Zug um Zug

Zug um Zug
Babyface statt Pokerface: Der Titel als Schachweltmeister ist Magnus Carlsen nicht genug. Jetzt strebt der 23-jährige Norweger mit einer App auch die Vorherrschaft auf dem Computermarkt an.

Man nennt ihn elegant "Mozart des Schachs". So kreativ spielt er. Oder brutal "Boa constrictor des königlichen Spiels". So unerbittlich treibt er seine Gegner in die Enge. Magnus Carlsen, 23 Jahre alt und Norweger, ist seit Ende letzten Jahres Schach-Weltmeister, der jüngste aller Zeiten – und diese Sensation hält die Sportwelt nach wie vor in Atem. Trotz Sotschi, trotz bevorstehender Formel-1-Saison und trotz Fußball-WM. Magnus Carlsen brilliert als der neue Posterboy eines Jahrhunderte alten Brettspiels. Wortkarg gibt sich der vom Time-Magazin jüngst zu den "100 einflussreichsten Persönlichkeiten der Erde" gereihten Sportler nicht nur bei Turnieren, sondern auch bei Interviews. "Ich erkläre mich der Welt durch meine Züge", sagt der Skandinavier, der bereits jetzt in einem Atemzug mit den Größten seines Faches genannt wird – Bobby Fischer, Boris Spasski, Anatoli Karpow, Garri Kasparow oder Viswanathan Anand, der indische mehrfache Weltmeister, der von Carlsen vor vier Monaten in Rekordzeit entthront wurde.

Man glaubt es kaum: Magnus Carlsen spielt besser als Bobby Fischer, Spasski, Kasparow und all die anderen Stars des königlichen Spiels

Die Spielstärke des jungen Stars wird mit der im Schach alles zählenden Elo-Zahl einigermaßen erklärt. Ein Super-Großmeister ist man ab der Elo-Zahl 2700. Magnus Carlsen hat die Elo-Zahl 2881. Kein anderer Spieler stieß je in solche Sphären vor. Mit anderen Worten: Magnus Carlsen ist in seiner Disziplin so stark wie Sebastian Vettel UND Michael Schumacher in einer Person. Oder wie Franz Klammer UND Hermann Maier UND Marcel Hirscher. Der Junge mit dem Seitenscheitel, der Knollnase und den coolen (Foto-)Posen ist eine Sensation.Und er sorgt unablässig für Schlagzeilen. Erst ein paar Wochen ist es erst her, dass er in einer Live-TV-Show mit Microsoft-Gründer Bill Gates einen deklarierten Schach-Fan und so nebenbei der reichste Mensch der Welt binnen Sekunden am Brett entzauberte: Nach nur 62 Sekunden hieß es "Schachmatt".

Shows wie diese machen aus Magnus Carlsen längst selbst einen Star. Nicht nur weil er als Model für die niederländische Jeans- und Modemarke G-Star posiert. Seit er mit Liv Tyler gesichtet wurde, wird im Internet spekuliert, ob seine Lebensgeschichte bald verfilmt wird. Sogar von einer möglichen Besetzung ist die Rede – Justin Bieber.Zum Glück bleibt Magnus Carlsen bei all dem Trubel, mit dem er jetzt konfrontiert wird, noch genügend Zeit für sein Spiel. Mehr noch. Für unser Spiel. Denn er lässt uns Schachbanausen und -amateure daran teilhaben. "Ich verbrachte die letzten Monate damit, der Schach-Gemeinschaft etwas zurückzugeben", verlautbarte der Weltmeister vor zwei Wochen.

In Oslo stellte er etwas vor, das jedem Spieler auf die Sprünge helfen kann: die Computer-App "Play Magnus". Der Vorteil gegenüber anderen Schach-Apps: Verschiedene Level ermöglichen, gegen einen fünfjährigen Magnus anzutreten, gegen einen zwölfjährigen oder gegen den Super-Großmeister Carlsen. Hoffnungen auf einen (virtuellen) Sieg gegen den Weltmeister sollte man nicht hegen. Er setzte schon als Zweijähriger ein 50-teiliges Puzzle wie nix zusammen. Durchaus denkbar, dass sich Magnus durch "Play Magnus" unsterblich macht. Jeder Großmeister will das. So wie Ruy Lopez, der im 16. Jahrhundert lebende erste Superstar des Schachs. Seine Anfangszüge gingen als "Ruy Lopez" oder "Spanische Eröffnung" in die Geschichte ein. Komplizierter schon ist die Kombination "Plachuttas Durchschnittspunkt". Versierte Schachspieler werden sie kennen. Sie stammt von Josef Plachutta, dem Ur-Opa des bekannten Gastronomen aus Wien.

"Fähigkeiten im Kindesalter zu fördern, bringt vorhandenes Potenzial bzw. Talent stärker hervor. Spaß, Freude sowie das Vorleben des Umfeldes fördern das Interesse. Beispielsweise wenn die Eltern regelmäßig Schach spielen, ein Buch lesen oder ein Musikinstrument spielen und dabei Freude ausstrahlen. Ein Kind – aber genauso ein Erwachsener – will geistig gefordert werden. Dauerhafte Unter- und Überforderung lassen Interesse und Freude schwinden. Motivation wächst dann, wenn sich nach und nach kleine Erfolge einstellen. Erfolg ist hierbei sehr individuell zu sehen – je nachdem, welche Ambitionen verfolgt werden. Fokussiertes Denken ist eine grundlegende Voraussetzung, um Schach zu spielen. Die Achtsamkeit ist auf die Züge gerichtet. Durch diese gelenkte Aufmerksamkeit und durch viel Übung ist es möglich, sich die Fähigkeit, mehr und mehr Züge bildlich im Kopf vorstellen zu können, anzutrainieren. Zusammenhänge zu erkennen und Auswirkungen der einzelnen Spielfiguren erfassen zu können, sind dabei komplexe Denkaufgaben. Die Fertigkeit aus der Erfahrung vieler vergangener Spiele schöpfen zu können, unterscheidet weiters einen Hobby- von einem Profispieler. Magnus Carlsen zeigt seinen Siegeswillen. Der Beste sein zu wollen, dies auch zu kommunizieren und von sich selbst überzeugt zu sein, motiviert ihn und unterstützt seine Erfolge." www.diepsychologen-wien.at

Schach eine Randsportart? Stimmt so überhaupt nicht. Beim letzten Vienna Chess Open, der Internationalen Wiener Schachmeisterschaft 2013, saßen mehr als 700 Frauen und Männer aus 50 Nationen am Brett. Heuer werden es vermutlich weitaus mehr werden, denn schon bisher boomte das Interesse am Spiel auf den 64 Feldern, sobald – wie in den 1970er-Jahren – ein Jahrhunderttalent wie Bobby Fischer oder eben jetzt Magnus Carlsen auf sich aufmerksam macht. Dass ein Musiker wie Sting oder der Satiriker Werner Schneyder die ein oder andere passable Partie spielen, mag damit zu tun haben, dass Schach früher so populär war wie heute Computerspiele.

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