (unbewusst) Angst – daher besser: Augen zu, bei sich bleiben, entspannen oder aber: Kopfkino an. Womit wir bei Grund Numero 2 der Blickverweigerung wären: dem ganz persönlichen Privat-Channel, der mitunter mitlaufen muss, damit die Sache prickelt. Während der Mister seine Miss bumst, stellt er sich vor, dies nicht im Ambiente aus deutscher Eiche und Blumerlbettwäsche zu tun, sondern bei einer Leder & Latexorgie, umgeben von Nackerten, Körbchengröße D. Sie wiederum hat’s fein bei der Vorstellung, nicht der Erzeuger ihrer drei Kinder läge auf ihr, sondern – hm – der schnelle Aufriss aus einer grindigen Bar. So mancher braucht diesen „inneren Pornofilm“, um auf Touren zu kommen – Fantasie hat Macht. Und dann sind da noch die, die sagen: So kann ich mich einfach besser konzentrieren! Weil ein Orgasmus nicht nur auf der Fähigkeit beruht, völlig loszulassen, sondern ein Moment ist, in dem sich Energien fokussieren und bündeln. Manche Menschen brauchen dafür eben die Innenschau, um dran bleiben zu können, statt wegzuzappen. Sie denken sich in die Geilheit hinein. Vor allem Frauen sind extrem leicht ablenkbar – da liegt man und sieht: den fetten Pickel auf seiner Schulter, das Haar in der Suppe und dass an der Decke ein komischer Riss ist. Von dort geht’s weiter, oje: Der Riss erinnert daran, dass dringend ausgemalt gehört – und wer dann anfängt, die Maler-Kosten für 120 m² geistig durchzukalkulieren ...  tja, alles klar? Allerdings spricht einiges für offene Augen. Einer der leidenschaftlichsten Verfechter für den erotischen Blick-Fang ist der Psychologe David Schnarch. Er ist überzeugt, dass die Intimität, die entsteht, wenn zwei einander während des Akts in die Augen blicken, die Beziehung verändern kann. Weil sich beide aufeinander einlassen, sich offenbaren, echt und verletzlich zeigen. „Man sollte nicht nur die Haut des anderen berühren, sondern auch sein Wesen und seine Gefühle“, sagt er. Zudem „koordiniere“ das Anschauen die Leidenschaft – es entsteht ein gemeinsamer Rhythmus der Geilheit. Und der funktioniert mitunter ein bissl besser, wenn der Mann nicht auf den Hinterkopf der Geliebten starrt, während er a tergo herumturnt, sondern seiner Kleinen schön tief in die Augen schaut.

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