Tel Aviv: Wüstenwunder

Sechzig weiße und graue Muscheln besiegelten vor mehr als 100 Jahren die Gründung von Tel Aviv-Jaffa. So wurden nämlich die Landparzellen 1909 an die Gründungspioniere verlost – heute zählt die zweitgrößte Stadt Israels bereits mit London, Sydney, Stockholm und Schanghai zu den kreativsten Städten der Welt. Die zweitgrößte Tageszeitung Kanadas „The Globe and Mail“ berief sich bei diesem Ranking auf den „Global Creativity Index“ der „Roman School of Management“. Der Bewertungs-Fokus lag dabei auf drei Ts: Technologie, Talent, Toleranz. Und da punktet Tel Aviv in allen Kategorien. In die junge Metropole pendeln täglich fast 800.000 Menschen zur Arbeit, mehr als 500.000 leben in der „Gartenstadt“. Architekten der 1930er-Jahre pflanzten hier entlang sämtlicher Straßen Bäume und Gärten. Sie errichteten auch die größte noch erhaltene Siedlung im Bauhausstil. Das zeitlos moderne Open-air-„Bauhaus-Museum“ rund um Petah-Tikva, lockt heute zahlreiche Architektur-Fans an, seit 2003 gehört die „weiße Stadt“ zum UNESCO-Weltkulturerbe. Noch eines ist charakteristisch: „Bubble“, Blase, ist Tel Avivs Spitzname und nichts auf der Welt kann das Leben oder den Rhythmus der Einwohner hier stören. Vielleicht liegt das am eher niedrigen Durchschnittsalter der Bewohner, das bei 34 Jahren liegt. Das bestätigt auch Israels Leitspruch: In Jerusalem wird gebetet, in Haifa gearbeitet, in Tel Aviv gefeiert – und am Rande der Stadt wird ewig weitergebaut, die Stadt ist im ständigen urbanen Umbruch.
Will man Tel Aviv erobern, beginnt man am besten im Hafen der Altstadt Jaffa. Jaffa war zur Zeit der Pharaonen der Hafen von Jerusalem und ist heute ein kleiner Fischerhafen mit ottomanischer Architektur und einem bunten Mix aus Galerien, Designerstudios, Pop-up-Shops, Bars, Restaurants und vorwiegend jungen Besuchern. Manchmal suchen auch hiesige Modedesigner hier am Flohmarkt nach alten Schätzen. Im Getümmel sieht man öfters junge Frauen in grünen Uniformen, von deren Schulter ein Maschinengewehr baumelt – als Resultat der ständigen Verteidigungsbereitschaft der Israeli.
Wer vom Sonnenuntergang in der nahen Strandbar am Gordon Beach erstmals in die noch dunstigen Straßen Richtung Dizengoff, auch Champs-Elysées von Tel Aviv genannt, schlendert, wird bemerken, wie kreativ und lebendig die Stadt ist. Im schönen, an die französische Provence erinnernden Viertel Neve Tzedek in der Altstadt findet man angesagte Geschäfte für Kleider und Schuhe. In der Sheinkin-Straße tummeln sich jugendliche Fashionistas, die gleich weiter in die beliebte fashion-tv-lounge in der Jehuda Halevi-Street pilgern. In dem Viertel liegt auch das hippe neue Design-Restaurant Social Club.
Luxury Shopping gibt es hingegen rund um Kikar Hamedina, Richtung Yehoshua-Park, den man hier sogar mit New Yorks Fifth Avenue vergleicht. Auf sämtlichen Märkten und Plätzen, in Bars, Restaurants und Galerien stellen junge Künstler ihre Werke aus. Die Szene trifft sich im Rothschild-Viertel zum Partyfeiern und Gallery-Hopping. Auch der neu renovierte Habima Square, Kreuzung Rothschild Boulevard und Dizengoff Street, von Bildhauer Dani Caravan ist sehenswert. Wer schnell in der Bar am Rothschild Boulevard Nummer 12 einen Kaffee mit Livemusik genießen will, könnte danach in das Hagana Museum und die Independence Hall gehen.
In HaHashmal-Garden finden Avantgardisten junge Modedesigner, im Design-Mekka Florentine treffen einander heute immer mehr angehende Designer und Fotografen. Am bunten Carmel duftet es nach Gewürzen aus 1001 Nacht, und wer gerne über die Dächer schaut und gut isst, sollte auf den 165 Meter hohen Electra Tower fahren und die Architektur des neuen Restaurants bewundern.
Der ehemalige Bahnhof HaTachana wurde zum 5.500 Quadratmeter großen Freizeitareal mit internationalen Shops, kleinen Restaurants und Bars umgebaut, in dem auch die Tel-Aviv-Fashion-Week stattfindet. Berühmt ist natürlich auch die hiesige Diamantenbörse, die größte der Welt. Im Kosmos von vier miteinander verbundenen Gebäuden findet man Ärzte, Friseure, Köche und Kellner. Denn die Händler selbst dürfen die Börse während der Arbeitszeit aus Sicherheitsgründen nicht verlassen. Immerhin werden hier jährlich 25 Milliarden Dollar umgesetzt.
Und Tel Avivs „Silicon Wadi“ sitzt rund um den Rothschild Boulevard. Über 700 Start-ups, Unternehmer und Investoren haben hier bereits ihren Sitz und der Boom hält weiter an.
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