Die Reportage: "Gibt's nicht, gibt es nicht"

Ein Portier steht vor dem Hotel Imperial in Wien.
Im schrillen Kinohit "Grand Budapest Hotel" dreht sich alles um die Abenteuer des Portiers Monsieur Gustave. Sowohl das Hotel als auch der Concierge sind fiktiv, doch die Inspiration ist real – und lebt in Wien: Michael Moser, Chefportier aus dem Hotel Imperial. Die freizeit checkte ein und traf den Mann mit dem langen Geduldsfaden, aber nie faden Hotelalltag. Von Hubertus Seidl

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"Jetzt bin ich auf Betriebstemperatur", sagt Michael Moser, als es wieder einmal stressiger wird. Je mehr Leute durch die Lobby des Ringstraßenhotels wirbeln, desto gelassener wirkt er. Es wird telefoniert, Mails werden gecheckt, zwischendurch die Zimmerschlüssel der Gäste entgegengenommen. "Wir haben bei uns keine Keycards, also elektronische Zimmerkarten, das fördert die Kommunikation zwischen den Gästen und uns." Mit "uns" meint Moser all die dienstbaren Geister, die Doormen, die Hotelpagen und Rezeptionisten, die den Hotelgast umsorgen und das Gefühl vermitteln, wunschlos glücklich zu sein. Doch der Herr der Lobby und der Schlüssel ist Moser. Der 62-jährige Kärntner ist nicht aus der Ruhe zu bringen, auch nicht, als er der Japanerin den Weg in "a typical austrian cafe" weist und gleichzeitig ein anderer Gast eine Auskunft möchte. Die Auskunft ist schnell gegeben, das Café ist praktischerweise gleich eine Tür weiter, nämlich das Hotel-Café. Er ist geduldig. Es ist die Ruhe, die durch die Gewissheit entsteht, das Richtige zu tun. "Gibt’s nicht, gibt es nicht", lacht er.

Eine Hutschachtel mit der Aufschrift „Hotel Imperial Wien“.
Ein Hotelangestellter hantiert mit den Schlüsseln an einem alten Schlüsselbrett.

Seit 1983 arbeitet Moser im Imperial. Der damalige Hoteldirektor verpflichtete ihn mit den Worten "Kommen Sie schnell, die Gäste nehmen sich schon selbst die Zimmerschlüssel". Davor war der Kärntner gerade auf Saison im italienischen Nobelkurort Abano. Fortan wurde Fangopackung gegen fettes Trinkgeld getauscht, aber auch italienische Lässigkeit gegen nervenaufreibende Stressmomente. Der joviale Schlüsselwart mauserte sich schnell und hat seit damals in jeder Situation ein Lächeln parat. Vor allem dann, wenn wieder einmal der Kampftag aller Portiers, der Wiener Opernball, erfolgreich über die Bühne gegangen ist. "Seit es die Opernballdemos nicht mehr gibt, ist es mit den Aufregungen auszuhalten." Der verheiratete Familienvater besucht den Ball nie, eher sind es die Ballgäste, die ihn heimsuchen: wohnen doch die meisten Honoratioren in seinem Hotel. "Gut war es dieses Jahr, für die Schlägerei am Ball kann ich ja nix", sagt er fast entschuldigend für etwas, das nicht in seinen Wirkungskreis fällt.

Ein lächelnder Mann zieht in einer Umkleidekabine seinen Anzug an.
Ein Mann mit Brille und Anzug mit Abzeichen vor einem gelben Hintergrund.
Ein Hotelangestellter telefoniert und schreibt gleichzeitig in ein Buch.

Neben den gleichen Arbeitsabläufen ist der Alltag in diesem Fünf-Sterne-Superior-Haus natürlich nie gleich. Die Gäste sind verwöhnt, deren Wünsche extravagant. Zum Geburtstag eine Suite mit einer gewissen Blumensorte auszustatten, ist Standardprogramm, statt 50 Rosen sind’s halt eher 200. Falls ein Flug gebucht wird, ist es mindestens die Businessclass und Louis-Vuitton-Koffer stapeln sich in der Lobby mehr, als es in der Wiener Filiale des Luxuslabels zu kaufen gibt. Überhaupt: In einer Zeit, in der die harte Realität der immer tougher werdenden Arbeitswelt das Savoir-vivre stetig bedroht, kommt man sich beim Anblick der imposanten Lobby sowie der für unsereins hohen Zimmerpreise und nicht gerade budgetfreundlichen Getränkepreise in der neu gestalteten Lobby-Bar wie in einer Parallelwelt vor. So war die Junior Suite heute für 500 Euro pro Nacht zu haben, das Glas Champagner kostet 18 Euro. Freilich, die Realität kann ja vor der Drehtür des Hotels warten, das Zimmer ist für zwei und inkludiert Frühstück, zur allergrößten Not tut’s auch ein Achterl Ried Klaus vom Jamek. "Nein, nein", protestiert Moser, "das Wichtigste an den reichen Leuten ist doch, dass sie ihr Geld ausgeben."

Die Lobby eines Hotels mit Marmorboden, einem großen Kronleuchter und mehreren Gästen.

Außerdem schaue der Gast auch im Luxussegment auf den Preis und die Ausstattung. Deshalb baue man das Hotel gerade bei laufendem Betrieb um. Elf Millionen Euro hat man dafür in die Hand genommen. Wenn die noble Schlafstätte heuer ihren 140. Geburtstag feiert, wird sie sich mit einem stetig wachsenden Bettenzuwachs und harter Konkurrenz konfrontiert sehen.Der Hotelgast von heute ist preisbewusst; Teures billiger zu bekommen, zählt oft mehr, als Butlerservice oder Mosers Schmäh. Wie zum Beweis biegt eine Amerikanerin um die Ecke, die sich nach einem passenden Abendprogramm erkundigt. Als ihr ein Konzert mit Lorin Maazel als "lovely" erscheint, weiß sie noch nicht, dass die Karte 90 Euro kosten wird. "Too expensive" befindet sie und schwirrt ab. Not "lovely enough"? Moser denkt laut: "Für ein paar Würstel dirigiert er halt nicht, der Herr Maazel." Allerdings ist der Sparwille hier eher relativ ausgeprägt, in der Lobby-Bar sitzt eine adrette Lady in Chanel, mit dem x-ten Glas Champagner. Im Hintergrund spielt der Pianist "Come Fly With Me".Moser fliegen derweil die Herzen zu, ein paar Stammgäste haben sich angesagt, führen Small Talk. Für Moser gilt: Immer in "höflicher Distanz", immer "per Sie". Egal ob die Herrschaften seit zwanzig Jahren hierher kommen, Normalos sind oder prominent.

Eine Gruppe von Menschen steht vor dem Eingang eines Cafés.
Ein Taktstock mit der Aufschrift „Zubin“ liegt auf einer Tasche des Hotel Imperial Wien.
Eine Frau checkt in einem Hotel ein und erhält einen Schlüssel vom Rezeptionisten.
M. Moser posiert vor einem Banner mit einem Bild von ihm mit Bauhelm und Schlüssel.

Hier sind sie eher prominent, neben Dutzenden Staatsgästen und Klassikstars auch Popgrößen wie Udo Jürgens, Madonna oder Michael Jackson. Skurrilo Jacko ließ sich inkognito im Opel Kadett einer Hotelangestellten burgenländische Schlösser zeigen und Moser versichert, man sei auch nach der Ausfahrt "per Sie" gewesen.Ob man mit Madonna so formell war, als sie sich den Fitnessraum zwecks intensiveren Trainings aufheizen ließ, ist nicht überliefert. Anzunehmen ist eher, dass die Popzicke ihrerseits den Hotelangestellten den Angstschweiß auf die Stirn trieb.Wenn der famose MoserPeter Ustinov) in ein paar Jahren in Pension gehen wird, werden es über 30 Jahre gewesen sein, die er diesem Hotel gedient hat. Was wird dann die 97-jährige Dame machen, die den kompletten Ring von Richard Wagner auch dank seines Organisationstalents schon 73-mal gesehen hat? Wer vermittelt diskret Horizontal-Künstlerinnen, die dem gestressten Business-Gast die Nacht versüßen? Und wer wird als Service auf Nachfrage die passende Grabstelle suchen, damit man nicht nur temporär, sondern ewig gut gebettet bleibt? Das alles wird ihn dann nicht mehr kümmern müssen. Klassikfan Moser wird viel Zeit finden, in die Oper zu gehen. "Auf Stehplatz, denn ich hab ja an stehenden Beruf", wie er im breiten Kärntnerisch ergänzt, bevor er den nächsten Gast mit Informationen füttert. "Per Sie", natürlich.

Eine beschriebene Postkarte, adressiert an Herrn Moser im Hotel Imperial in Wien.
Ein Portier steht vor dem beleuchteten Hotel Imperial in Wien.

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