Notizen einer Affäre
Zürich, 1997. Im Auftrag von 20th Century Fox befand ich mich auf Recherche und fact finding mission zur Geschichte der ersten Psychoanalyse-Patientin und späteren Psychoanalytikerin Sabina Spielrein. Hintergrund war ein Filmprojekt für Julia Roberts. An einem Sommernachmittag nahm mich der Kurator des winzigen C.G.-Jung-Museums, das sich im obersten Stockwerk der Burghölzli-Klinik befand (und mittlerweise geschlossen ist), mit hinunter in den Keller. Er arbeitete sich im Patienten-Archiv der psychiatrischen Klinik bis ins Jahr 1904 zurück und zog die Notizen des Falls über die damals 18-jährige Hysterie-Patientin Sabina Spielrein hervor – von C.G. Jung mit handschriftlichen Aufzeichnungen versehen.
Die Bedeutung des Falles Spielrein wurde evident: Der 30-jährige Arzt C.G. Jung hatte mit Sabina das Experiment gewagt, zum allerersten Mal die sogenannte psychoanalytische Methode von Sigmund Freud anzuwenden. Was uns heute als Therapie geläufig ist, war damals ungewöhnlich und völliges Neuland: Die Patientin wurde ermuntert, alles auszusprechen, was ihr in den Sinn kam – egal ob logische Überlegungen, Erinnerungen, Fantasien, Bilder, Träume, Gefühle oder Körperempfindungen („freies Assoziieren“). Durch diese Einfälle und mit der Hilfe des Analytikers lernte sie langsam eine innere Welt kennen, die sie zuvor nicht oder nicht in dieser Weise gekannt hatte. Dank der neuen Methode fand Jung heraus, was seine Patientin belastete – und er konnte sie heilen.
Das war der Beginn meiner langen, unaufhörlichen Beschäftigung mit dem Fall Sabina Spielrein, die sich zunächst in einem Drehbuch für Julia Roberts niederschlug („Sabina“), das aber nie verfilmt wurde. Danach entstand ein Theaterstück („The Talking Cure“), das 2003 am „Royal National Theatre“ mit Ralph Fiennes als C.G. Jung uraufgeführt wurde, und schließlich 2011 der David-Cronenberg-Kinofilm („A Dangerous Method“) mit Keira Knightley, Michael Fassbender und Viggo Mortensen. Woran wir nun hier in Wien, am Theater in der Josefstadt, mit Hilfe der Übersetzung meines Freundes Daniel Kehlmann arbeiten, ist die neueste Version dieses Themas, das seit der ersten Begegnung mit den Notizen des Falls nie aufgehört hat, mich für sich einzunehmen. Heute wissen wir längst, dass sich durch Sigmund Freud das Verständnis für das menschliche Dasein bedeutend verändert hat. 1906 hingegen war es für den heftig angefeindeten Begründer der Psychoanalyse ungemein wichtig, dass Jung sich als „Christ und Pastorensohn“ seiner Theorie anschloss. Erst Jungs „Auftreten [habe] die Psychoanalyse der Gefahr entzogen (...), eine jüdische nationale Angelegenheit zu werden“, schrieb er in einem privaten Brief. Freud sah in dem jungen Schweizer Arzt seinen Nachfolger, sieben Jahre währte ihre Freundschaft, doch gravierende Meinungsverschiedenheiten über die Rolle der Sexualität, die Religion, das Irrationale, aber auch Jungs erotische Grenzüberschreitungen im Fall Spielrein führten 1913 zum Abbruch ihrer Beziehung.
Die Beziehung zwischen C.G. Jung und seiner Patientin Sabina Spielrein hat Christopher Hampton mehrfach verarbeitet: als Film (mit Keira Knightley) und als Theaterstück („The Talking Cure“ mit Ralph Fiennes). „Eine dunkle Begierde“ wird kommenden Donnerstag am Theater in der Josefstadt uraufgeführt. Mit Michael Dangl als C.G. Jung, Martina Ebm als Sabina Spielrein (im Bild) sowie Herbert Föttinger als Sigmund Freud.
Für mich war es schwierig, meine natürliche Affinität für das rationale Universum von Freud (und Spielrein) zu ignorieren und in die viel weniger verständliche, man könnte auch sagen romantische Welt von Jung einzutauchen. Doch als ich anfing zu begreifen, wie wesentlich es war, Jung ins Zentrum meiner Arbeit zu stellen, seine Denkweise zu verstehen und zu akzeptieren, nahm mein Stück langsam Form an. Denn Jung ist der Angelpunkt, der die zwei Dreiecksbeziehungen (hier Sabina, Jungs Ehefrau Emma und Jung – dort Sabina, Freud und Jung) miteinander verbindet. Bis 1980 war Sabina Spielrein in der psychoanalytischen Literatur lediglich durch vier Fußnoten im Werk von Sigmund Freud vertreten. Diese marginale Existenz änderte sich erst, als man Ende der siebziger Jahre in Genf bei Renovationsarbeiten im Kellergeschoss des ehemaligen psychologischen Institutes einen Karton mit hochinteressantem Material aus der Frühzeit der Psychoanalyse entdeckte. Bei den aufgefundenen Dokumenten handelte es sich um Sabina Spielreins Korrespondenzen mit Sigmund Freud und C. G. Jung sowie um ihre Tagebücher 1909-1912. Das wissenschaftliche Verdienst von Sabina Spielrein wurde lange ignoriert. Tatsächlich inspirierte sie sowohl Jung als auch Freud und gehört – was den internationalen Aufbruch der psychoanalytischen Bewegung anbelangt – zu den Pionieren der ersten Stunde.
Christopher Hampton
von Hollywood bis Wien
1979 wirkte er als Autor an dem Film „Geschichten aus dem Wienerwald“ mit, der auf dem Theaterstück von Ödön von Horváth basiert. „Gefährliche Liebschaften“ kam 1987 erstmals auf die Bühne der Josefstadt, wurde 1989 verfilmt (Oscar für Hampton!) und kehrte 2007 in die Josefstadt zurück. Auch die Literaturverfilmung „Abbitte“ (nach einem Roman von Ian McEwan) brachte Hampton eine Oscar-Nominierung. 2009 dramatisierte er, ebenfalls für die Josefstadt, Horváths „Jugend ohne Gott“. Für die Übersetzung seiner neuen Version von „Eine dunkle Begierde“ arbeitete er mit Daniel Kehlmann zusammen.
Premiere: 27. 11., Theater i. d. Josefstadt, www.josefstadt.org
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