Ein kostbarer Kelch aus Wien: Die Geschichte der Tulpe

Ein kostbarer Kelch aus Wien: Die Geschichte der Tulpe
Die Tulpe: Eine Blume voller Grazie und Farbmacht. Zum Objekt der Begierde wurde sie vor 500 Jahren in Wien. Von Uwe Killing

Der goldgelbe Kelch, von der Natur elegant geformt und von sattem Grün umgeben, erregt sofort unsere Aufmerksamkeit. Natürlich sind wir auch besonders empfänglich für diese Leuchtkraft, nach langen, eher matten Wintertagen. Doch eine Tulpe hat eindeutig mehr zu bieten, als nur die Frühaufsteherin unter den Boten des Frühlings zu sein. Sie fasziniert uns mit klassischer Schönheit und ihrem Reichtum an Farben. Und wer in ihre Geschichte eintaucht, der wird möglicherweise überrascht sein: Der Siegeszug der Tulpe begann keineswegs in Amsterdam.

Wien anno 1560: Maximilian´II. ließ in den Auen des heutigen Praters ein neues Jagdgebiet erschließen. Vor seiner Residenz, der Hofburg, erblickten zur gleichen Zeit nie zuvor gesehene Blüten das Tageslicht. Der Leiter der kaiserlichen Gärten, der aus Flandern stammende Charles de l’Éclus, hatte die Samen tausendfach ausgestreut, nachdem sie zuvor eine lange Reise zurückgelegt hatten. Ihr Ausgangspunkt war Konstantinopel, das heutige Istanbul. Dort pflegte der Habsburger Gesandte eine gute Beziehung zu Sultan Süleymann, ausgedrückt in einer kostbaren Gastgabe: das Saatgut einer Blume, die in den Palästen als Symbol von Fruchtbarkeit und Lebensfreude verehrt wurde. Ein wildes Steppengewächs wurde im Osmanischen Reich zur „Tülbent“, weil die geschlossene Blüte einer gleichnamigen Kopfbedeckung ähnelte. Von Wien aus verbreitete sich das Juwel aus dem Orient dann später in den Niederlanden. Charles de l’Éclus (lateinisch: „Clusius“) galt als einflussreichster Botaniker seiner Epoche, der die Rosskastanie und den Flieder in Österreich einführte. Auch im südholländischen Leiden, an deren Universität Clusius berufen worden war, sorgten seine privaten Beete schnell für Furore, und die exotische „Tülbent“ wurde ein Objekt der Begierde, kostbarer als Gold.


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