"Playtime": Viennale-Direktor HANS HURCH geht für die"Freizeit" ins Kino
Der vielleicht einzige revolutionäre Film, der im legendären Mai 1968 in den Pariser Kinos lief, während draußen in den Straßen der Kampf der Studenten tobte, war eine Komödie. Eine Satire von Jacques Tati. Ein Film mit dem spielerischen und leichten Titel „Playtime“.
Für seine vierte und mit Abstand kostspieligste Arbeit, mit der Tati neun Jahre beschäftigt war, hatte er auf einem Areal außerhalb von Paris das Set einer künstlichen, futuristischen Metropole errichten lassen. Eine Art Doppelgänger-Stadt, in der neben seltsam avantgardistischen Hochhäusern, endlosen Großraumbüros, Flughafenlobbys und kühlen, modernen Wohnstudios noch da und dort kleine versprengte Reste eines alten Paris existieren. Ein Bistro, ein Drugstore, ein Straßencafé und der Blumenstand an der Ecke.
Diese radikal filmische Welt, die Jacques Tati für „Playtime“ erfindet, ist von einer geradezu schwindelerregenden Gleichzeitigkeit zwischen Gestern und Morgen, Altem und Neuem, Vertrautem und Fremdem und selbst der Eiffelturm ist hier nur noch eine momenthaft-gespenstische Reflexion in einer vorbeihuschenden Glasfassade. Und dazu kommt, dass in Tatis Kosmos eine eigene Kunstsprache regiert, zusammengesetzt aus Tönen, Geräuschen, Musik und Fragmenten der verschiedensten Sprachen dieser Welt. Und selbst die Dinge wie der quietschend-glatte Boden, die surrende Drehtüre oder der knautschige Ledersessel scheinen zu atmen und zu stöhnen und dann und wann ein wenig zu sprechen und zu singen. Die Gruppe von amerikanischen Touristen, von deren Besuch in Paris „Playtime“ erzählt und denen der Film einen Tag und eine Nacht lang auf ihrem atemberaubenden Sightseeing durch die Stadt folgt, ist von all dem Erlebten und Gesehenen ebenso überwältigt wie fasziniert, erstaunt wie verstört.
„Playtime“ ist eine reine, ganz und gar künstliche und zugleich realistische und manchmal verzweifelte Etüde über das, was wir „Fortschritt“ nennen. Ein pures, befreiendes Stück Kino aus Bewegung, Farbe, Rhythmus und Musik und erhellende Welterfahrung in einem. Und in den schönsten Momenten des Films wird selbst der anstrengende Gang der Kellner und ihr ermüdender Kampf mit dem Tablett und der Schwingtüre im Royal Garden Restaurant zu einem wunderbar leichten utopischen Tanz des Menschen mit den Verhältnissen. „Die Idee des Fortschritts“, hat Jacques Tati einmal trocken angemerkt, „ist doch im Grunde Propaganda“.
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