Schätze an der Straße: Die Deutsche Fachwerkstraße
Weite Obstplantagen und Viehweiden links, der Elbdeich rechts, so beginnt die Reise in der Nähe von Hamburg. Die ersten Fachwerkhäuser tauchen auf, meist stattliche allein stehende Bauten mit gepflegten Fassaden. Manche von ihnen sind mit Reet gedeckt, wie es schon vor Jahrhunderten üblich war.
Erstes Ziel ist die Hansestadt Stade, mit einer bezaubernden historischen Altstadt. Am ehemaligen Hafen im mittelalterlichen Stadtkern fällt ein unförmiges Gebilde auf: Die Replik eines Holztretkrans aus dem 14. Jahrhundert, mit dem man bis zu vier Tonnen Fracht aus den Schiffen heben konnte. Heutzutage legen hier keine Schiffe mehr an. Früher, als man von der Elbmündung auf dem Fluss Schwinge die Stadt erreichen konnte, war Stade bedeutend, noch lange vor dem Aufstieg Hamburgs zur Handelsmetropole. Aber als die Schiffe größer wurden und Hamburg dafür einen Hafen bieten konnte, verlor Stade seine Bedeutung.
Vom goldenen Zeitalter zeugen noch prächtige und schön restaurierte Fachwerkhäuser, die sich am früheren Hafenkai aneinander schmiegen. Ein besonders imposanter vierstöckiger Bau aus dem Jahr 1667 beherbergt jetzt als Kunsthaus wechselnde Ausstellungen zeitgenössischer Kunst. Die Gassen mit grobem Kopfsteinpflaster strahlen nach kurzen Regengüssen in leuchtendem Rot. Vorbei am Bürgermeister-Hintze-Haus mit einer massiven Sandsteinfassade im verspielten Stil der Weser-Renaissance, erreicht man den Schwedenspeicher am Hafeneingang. Ende des 17. Jahrhunderts errichtet, bietet das Haus als Museum Einblicke in die Geschichte der Region. Besonders eindrucksvoll dargestellt ist die Entwicklung der Hanse zur Welthandelsmacht.
Ein wenig die Elbe stromaufwärts liegt das Inselstädtchen Hitzacker. Die Fachwerkhäuser sind hier schlichter und kleiner als in der Hansestadt. Sie wurden nach dem vergangenen großen Hochwasser liebevoll restauriert, erzählt der Museumsleiter bei einer Floßfahrt durch den Naturpark Elbtalauen.
Acht Meter höher sei das Wasser 2008 gestanden, inzwischen wurden aufwendige Bollwerke errichtet und man hofft, dass die historische Altstadt mit ihren fast fünfhundert Jahre alten Bauten bei neuerlicher Flut verschont bleibt. Prominenter Sohn der Stadt war übrigens Claus von Amsberg, der verstorbene Prinzgemahl der ehemaligen Königin Beatrix. Seinetwegen sind hier oft Holländer zu Gast.
Sinnsprüche mit Felern
Einen Höhepunkt auf der Route stellt Celle dar. Mit fast fünfhundert aufwendig restaurierten Fachwerkhäusern bildet der Stadtkern das größte geschlossene Ensemble in Mitteleuropa. Den bunten Anstrich erhielten die denkmalgeschützten Häuser erst vor etwa hundert Jahren, bloße Holzbalken und Ziegel galten als nicht mehr repräsentativ, man wollte mit den Fassadenfarben hochwertigere Steinhäuser vortäuschen. Entlang der vielen Hauszeilen fällt der Blick immer wieder auf eingeschnitzte Sinnsprüche auf den Fassaden. Ab und zu finden sich darin kleine Rechtschreibfehler. Handwerker konnten oft nicht schreiben und schauten die Buchstaben nur ab.
Das Herzogsschloss hier bietet, wenn nicht gerade Corona ist, jeden August ein Spektakel: An die fünfzig historische Pferdegespanne präsentieren sich anlässlich des jährlichen Kutschentreffens einer Jury. Dabei wird auf jedes Detail Wert gelegt, vom originalgetreuen Zustand der Gespanne bis zur zeitgemäßen Tracht ihrer Fahrer. Im renovierten Schloss taucht man in die Geschichte der Welfen ein, einem der ältesten noch existierenden Adelshäuser. Deren derzeitiges Oberhaupt, Ernst August von Hannover, lebt in seinem Jagdschloss im österreichischen Almtal.
Nächstes Ziel ist die Domstadt Königslutter. Die Abteikirche des früheren Benediktinerklosters zählt zu den herausragenden Bauwerken der Romanik in Deutschland. Mit drei hoch aufragenden Türmen beherrscht der Kaiserdom, Grabeskirche von Kaiser Lothar III., die romantische Kleinstadt. In der bestechen unter zahlreichen Fachwerkgebäuden besonders die alten verzierten Brauhäuser, das Leidenfrosthaus und eines der beiden Rathäuser.
An die hundert Fachwerkstädte liegen an der 2.800 Kilometer langen Fachwerkstraße, quer durch das Land von Stade an der Elbe bis Meersburg am Bodensee. Jede mit eigenem Charme – nicht nur hier im nördlichsten Teil.
Fachwerk
Wer im Mittelalter „steinreich“ war, konnte sich ein Haus aus Stein leisten. Billiger war der Fachwerkbau: Zunächst wurde ein Skelett aus behauenen Eichenstämmen errichtet, die Zwischenräume („Gefache“) wurden mit einem mit Lehm verputztem Holzgeflecht gefüllt, was eine sehr gute Wärmedämmung ergab. Später wurden die Gefache mit meist unverputzten Ziegeln vermauert. Die Reetdeckung der Dächer ist nach vielen verheerenden Bränden in den Städten von einer festen Deckung mit Ziegel abgelöst worden
Fachwerkstraße
Die Deutsche Fachwerkstraße durch idyllische Landschaften und romantische Städtchen erstreckt sich von der Elbmündung bis zum Bodensee. Sie ist in sechs Regionalstrecken unterteilt, die man sehr gut einzeln besuchen kann.
Nähere Informationen über die Strecken, die rund hundert Fachwerkstädte, Unterkünfte, Führungen und Veranstaltungen unter deutsche-fachwerkstrasse.de
Auskunft
Deutsche Zentrale für Tourismus, Tel. 01/513 27 92, germany.travel
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