Der Partyschreck

Ich bin befördert worden. Paul weiß noch nichts von meiner Weiterentwicklung. Es war keine Zeit, ihn zu benachrichtigen. Alle fünf Minuten ist ein anderer Kollege in meinem Büro gestanden, um mir zur neuen Aufgabe zu gratulieren. Die Nachricht, dass mir eine halbstündige Audienz in der Chefredaktion gewährt worden war, hatte sich im Laufe des Vormittags in der ganzen Redaktion verbreitet. Später werde ich daran denken, Paul anzurufen.
Mit zwanzigminütiger Verspätung komme ich im Heurigendörfchen Grinzing an. Kurti, Jos Fotograf, tippt demonstrativ auf die Uhr, als er mich sieht. Über seiner Schulter hängt eine große braune Fototasche. Woran er mich erkannt hat, traue ich mich nicht zu fragen. „Schon mal was von anrufen gehört?“, sagt er mürrisch und betritt das Lokal, ohne mich weiter zu beachten.Ein Kellner nimmt mir die Jacke ab und zieht die Augenbraue hoch, als mein schwarzes Kostüm zum Vorschein kommt. Kurti schüttelt den Kopf. „Sag, Mädchen, hast du die Einladung nicht gelesen? Da steht riesengroß, dass alle Gäste in Tracht kommen sollen.“ Er selbst trägt ein hellgrünes Jägerleinensakko.
„Äh, nein“, sage ich, „wahrscheinlich hat Jo vergessen, es mir zu sagen.“ „Kann das Fräulein nicht selber lesen?“, fragt Kurti und geht. Mit einigem Abstand folge ich ihm in die Gaststube und möchte in ein Loch im Boden versinken. Niemand, außer mir, trägt kein Dirndl. Auf dem Treppenabsatz habe ich Kurti eingeholt. „Ist das da hinten eine Schauspielerin?“, flüstere ich, bekomme aber keine Antwort, weil Kurti nicht mehr neben mir steht. Ein graumelierter, solariumbrauner Herr beobachtet mich. Als ich ihn auf mich zukommen sehe, ist es zu spät, um davonzulaufen.„Kann ich Ihnen helfen?“, fragt er, „das ist eine geschlossene Veranstaltung.“ Meine Erklärungen überzeugen ihn nicht, das Zauberwort Hagedorn funktioniert nicht bei ihm.
„Darf ich Sie jetzt hinausbegleiten“, sagt er. Ich klammere mich am Türstock fest. „muss ich die Polizei rufen?“ Seine Stimme ist unfreundlich. In letzter Sekunde kommt Kurti mir zu Hilfe. „Servus, Hansi! Wie geht’s dir denn?“ Sie klopfen einander gegenseitig auf die Schulter.Sicherheitshalber lasse ich den Türstock trotzdem nicht los. Hier ist also der Hansi der Chef.
„Das ist die Carola, die neue Assistentin von der Jo“, sagt Kurti, macht eine wegwerfende Handbewegung und ein angewidertes Gesicht dazu. Hansis Reaktion überrascht mich. Er windet sich in Entschuldigungen und bestellt zur raschen Wiedergutmachung zwei Gläser Sekt: „Du bist also die Caroline! Jetzt trinken wir auf Du. Wenn du etwas brauchst, kommst du zu mir.“
„Camilla“, sage ich. Aber mein neuer Freund Hansi hat sich schon jemanden anderem zugewandt. Ich stelle mich in eine Ecke in der Nähe der Küche auf und beobachte die Geburtstagsgesellschaft. In der Mitte des Raumes steht Herbert Kröll und begrüßt seine Gäste. Bei jedem, den er überschwänglich umarmt und küsst, habe ich den Eindruck, er müsse mindestens sein allerbester und ältester Freund sein. Zu seiner Rechten biegt sich der Gabentisch unter unpersönlichen Geschenken: Weinflaschen, Bildbände, Esskörbe und Blumenstöcke.
Krölls Frau Bibi ist eine reife Schönheit mit der Figur eines jungen Mädchens. Geschmeidig tänzelt sie zwischen den Gästen durch und verteilt lächelnd Komplimente für grelle Dirndln und Krawatten mit Hirschen. Ein dottergelbes Taftdirndl steuert direkt auf mich zu. Die Person mit dem grauen Pagenkopf habe ich vorher noch nie ge-sehen. Vielleicht will sie mich auch hinausschmeißen, vielleicht ist sie Hansis Frau. Ich sehe weder Kurti noch Hansi, die mir hätten helfen können.
Als die Dottergelbe vor mir steht, umweht mich ihr schweres Maiglöckchenparfum. Bei jeder Bewegung raschelt ihre Taft-Schürze.„Sie, Fräulein“, sagt sie, „bringen Sie mir eine Flasche Sekt.“ Obwohl sich das weibliche Servierpersonal durch einheitlich blau-rote Schürzen gut erkennbar von den Gästen abhebt, hält sie mich für eine Kellnerin.
Christiane Tauzher, „Bitterlemon – Der böse Societyroman“, Goldegg Verlag,266 Seiten, 19,95 €
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