Schuldige Scheidung: Gibt es die noch?
Der Fall: „Die Schuld eines Menschen ist schwer zu wiegen“, schreibt der berühmte Strafverteidiger Ferdinand von Schirach in seinem Buch „Schuld“. „Wir streben unser Leben lang nach Glück. Aber manchmal verlieren wir uns, und die Dinge gehen schief. Dann trennt uns nur noch das Recht vom Chaos“. In Schirachs Fällen geht es um unaussprechliche Gewalttaten und eine unfassbare Schuld, die Menschen auf sich laden. Im Familienrecht sind es meist nicht die großen Verbrechen, es sind die kleinen Taten, die täglichen Sticheleien und Gemeinheiten oder auch nur einfach das Nichtstun, das Nichtbeachten, das Nichthinschauen, das dazu führt, dass eine Ehe zerbricht. Ist es fair, dass der schuldig geschiedene Ehepartner lebenslang Unterhalt zahlen muss? Und ist das Verschuldensprinzip überhaupt noch zeitgemäß? Oder sollte der Unterhalt nicht ein Ausgleich dafür sein, was einer für die Ehe aufgegeben hat?
Mag. Carmen Thornton:
In Österreich müssen auch im Jahr 2025 immer noch die Gerichte darüber urteilen, wer die Schuld an dem Scheitern der Ehe trägt. Das Gericht muss dabei nicht nur herauszufinden, wer welche Eheverfehlungen begangen hat, z. B. ob jemand eine Affäre hatte oder der andere vielleicht nur übermäßig eifersüchtig war. Es muss auch entscheiden, inwieweit diese Verfehlungen einander bedingt haben und welches Verhalten letztlich die Ehe zum Zerbrechen gebracht hat.
Warum tut man sich so ein Verfahren an? Manchmal vielleicht aus Rache oder für die persönliche Genugtuung und die offizielle Bestätigung, dass nur der andere schuld war. Zumeist aber, weil wesentliche Rechtsfolgen und nicht selten die eigene Existenz davon abhängen. Das Verschuldensprinzip ist – etwas überspitzt – eine Mischung aus Straftribunal und Roulettespiel, denn innerhalb von wenigen Verhandlungsstunden entscheidet das Gericht aufgrund von Aussagen der Ehepartner und Zeugen sowie der vorgelegten Urkunden, ob nur einen das überwiegende Verschulden trifft oder nicht doch beide ihren Teil beigetragen haben. Die Folge: Der schuldlose Ehepartner hat einen lebenslangen Unterhaltsanspruch, der nur während einer Lebensgemeinschaft ruht und erst mit einer Wiederverheiratung erlischt.
Klage innerhalb von 6 Monaten
Wer eine Eheverfehlung entdeckt und sich deshalb scheiden lassen möchte, muss dies innerhalb von 6 Monaten tun. Warum? Das Gesetz geht davon aus, dass nicht jede Eheverfehlung zur Trennung führt. Und man soll sich die Verfehlungen des anderen nicht quasi auf Vorrat aufheben können, um im passenden Moment die Scheidung zu verlangen. Allerdings ist die Frist bei einer Mediation oder Paartherapie gehemmt und wer beim Fremdgehen erwischt wurde und diese Liaison nicht aufgibt, darf auch nicht auf einen Fristablauf hoffen, denn die Frist beginnt erst mit dem Ende der Affäre zu laufen. Und selbst wenn man sich langsam auseinanderlebt oder die Frist verpasst – spätestens, wenn der andere die Scheidung will, um für die neue Liebe frei zu sein –, kann man mit dem Verschuldenseinwand alle Eheverfehlungen aufs Tapet bringen und um den Unterhaltsanspruch pokern.
Carmen Thornton ist Rechtsanwältin in Wien.
Macht das Sinn: Nein, denn es kann nicht sein, dass nach einer jahrzehntelangen Ehe, in der einer seine Karriere aufgegeben, den Haushalt geführt und die Kinder erzogen hat, ein einziger Fehltritt oder auch nur der Mangel an Beweisen dazu führt, dass man den Unterhaltsanspruch und damit seine Existenzgrundlage verliert. Umgekehrt entspricht es wohl kaum dem Gerechtigkeitsempfinden, dass jemand, der nach einem Jahr Ehe bei einer „betrunkenen Geschichte“ erwischt wird, lebenslang Unterhalt zahlen muss, der bei großen Gehaltsunterschied schnell einmal mehrere Tausend Euro im Monat ausmachen kann.
Obsorgeverfahren
Eine Reform ist daher dringend notwendig, viele andere europäischen Staaten haben das Verschuldensprinzip schon lange abgeschafft. Bei uns steht das zwar im aktuellen Regierungsprogramm. Wie die Reform aussehen soll, ist aber offen. Es müsste viel mehr in Richtung eines bedarfsorientierten Unterhalts gehen. Dabei können verschiedene Faktoren einfließen. Etwa die Dauer der Ehe und ob jemand den Beruf für die Ehe aufgegeben hat, um die Betreuung der gemeinsamen Kinder zu übernehmen. Das würde dem Sinn des Unterhalts und der Fairness sicher mehr entsprechen als eine Strafzahlung für ein tatsächliches oder vermeintliches Verschulden.
Mag. Johannes Kautz:
Die Ehe ist ein Vertrag. Und pacta sunt servanda. Dieser Grundsatz gilt seit Jahrhunderten. Mit der Eheschließung verpflichtet man sich nicht nur dazu, nach Kräften zum Lebensunterhalt beizutragen und dem anderen Unterhalt zu leisten, sondern auch zum gemeinsamen Wohnen, zur Treue, zur anständigen Begegnung und zum gegenseitigen Beistand.
Kein Schmerzengeld
Anders als der Unterhalt können die rein persönlichen Pflichten nicht gerichtlich durchgesetzt werden. Man kann seinen Ehepartner nicht mit Klage zur Mitarbeit im Haushalt verpflichten, ihm eine Affäre verbieten oder ihn zwingen, wieder in die Ehewohnung einzuziehen. Es gibt auch kein Schmerzengeld für verlorene Liebe. Die einzige Möglichkeit ist, die Eheverfehlungen als Scheidungsgrund geltend zu machen, mit allen vermögensrechtlichen Konsequenzen.
Wenn diese Sanktion wegfällt, werden aus ehelichen Pflichten unverbindliche Handlungsempfehlungen, die das Papier nicht wert sind, auf dem sie geschrieben sind. Was bedeutet schon ein Eheversprechen, an das keiner gebunden ist? „Bis das der Tod euch scheidet“ heißt eben nicht „Bis es sich einer anders überlegt“. Und in Österreich sind grundsätzlich sogar mündliche Verträge gültig. Warum sollte für eine Zusage vor dem Standesamt etwas anderes gelten?
Es heißt oft, dass das Verschuldensprinzip nicht mehr zeitgemäß ist. Ich finde, das Gegenteil ist der Fall. Das Bedürfnis nach finanzieller Absicherung besteht nach wie vor, der gesellschaftliche Druck, zu heiraten, ist aber bei Weitem nicht mehr so groß wie früher. Auch der Kinderwunsch ist nicht notwendigerweise ein Grund für die Ehe, denn uneheliche Kinder sind mittlerweile rechtlich völlig gleichgestellt. Niemand kann dazu gezwungen werden, Ja zu sagen. Wer dieses Versprechen freiwillig gibt, soll es nicht einfach ohne Konsequenzen brechen können.
Johannes Kautz ist Rechtsanwalt in Wien.
Und ja, es mag schon sein, dass sich im Nachhinein oft nicht mehr so genau sagen lässt, wer schuld an der Scheidung ist, weil Eheverfehlungen wie ein Seitensprung oder der Auszug aus der Ehewohnung mehr Symptom als Ursache einer Ehekrise sind. Das klassische Henne-Ei-Problem. Dass der Ausgang eines Gerichtsverfahrens maßgeblich davon abhängt, wer rechtzeitig angefangen hat, Beweise zu sammeln oder wer sich vor Gericht besser präsentiert und die bessere Story erzählt, ist aber in vielen Bereichen so. In Erbschaftsstreitigkeiten wird über die Auslegung eines Testaments gestritten und der einzige, den man wirklich fragen könnte, würde sich im Grab umdrehen, weil die Erben gerade das hat erarbeitete Vermögen verstreiten. Und in manchen Prozessen sagen fünf Zeugen aus und jeder erzählt eine völlig andere Geschichte. Recht haben bedeutet nicht automatisch, Recht zu bekommen.
Finanzielle Absicherung
Ich finde aber auch, dass ein Ehegatte, der wegen der Kinderbetreuung beruflich zurückgesteckt hat, nach vielen Ehejahren nicht ohne finanzielle Absicherung darstellen sollte, nur weil er das Verschulden nicht nachweisen konnte. Die Abschaffung des Verschuldensunterhalts mit der Folge, dass auch diese finanzielle Absicherung verloren geht, ist aber keine Lösung. Daher sollte unabhängig vom Verschulden ein befristeter und bedarfsorientierter Unterhalt zustehen, der die finanziellen Nachteile der Kinderbetreuung und Haushaltsführung ausgleicht. Derzeit profitiert der einkommensschwächere Partner ohne Verschuldensausspruch nicht einmal von den in der Ehe erwirtschafteten Pensionsanwartschaften.
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