Mode von morgen: Wie Algorithmen Trends "entwerfen"

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KI ändert auch die Kleider von morgen. Die beiden KURIER-Modeexpertinnen Isabella Klausnitzer und Barbara Zach über neue Kollektionen und wie sie Sehnsucht und Ängste ausdrücken.

Die Welt verändert sich derzeit rasant, Technologien erobern fast alle Branchen. Wie äußert sich das in der Mode und wie entstehen nun Trends – im Vergleich zu früher?

Isabella Klausnitzer: Früher diktierten Paris, London und Mailand, was „in“ war, heute entstehen Trends auf TikTok und Instagram. Ein Look aus Seoul kann viral gehen und innerhalb weniger Tage die Produktion beeinflussen. Algorithmen analysieren Trends, bevor sie auf dem Runway landen.

Welche Beispiele gibt es dafür?

Barbara Zach: Ästhetiken wie „Mob Wife“ oder „Blokette“ etwa, sie stammen nicht aus den Ateliers großer Häuser, sondern aus Online-Communitys und verbreiten sich in kürzester Zeit global. Marken, oft im Fast-Fashion-Sektor, werten diese digitalen Signale fast in Echtzeit aus und reagieren mit entsprechenden Produkten, oft innerhalb weniger Tage oder Wochen.

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Isabella Klausnitzer, Marlene Auer und Barbara Zach

Damit verschieben sich die Kollektionszeiträume enorm.

Klausnitzer: Ja, der Trendzyklus hat sich von Jahren auf Wochen verkürzt, die KI entwirft Muster, 3-D-Druck revolutioniert die Herstellung. Aus zwei klassischen Saisonen sind faktisch 52 Mikro-Kollektionen pro Jahr geworden. Für Konsumenten bedeutet das permanente Veralterung, FOMO-Marketing und eine fast vollständige Entkopplung von Preis und Wert. Ein T-Shirt kostet heute oft so viel wie ein Kaffee – das verändert unsere Wertschätzung für Kleidung fundamental. Gleichzeitig wächst eine Gegenbewegung: Slow Fashion, Vintage, bewusster Konsum.

Zach: Fast Fashion hat die Taktung radikal beschleunigt. Es gibt teils wöchentlich neue Mini-Kollektionen, Mode wird zum Dauerstrom. Das heißt: ständige Verfügbarkeit von Neuem, niedrige Preise, niedrige Einstiegshürden. Viele kaufen häufiger, impulsiver und empfinden gleichzeitig Überforderung durch die Menge an Optionen. Daraus entsteht ein paradoxes Verhalten: Das Bedürfnis nach Neuem bleibt, gleichzeitig wächst das Bewusstsein, dass dieses Tempo weder ökologisch noch psychologisch nachhaltig ist.

Wie viel Platz ist in dieser Entwicklung noch für individuellen Stil?

Zach: Ich meine zu erkennen, dass es trotz dieser Beschleunigung stärker denn je darum geht. Menschen nutzen Trends also immer weniger, um sich einzufügen, sondern um sich abzugrenzen. Mode wird fragmentierter, emotionaler und vielfältiger.

Dennoch verhält sich Mode in Zeitschleifen. Welche Comebacks sind aktuell die größten und wie spiegeln sie unsere Gesellschaft wider?

Klausnitzer: Ein großes Revival ist Y2K: Die Gen Z romantisiert eine Ära, die sie selbst kaum erlebt hat – eine Zeit vor permanenter digitaler Überwachung. Grunge kehrt zurück als ästhetische Übersetzung von Unsicherheit und Klimaangst. Der „Old Money“-Look boomt, weil Menschen in instabilen Zeiten nach Beständigkeit, Ordnung und vermeintlicher Sicherheit suchen. Diese Comebacks sind Projektionsflächen für Sehnsüchte und Ängste.

Zach: Zusätzlich zu Y2K und den 90ern kristallisiert sich auch die Boho-Romantik heraus: Spitze, fließende Stoffe und weiche Silhouetten stehen für das Bedürfnis nach Sanftheit, Natürlichkeit und emotionaler Verbundenheit als Gegenpol zum digitalen Alltag. Und auch Vintage-Mix ist angesagt, das ist eng mit Nachhaltigkeitsbewusstsein verknüpft.

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Modeexpertin Isabella Klausnitzer

„Kleider machen Leute“ – an welchen Beispielen zeigt sich das besonders?

Klausnitzer: An Michelle Obamas Looks zur Amtseinführung. Sie hat bewusst junge amerikanische Designer gewählt, viele davon People of Color, und damit ein Signal von Inklusivität und Repräsentation gesetzt. Jedes Outfit war eine Form visueller Diplomatie – Mode als politisches Statement.

Zach: Grundsätzlich zeigen Berufe mit typischer Kleidung, wie stark dieser Effekt ist: ein Arztkittel, ein gut geschnittener Anzug, eine Uniform. Noch bevor gesprochen wird, schreiben wir der Person Kompetenz, Autorität oder Vertrauenswürdigkeit zu.

Kommen wir zur Inszenierung der Mode. Welche Kollektionen oder Runways werdet ihr nie vergessen?

Klausnitzer: Balenciagas „Schlammshow“ 2023. Die Models wateten durch echten Morast, eine sehr direkte Bildsprache für Klimakrise und Verfall. Dazu kommt Coperni 2022, als das Team live ein Kleid auf Bella Hadids Körper sprühte. Diese Momente machen deutlich: Mode ist längst Performance und Kommentar, nicht nur Stoff und Schnitt.

Und welche Inszenierung hat euch beeindruckt?

Zach: Für mich war es die Chanel-Métiers-d’Art-Show 2014 im Schloss Leopoldskron in Salzburg. Die Kollektion wurde nicht auf einem klassischen Runway gezeigt, sondern in historischen Räumen. Die Models bewegten sich durch das Schloss, wodurch man die Stücke räumlich und atmosphärisch völlig anders wahrnahm.

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Modeexpertin Barbara Zach

Karl Lagerfeld war eine der größten Modeikonen. Wer ist es derzeit?

Klausnitzer: Zendaya. Sie versteht Mode als Storytelling. Jedes Outfit ist durchinszeniert und erzählt eine klare Geschichte. Gemeinsam mit ihrem Stylisten Law Roach hat sie Red Carpets in eine Form von Performance Art verwandelt. Auffällig ist, dass sie Mode nutzt, um sich selbst zu definieren, statt sich von Trends definieren zu lassen.

Zach: Für mich ist es Rihanna. Sie hat die Fähigkeit, Trends nicht nur aufzugreifen, sondern neu zu codieren. Sie kombiniert Couture mit Streetwear, spielt mit Silhouetten und Materialien und wirkt zugleich authentisch. Vor allem ihre Schwangerschaftslooks haben gezeigt, wie stark Mode als Ausdrucksmittel wirken kann: Sie haben Debatten ausgelöst und zugleich neue Standards gesetzt, wie Schwangerschaft im öffentlichen Raum inszeniert wird.

Neue Standards gibt es auch bei Materialien und Stil. Was hat sich da verändert?

Klausnitzer: Synthetische Fasern haben Mode stark demokratisiert, weil sie Kleidung günstiger und leichter verfügbar gemacht haben. Überraschend ist, wie politisch bestimmte ikonische Stücke waren: Chanels „Little Black Dress“ etwa hat Klassencodes verschoben. Punk wiederum entstand aus realer sozialer und ökonomischer Armut, bevor er als teures Luxus-Statement in den Mainstream zurückkehrte. Diese Verschiebung sagt viel über Kapitalismus und kulturelle Aneignung.

Zach: Die Industrialisierung war ein Wendepunkt: Stoffe konnten schneller und preiswerter produziert werden, Mode wurde für breite Schichten zugänglich. Ein weiterer Meilenstein war die Entstehung der Haute Couture mit Figuren wie Charles Frederick Worth, später Chanel oder Dior. Sie haben Mode als kreatives, künstlerisches Statement etabliert. Subkulturen wie Punk, Grunge oder die Hippie-Bewegung haben immer wieder Trends aus der Peripherie in den Mainstream geschoben. Und heute erleben wir mit Funktionsmaterialien, digitalen Designs, 3D-Technik und AI einen erneuten Sprung.

Was wird da noch alles kommen?

Klausnitzer: Mode wird hybrid: Physische Kleidung verschmilzt mit digitalen Identitäten, etwa in virtuellen Räumen und im Metaverse. KI personalisiert Designs in Echtzeit, Biomaterialien ersetzen Leder und Polyester, Kreislaufwirtschaft entwickelt sich vom Konzept zum Standard. Technologie ermöglicht radikale Individualisierung, birgt aber auch neue Ausbeutungsrisiken, etwa in digitalen Lieferketten oder bei Datennutzung.

Was bedeutet das konkret im Produkt und im Designprozess?

Zach: Digitale Tools wie 3-D-Design und virtuelle Anproben beschleunigen die Entwicklung und reduzieren Prototypen. Parallel wächst ein Markt für rein digitale Mode, etwa für Social-Media-Avatare. Kleidung selbst wird technischer: Smarte Materialien, die Temperatur regulieren und Körperdaten erfassen, werden allmählich alltagstauglich. Sportmarken experimentieren mit sensorgestützter Performance-Wear und adaptiven Materialien, die sich an Bewegung und Belastung anpassen.

Wird das Handwerk im Zuge dessen wieder mehr Stellenwert bekommen?

Klausnitzer: Ja. Je digitaler der Alltag, desto stärker wächst die Sehnsucht nach Greifbarem und Einzigartigkeit. Handwerk wird zum Luxusgut. Maßanfertigungen, Upcycling und sichtbare Handarbeit gewinnen an Bedeutung. Die Zukunft liegt in einer Balance aus technologischer Innovation und traditionellem Können.

Zach: Viele Menschen haben genug von austauschbarer Massenware und suchen Kleidung mit Geschichte. Handwerklich gefertigte Stücke sind langlebig, reparierbar und werden bewusster gekauft – das passt zum Nachhaltigkeitsgedanken.

Welche Stylingfehler beobachtet ihr eigentlich am häufigsten?

Klausnitzer: Viele kaufen für ein imaginäres Leben statt für ihren tatsächlichen Alltag. Ein weiterer häufiger Fehler sind unpassende Proportionen: Nicht jeder Trend passt zu jedem Körper, und das ist vollkommen in Ordnung. Zudem überladen viele ihre Looks – zu viele Effekte gleichzeitig. Weniger ist oft wirksamer.

Zach: Hinzu kommt, dass Outfits oft nicht zur eigenen Rolle oder Stimmung passen. Besser man stellt sich die Frage: Was möchte ich heute ausstrahlen – Kompetenz, Kreativität, Nähe, Autorität? Farben werden häufig zufällig kombiniert, drei harmonierende Töne reichen meist. Proportionen sind entscheidend: Ein weites Teil sollte mit einem schmaleren kombiniert werden, sonst geht die Form verloren.

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