Rohvolution

Rohvolution
Der vegane Lebensstil ist noch gar nicht verdaut, hat die Welt schon am nächsten Nahrungstrend Geschmack gefunden. In Los Angeles gilt „Raw Food“ seit Jahren als gesund, zeitgemäß und schick. Bis es in Österreich so weit ist, wird es wohl noch dauern. Wer es aber schon versucht hat, bekommt Appetit auf mehr.

Jetzt wird’s kompliziert. Während sich Los Angeles längst im Heute befindet, ist Europa noch von gestern. Und all das hat nichts mit Zeitverschiebung zu tun, auch wenn in L. A. die Uhren definitiv anders ticken. Vor allem, wenn es um „Raw Food“ geht. Die Stadt an der Küste Kaliforniens hat sich in den vergangenen Jahren zur Hochburg einer neuen, trendigen Ernährungsform gemausert. Das erkennt man daran, dass es dort so viele Raw-Food-Restaurants wie McDonalds-Filialen hierzulande gibt – obwohl sich auch dort schon ein Veggie Burger im Angebot findet. Veggie wurde trendmäßig allerdings längst von vegan abgelöst. Und wahre Visionäre, zu denen Anni Zwerger gehört, ernähren sich überhaupt nur von Rohkost. Bei Zwerger geht es aber weniger um Trends, als viel mehr um das Auskosten eines neuen Lebensgefühls.

Vor zwölf Jahren rät ein Arzt der Gastronomin aufgrund ihres Arthritis-Leidens zu einer Ernährungsumstellung. Bei der Suche nach der richtigen Methode stößt sie auf ein amerikanisches Buch, in dem die Rede von „Raw Food“ war. „Und weil sich alles so logisch angehört hat, habe ich von heute auf morgen damit begonnen.“ Bis heute hat sie nicht mehr damit aufgehört. Denn schon nach wenigen Tagen fühlte sich die einstmals müde Mittvierzigerin frischer, fitter und jünger. Und als nach ein paar Wochen auch ihre gesundheitlichen Probleme verschwunden waren, beschloss Zwerger, der Rohkost treu zu bleiben. „Ich konnte plötzlich meine Arme wieder heben und war unendlich dankbar.“

Ausschlaggebend dafür war, dass Zwerger nur noch Speisen und Getränke zu sich nahm, die bei der Zubereitung oder während ihres Herstellungsprozesses nie über 42 Grad erhitzt wurden. Ein Auszug aus ihrem Speiseplan: Hauptsächlich Gemüse mit Samen, Sprossen, Salaten und Nüssen ergänzt, und natürlich Obst. „Ganz am Anfang haben wir den Leuten gesagt, dass wir die Wildkräuter für unsere Hasen sammeln. „Sonst hätten die meisten meinen Mann und mich wohl für verrückt erklärt.“

Das tut mittlerweile niemand mehr, hat sich die Tirolerin doch mittlerweile zu einer Rohkostexpertin entwickelt. In ihrer Gäste-Pension in Kirchberg bietet sie mittlerweile auch Rohkosturlaube an, die sich regen Zuspruchs erfreuen. Kostverächter findet man darunter kaum. „Das Bild der einsamen Karotte auf dem Teller stimmt nicht mehr“, sagt Zwerger. „Die Rohkostküche hat sich unglaublich entwickelt, ist vielfältig und sehr gut zu variieren. Da wird einem geschmacklich nie langweilig.“ Kreativ ist sie obendrein, wenn man bedenkt, dass zum Beispiel der Boden für Spinatpizza aus Leinsamen, getrockneten Tomaten, Sellerie und Petersilie besteht und Frischkäse aus gestampften Cashewnüssen hergestellt wird. Pralinen ohne Schokolade gibt es auch. Sie enthalten stattdessen Carob, einen Schokoersatz aus der Frucht des Johannisbrotbaums. Stellt sich nur die Frage, warum man nicht gleich auf das Ursprüngliche zurückgreift und nach Belieben backen, kochen und braten darf. „Es geht dabei um die Enzyme“, erklärt Zwerger. „Wenn man Obst oder Gemüse auf über 42 Grad erhitzt, gehen die meisten Enzyme und hitzeempfindliche Vitamine verloren.“ Isst man etwa einen Apfel, liefert er die Werkzeuge, die der Körper zu seiner Verdauung in Form von Enzymen braucht, mit. Erhitzt man ihn aber, ist dieses Werkzeug kaputt. Kritiker warnen, wie bei Veganismus, auch vor Mangelerscheinungen, die man allerdings vermeiden kann. „Bei der Rohkost ist es wichtig, sich nicht hauptsächlich von Früchten zu ernähren. Den Fehler habe ich anfangs auch gemacht. Der Körper ist bei so viel Obst auf Dauerentgiftung eingestellt und man magert ab. Wer sich aber zu 80 Prozent von Gemüse, Nüssen und Ölen ernährt und nur zu 20 Prozent von Früchten kann wenig falsch machen.“ Wichtig sei es, sich am Anfang umfassend zu informieren. Dabei erfährt man auch, dass Rohkost ein wahres Verjüngungsmittel ist. Sogar grauen Haaren kann man damit den Kampf ansagen. „Wenn Menschen schon in jungen Jahren graue Haare haben, ist das oft ein Mineralienmangel“ sagt Zwerger. „Denn unter der Kopfdecke hat der Mensch ein großes Mineraliendepot, das sich mit Rohkost wieder auffüllen lässt.“

Bei Anni Zwerger zumindest hat es gewirkt. Ihre Haare sind nach der Umstellung zwar grau geblieben, mehr graue sind es aber seither nicht geworden. „Ich kenne auch Leute, bei denen nach der Umstellung die Haare wieder dunkel nachgekommen sind.“

Sonstige positive Nebenerscheinungen: Der Denkprozess wird reger und man fühlt sich körperlich jung. Zwergers Mann Christof ist 61 und wird von vielen um zehn Jahre jünger geschätzt. Seine Ernährung besteht allerdings „nur“ zu 70 bis 80 Prozent aus Rohkost. Der Rest ist Kochanteil, was bedeutet, dass er ab und zu auch gekochte Hülsenfrüchte, bohnen, Kartoffeln oder Linsen isst. Denn bei den Zwergers in der Pension Daxer Krug wird auch traditionelle Küche angeboten. Angst davor, dadurch Verlockungen wie einem Schnitzel zu erliegen, hat Anni Zwerger allerdings nicht. „Ich möchte diese Müdigkeit, die ich in der Früh verspürt habe, nicht mehr zurück. Für dieses Lebensgefühl streicht man Weißmehl und Zucker gerne.“

Dann muss es für künftige Anhänger der „Raw-Food“-Bewegung wohl heißen: Arrividerci Pizza! Ciao Pasta! Addio, du italienisches Lebensgefühl! Irgendwie nur sehr schwer vorstellbar. „Wenn man immerzu daran denkt, was man nicht essen darf, geht es nicht. Denn dann vergrößert sich die Energie in diese Richtung. Man muss den Fokus auf die Natur legen und schauen, welche Fülle an Lebensmitteln da ist. Dann funktioniert es wirklich super.“

www.daxer-krug.at

Seit 42 Jahren lebt sie vegetarisch, seit vier Jahren vegan – und schaut jünger aus als so manche Fünfzigjährige. Dabei ist Mimi Kirk, Vorzeigedame der US-Veggie-Szene, Jahrgang 1938 – also stattliche 74 Jahre alt. Wie ist das nur möglich? Frau Kirk, ehemalige Modeschmuck- Designerin, behauptet, das sei alles eine Frage der Ernährung und einer gesunden Lebensweise mit ausreichend langem Schlaf von täglich acht bis neun Stunden. In ihrem Buch „Rohköstlich leben“ (Hans- Nietsch-Verlag) geht die vor drei Jahren zur „Sexiest Vegetarian“ gekürte Veganerin ins Detail und unterstreicht die Vorteile einer Ernährung, die mit Verzicht auf Genuss nichts zu tun haben muss. Pasta, Burger und viele Naschereien zählen bei ihr jedenfalls zu den Grund- nahrungsmitteln. Aber: Mimi Kirk weiß sehr wohl, welche Fallstricke Ernährung haben kann, warum Milchprodukte nicht unbedingt gut für uns sind und wieso der Verzicht auf tierische Produkte Sinn macht. Sportmuffel wird es freuen, dass die vierfache Mutter ein bisschen Yoga und Gartenarbeit der Tortur im Fitnessraum vorzieht. Zum Vorbild taugen ihre Rezept- vorschläge auf jeden Fall: Immerhin sind sie von der Küche in den mediterranen Ländern Europas inspiriert.

freizeit: Frau Zwerger, Sie ernähren sich seit 12 Jahren von Rohkost. Welche Veränderungen haben Sie festgestellt?
Anni Zwerger: Ich fühle mich fitter und habe viel mehr Energie als früher, wo ich oft müde war. Ich war auch nie mehr verkühlt oder krank.

Rohkost klingt sehr reduziert. Ist das Bild von ein bisschen Gemüse auf dem Teller falsch?
Zwerger: Es gibt in Berlin das Restaurant „La Mano Verde“. Wenn man sich die Gerichte auf der Homepage ansieht, glaubt man kaum, dass das Rohkost ist. Es kommt immer auf die Zubereitung an.

Ist Rohkost-Ernährung teurer als Mischkost?
Wenn man selbst etwas anbauen kann oder Produkte aus der Region kauft, nicht. Wenn man Lebensmittel zukauft, schon. Vor allem, wenn sie bio sind. Ein Supermarkt-Kohlrabi kostet 69 Cent, einer aus dem Bioladen 1, 29€. Dafür braucht man weniger Geld für Medikamente.

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