Ein kostbarer Kelch aus Wien: Die Geschichte der Tulpe
Die Tulpe: Eine Blume voller Grazie und Farbmacht. Zum Objekt der Begierde wurde sie vor 500 Jahren in Wien. Von Uwe Killing
23.03.20, 06:00
Der goldgelbe Kelch, von der Natur elegant geformt und von sattem Grün umgeben, erregt sofort unsere Aufmerksamkeit. Natürlich sind wir auch besonders empfänglich für diese Leuchtkraft, nach langen, eher matten Wintertagen. Doch eine Tulpe hat eindeutig mehr zu bieten, als nur die Frühaufsteherin unter den Boten des Frühlings zu sein. Sie fasziniert uns mit klassischer Schönheit und ihrem Reichtum an Farben. Und wer in ihre Geschichte eintaucht, der wird möglicherweise überrascht sein: Der Siegeszug der Tulpe begann keineswegs in Amsterdam.
Wien anno 1560: Maximilian´II. ließ in den Auen des heutigen Praters ein neues Jagdgebiet erschließen. Vor seiner Residenz, der Hofburg, erblickten zur gleichen Zeit nie zuvor gesehene Blüten das Tageslicht. Der Leiter der kaiserlichen Gärten, der aus Flandern stammende Charles de l’Éclus, hatte die Samen tausendfach ausgestreut, nachdem sie zuvor eine lange Reise zurückgelegt hatten. Ihr Ausgangspunkt war Konstantinopel, das heutige Istanbul. Dort pflegte der Habsburger Gesandte eine gute Beziehung zu Sultan Süleymann, ausgedrückt in einer kostbaren Gastgabe: das Saatgut einer Blume, die in den Palästen als Symbol von Fruchtbarkeit und Lebensfreude verehrt wurde. Ein wildes Steppengewächs wurde im Osmanischen Reich zur „Tülbent“, weil die geschlossene Blüte einer gleichnamigen Kopfbedeckung ähnelte. Von Wien aus verbreitete sich das Juwel aus dem Orient dann später in den Niederlanden. Charles de l’Éclus (lateinisch: „Clusius“) galt als einflussreichster Botaniker seiner Epoche, der die Rosskastanie und den Flieder in Österreich einführte. Auch im südholländischen Leiden, an deren Universität Clusius berufen worden war, sorgten seine privaten Beete schnell für Furore, und die exotische „Tülbent“ wurde ein Objekt der Begierde, kostbarer als Gold.
Im wirtschaftlich „goldenen Zeitalter“ der Niederländer im 17. Jahrhundert erzielte eine einzige Tulpenzwiebel den Preis von 5.500 Gulden, während Rembrandts Gemälde „Die Nachtwache“ seiner Zeit 1.600 Gulden wert war. Im Jahr 1636 platzte die Spekulationsblase an der Börse und das „Tulpenfieber“ fand sein jähes Ende. Die Niederlande betreiben aktuell 85 Prozent des Weltanbaues von Tulpen. Es ist ihre Nationalblume, „Tulpen aus Amsterdam“ so etwas wie die inoffizielle Hymne im Land der Grachten und Gewächshäuser. An die Anfänge erinnert heute noch die Sorte „Rembrandt“, ein Spätblüher, der die Tulpen-Saison mit auffälligen Mustern anreichert. Dabei sind die mehrfarbigen, flammenartigen Verläufe streng genommen genetische Defekte, ausgelöst von Blattläusen, die mit ihren Bissen den Pflanzenfarbstoff Anthozyan außer Kontrolle gebracht haben. Wer in diesen ersten Frühlingstagen gelbe Tulpen geschenkt bekommt, den wird das innewohnende Sonnenlächeln berühren. Eine reine Geste der Freundschaft. Und mehr soll man auch gar nicht hineininterpretieren, jedenfalls gemäß der Tulpensprache, wie sie sich über Jahrhunderte herausgebildet hat. Als Orientierung für die 5.000 existierenden Tulpenarten mag gelten: Je tiefer die Gefühle, desto dunkler die Blüte.
Farbenlehre und Tulpenfieber
Im Orange zeigt sich die Faszination für einen anderen Menschen. Rosa steht für zarte Verliebtheit, bei Rot ist die Liebe entflammt. Deren Vollendung mit einer alles durchdringenden Leidenschaft symbolisiert sich in der schwarzen Tulpe. Mit der Züchtung „Königin der Nacht“ gelang Jan Jacob Grullemans eine Annäherung. Im Licht betrachtet ist es ein Purpur. „Die schwarze Tulpe“ ist somit bis heute eine Fantasie – wie in dem gleichnamigen, 1850 erschienenen Roman von Alexandre Dumas. Zur Zeit des niederländischen Tulpenfiebers lässt Dumas einen jungen Gärtner nach der Zauberformel für eine schwarze Tulpe suchen. Denn sie würde ihn zum reichen Mann machen. Die Tulpe ist an sich eine bodenständige Blume und nicht so kitschgefährdet wie die Rose. In ihrer bunten Verrücktheit hält sie locker eine Woche in der Vase durch, ob nun als kaminrotes „Rotkäppchen“ oder im extravaganten Violett der „Arabian Mystery“. Und selbst die plastikumhüllten Angebote an der Discounter-Kasse sollten nicht vergessen machen: Die Tulpe ist auch ein sehr sinnliches Gewächs, allemal, wenn man ihre Herkunft kennt.
Buchtipp:Tulpen von Peter Arnold. Vorwort von Sir Elton John, teNeues, 144 Seiten, 116 Farbfotografien Texte in Deutsch und Englisch, 19 €, https://www.teneues-buecher.de
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