Ein Horn für die Kunst: neuer Hype um das Fabeltier
Man konnte reinbeißen, es knuddeln, die bunte Mähne flechten oder es im Fasching als Onesie überstreifen. Rund zehn Jahre ist es her, dass der Einhorn-Hype seinen Höhepunkt erreichte und eine scheinbar grenzenlose Produktflut auslöste: Von Schokolade über Spielzeug bis hin zu Make-up, Schulheften, Accessoires und Kaffeebechern drehte sich alles um das gehörnte Pferd. Mittlerweile ist der Trend zwar ein wenig abgeebbt, doch bis heute gibt es zahlreiche Kunst- und Psychologie-Bücher sowie Insta-Blogs, die sich dem Einhorn widmen – vom Malen und Zeichnen bis zum Backen und Basteln. Auch Kinderbücher erzählen davon, etwa der Bestseller „Das Neinhorn“, der Klassiker „Das Märchen vom Einhorn“ oder „Das tapfere Schneiderlein“ der Brüder Grimm. Für Kinder wurde das Unicorn so zum vertrauten Schutzwesen, für Erwachsene zum Glücksbringer. Zudem muss das Einhorn öfter als Symbol der queeren Bewegung oder für Esoterik-Seminare herhalten - es kann sich eben gut anpassen. Und jetzt lockt eine große Ausstellung über das Fabeltier in der Kunst Besucher ins Museum Barberini in Rom.
Bis 1. Februar im Museum Barberini Rom zu sehen: Einhorn. Das Fabeltier in der Kunst
Symbol für eine ideale Welt
Warum das Pferd mit dem Fantasiehorn so beliebt ist? Seit der Antike steht es für das Träumerische, die Freiheit, Unzähmbarkeit und eine ideale Welt. Kein Wunder also, dass die Sehnsucht nach fantasievollen Fabeltieren, die auch Toleranz und Vielfalt verkörpern, in heutigen Zeiten andauert. Meist in strahlendem Weiß stehen Einhörner bis heute für Reinheit, Unschuld, Heilung und das Gute. Der Künstler Damien Hirst setzte zwar in einer Ausstellung in Monaco mit „Myth“, einem roten Unicorn aus Bronze, dem Fabeltier ein Denkmal, konservierte aber auch ein weißes Pferd mit einem Narwalzahn als Horn in einer vergoldeten Formaldehydvitrine für die Nachwelt. „The Child’s Dream 2008“ stand als Metapher für Andersartigkeit, Magie und Provokation.
Maerten de Vos, Einhorn, 1572, Öl auf Eichenholz. Bis 1. Februar im Museum Barberini Rom zu sehen
Der norwegische Künstler Børre Sæthre versetzte wiederum den Mythos im Osloer „Astrup Fearnley Museet“ mit der Installation „My Private Sky“ in einen futuristischen Plastikraum: Er zeigte ein Fantasy-Raumschiff, in dem das Fabelwesen nordische Mystik ins All verströmt.
Das Einhorn in der Kunst: René Magritte, Der Meteor, 1964, Öl auf Leinwand.
Und im Buch „Das Einhorn – Geschichte einer Faszination“, von den Autoren Bernd Roling und Julia Weitbrecht heißt es: „Das Einhorn fasziniert die Menschen seit jeher. Während es sich heute als fantastisches Motiv auf T-Shirts tummelt, bestand in der Antike und im Mittelalter kein Zweifel an seiner Existenz. Erst im 17. Jahrhundert wiesen es Naturforscher dem Reich der Fabeltiere zu.“ Als popkulturelles Phänomen war das Unicorn Weitbrecht zuvor suspekt, während Roling meint: „Ich habe in der Tat auch ein durchaus popkulturelles Faible für Einhörner. Ich mag die auch so.“ Wie schön, dass im Museum Barberini in Rom die Ausstellung „Einhorn. Das Fabeltier in der Kunst“ über die Geschichte des Tieres, das es gar nicht gibt, bis Februar zu sehen ist.
Angela Hampel, Weiblicher Akt auf Einhorn, 1988, Farblithografie, Museum Barberini
„Das Einhorn ist magisch. Das mythische Wesen ist ein vielschichtiges Zeichen, von dem eine besondere assoziative Energie ausgeht. Es ist in keinem Zoo als lebendes Tier zu sehen, aber zugleich allgegenwärtig, in der Popkultur, als Werbung oder in den Kinderzimmern“, erklärt Michael Philipp, Chefkurator des Museums Barberini und Kurator der Ausstellung, in der 150 Werke aus einem Zeitraum von etwa 4000 Jahren, darunter Gemälde, Zeichnungen, Druckgrafiken, Manuskripte, Plastiken und Tapisserien, zu sehen sind. „Das eine Horn auf der Stirn, das kein anderer Vierfüßer trägt, gilt als Zeichen der Auserwähltheit. Die Ausstellung zeigt das beliebte Fabeltier als etwas Außergewöhnliches, das einer anderen Welt als der alltäglichen angehört. Dieser übernatürliche Status, seine ferne Vertrautheit, macht es zu einer Projektionsfläche für Sehnsüchte und Idealvorstellungen, die sich aus überlieferten Geschichten und Bildern speist.“
Wandbehang: Jungfrau mit Einhorn am Brunnen und Jagdgruppen, vermutlich flämisch oder niedersächsisch, Ende des 15. Jhds.
Anhand antiker Kunstwerke – vom monumentalen Gemälde von Maerten de Vos bis zu einem Altargemälde von 1480, auf dem Erzengel Gabriel das Einhorn zur Jungfrau Maria scheucht – werden die symbolischen Facetten des Fabelwesens beleuchtet.
Hans Reisinger, Gießer, Springendes Einhorn, vor 1589, Gelbguss
So wird sein mythologischer Wandel über Jahrtausende in kulturellen, religiösen und wissenschaftlichen Kontexten sichtbar. Wie das Einhorn für Künstler ab dem 19. Jahrhundert zur Inspiration wurde, zeigen wiederum die Werke von Arnold Böcklin bis René Magritte oder Rebecca Horn.
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