Des Kaisers Partisanen

Es war in den 1960er-Jahren – lang, lang ist es her – dass ich mit einem Studienfreund zu einem damals populären Abenteuer vieler europäischer Studenten aufgebrochen bin: Man nannte es Autostopp, und das bestand darin, bei Tankstellen, Auffahrten und Mautstellen Autofahrer anzubetteln, dass sie einen ein paar Kilometer mitnehmen. Lkw entpuppten sich oft als rüttelnde Stinker, deren Fahrer die Autostopper als Zwangsarbeiter beim Ent- und Beladen benutzten. Richtiges Reisen war damals kompliziert und aufwendig; Österreich war weit von den Meeren entfernt, im Osten verhinderte der Eiserne Vorhang absichtsvoll das Entstehen von Tourismus. Und es haperte auch an zeitgemäßen Unterkünften. Es waren die cleveren Italiener, die zuerst die Karawanen der Nordmenschen zu den langweiligen Hausmeisterstränden von Jesolo, Caorle und Lignano lotsten und nebenbei sogar noch viel Sympathie für die Italianità bewirkten – „Katzelmacher“-Vorurteile schliefen langsam ein.Jedenfalls war da für junge Abenteurer ein Augenschein im „wilden“ Osten der Adria spannender. Denn dort existierte nicht nur das größte Land des Balkans – regiert durch den autoritären Staatschef Josip Broz Tito –, sondern eine ziemlich gnadenlose Volksdemokratie, die dem poststalinistischen Moskauer KP-Kartell Widerstand leistete. Dennoch war der ehemalige k.u.k. Automechaniker, Frauenheld und KP-Revolutionär Tito für viele Linke im Westen zum Säulenheiligen geworden.
Zurück: Unser Autostopp-Marathon begann mit stundenlangem Warten auf irgendwelche Passstempel am Grenzübergang in Spielfeld. Und kaum am blauen adriatischen Meer angekommen, entdeckten wir, dass das jugoslawische Regime die schönsten Badebuchten und Trauminseln mit grauenvollen Urlaubersilos zubetoniert hatte. Dazwischen tummelten sich ältliche FKK-Fans im zwangshaften Bewegungskult, als wären sie in der Wiener Lobau. Aber noch etwas entdeckten wir Abenteurer: Je tiefer wir in dieses Südslawien entlang der Küste vordrangen und je öfter uns die KP-Polizei beim Autostoppen sekkierte, desto klarer wurde uns, dass es gar keine „Jugos“ gab, sondern Kroaten und Slowenen, Serben und Montenegriner, Dalmatiner und Bosniaken, Hajduken, Uskoken, Walachen, Albaner usw. Sie alle stritten sich nicht nur untereinander wegen ihrer Volkscharaktere und Sprachen, sondern wegen der internen Bewertung der konfessionellen und historischen Bindungen – und zwar vor allem zu Österreich. So trennte sich auch keine andere Teilrepublik Jugoslawiens nach Titos Tod (1980) so konsequent von der Bundesführung im serbischen Belgrad – wie jene Kroatiens; kein anderer Balkanstaat betonte auch durch Wort und Tat so sehr seine „europäische“ Rolle; niemand aus dem zerfallenen Ostblock nahm jene diskreten Hilfen an, die die damaligen Außenminister Hans Dietrich Genscher und Alois Mock für Kroatiens Weg zur EU anboten.
So wurden auch trotz vieler Rückschläge und Widrigkeiten Deutschland und Österreich zumindest zeitweilig in Brüssel und anderswo zu Protektoren einer Rückkehr Kroatiens nach Europa: „Čestitam od sveg srca!“ Was aber bedeutet für die Kroaten die österreichische Geschichte? Begonnen hatte es mit dem Beschluss der kroatischen Adelsversammlung 1526, sich aus purer Angst vor den wilden Türken unter den Schutzschirm der habsburgischen Nachbarschaft zu stellen – und ihren Beitrag zur Verteidigung der „christlichen Sache“ zu leisten. Das hieß: Höchsten Segen vom Papst, Geld von Venedig, militärische Befehle aus Graz. Der Plan: Von Istrien und Slawonien über Südungarn bis ins heutige Rumänien eine fast tausend Kilometer lange Militärgrenze gegen den Islam zu errichten. Bewaffnet pflügten in dieser Zone die kroatischen Wehrbauern ihre Felder, brachten Oliven und Wein gemeinschaftlich ein und waren dankbar für die österreichischen Privilegien und Steuerfreiheiten. Immerhin wäre die systematische und gewaltsame Vertreibung der Türken ohne Kroaten nie möglich geworden und Wien wäre als „Goldener Apfel“ irgendwann dem türkischen Druck erlegen.
Auch formierte man aus der Grenz-Elite bald jene Regimenter, die man als „Panduren“ dorthin schickte, wo die Habsburger gerade engagiert waren und sogar die Existenz der Monarchie auf dem Spiel stand; und das war oft der Fall. Da „bestrafte“ der Grenzer-Anführer Freiherr Franz von der Trenck 1742 im Österreichischen Erbfolgekrieg mit seinen Kroaten das benachbarte Bayern, weil die Münchner nicht Maria Theresia, sondern die Preußen unterstützt hatten; oder Graf Andreas Hadik, der 1757 mit seinen kroatischen Husaren Berlin besetzte – ein kolossaler, wenngleich kurzer Prestigeverlust für den Landräuber Friedrich II. Als 1848 in Europa die Revolution ausbrach, rettete Kroatiens „Banus“ Joseph Jelačić dem jungen Franz Joseph seine kaiserliche Hauptstadt Wien. Daheim in Zagreb reitet heute noch Jelačić auf einem Reiterstandbild gegen Habsburgs Feinde. Andere Grenzerfamilien nahmen das Angebot an, sich als friedliche Neusiedler in der weiten Donaumonarchie niederzulassen – ihre Nachfahren sind z.B. heute die burgenländischen Kroaten rund um den See. Eines ihrer kroatischen Marienlieder verwendete Joseph Haydn später als Melodie-Inspiration für die alte österreichische Kaiserhymne; und die Wiener Schriftstellerin Paula Preradović dichtete 1945 den Text der österreichischen Bundeshymne „Land der Berge...“. Sie war die Enkelin des größten kroatischen Dichters Petar von Preradović; und zugleich Mutter der österreichischen Journalistendynastie der Molden.
Dass dann im Ersten Weltkrieg die Kroaten zusammen mit den Bosniaken Österreichs verwegendste Soldaten stellten, erstaunt nicht. Der Sieger nach zwölf Isonzoschlachten gegen Italien war Svetozar Boroevic, der als „Löwe vom Isonzo“ gefeiert wurde. Nach 1918 musste er in Klagenfurt um eine kleine Pension feilschen – für Österreich war er Ausländer ... Nun wird in wenigen Tagen Kroatien gleichberechtigter Partner in der europäischen Wirklichkeit werden. Das mag so manche kritische Feilscherei bewirken, wie das unter den zwölf Europasternen üblich ist – aber Kroatien hat vor allem die Chance zum idealen Urlaubsland mit den saubersten Stränden Mitteleuropas. Ozeanografen haben ausgerechnet, dass zum neuen Mitgliedsland der EU 1.185 Inseln gehören; zusammen mit dem Festland sind das zusätzlich 6.100 Kilometer romantische Küstenlandschaft. Die dem Achtfachen der Pazifik-Küste zwischen San Francisco und Los Angeles entspricht.Wie heißt es in einem derzeit laufenden Werbespot über Kroatien? „Zeitlos, mediterran, schön.“ Wir fügen hinzu: Europäisch.
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