Der Nabel der Welt ...
Der Schriftsteller kam per Schiff. Das hatte Stil. Wir landen mit LAN am winzigen Flughafen Mataveri. Immerhin mit dem Vollmond – unfassbar in zahllosen Erscheinungen: fett goldgelb warm nah zwischen Palmen. Streng bleich kalt fern über dem Meer. Zerfetzt unter wandernden Wolken. Nachtlicht, um süchtig die Uferwege in Hanga Roa abzugehen, die Gischt an zerklüftete Felsen klatschen zu sehen. Am blumenbesteckten Friedhof vorbei, paar hundert Meter bis Tahai: Wo man innerlich aufsalutiert und sich fast bissl fürchtet vor den Moai, den gigantischen steinernen Statuen, leeräugig, langohrig, großnäsig, streng und schlau gemeißelt wie eine Truppe ausgebuffter Senatoren aus der Kinokiste Hollywoods.
Obwohl. Sie dort nur zu fünft oder vereinzelt auf das Innere der 162,5-Quadratkilometer-Insel schauen, um ihr Volk zu behüten, nicht zu fünfzehnt nebeneinander aufgefädelt wie auf dem Ahu Tongariki. Und der Osterinsel-Worldwide-PR-Moai in Tahai, der als einziger Augen (wenn auch imitierte) eingesetzt bekam, mit seinen roten Haaren (nicht „Kopfbedeckung“ laut neuer Forschung) zwar ein wenig plump, doch vertrauenserweckend beschützend wirkt. Besucht man ihn bei Sonnenuntergang, beginnt er zu flimmern und zu schimmern. So einen Ur-Opi hätte man gerne. Bei aller Uneinigkeit der Wissenschaftler über die exakte Aufstellungszeit der sagenhaften Statuen – dass sie Clanchefs, Arikis, und besonders bewunderte Ahnen darstellen, darin stimmen sie überein. Die ersten Besiedler von Rapa Nui verehrten die Sonne und richteten ihre Kultplätze nach ihr aus: Steinplattformen, Ahus genannt, mächtige rampenartige Aufschichtungen nahe der Küste, mit hohen Stützmauern zum Meer hin geschützt. Tapu, streng bis zur Todesstrafe tabu für das gemeine Volk.
Wir Demokraten. Wollen glauben dass Mond & Moai gutes Mana auf uns strahlen: Die Ceviche im Mama Nu auf Holztischen unter Palmen schmeckt so himmlisch wie der Pulpo im Kanahau auf der Hauptstraße wie die Languste am Uferweg-Restaurant mit dem sinnigen Namen Au bout du monde; die chilenischen Sauvignon Blancs sowieso, wenn auch am besten der EQ coastal 2015 von Matetic. Ein zwei Pisco Sour passen immer. Doch. Gourmetgschisteln kann man später, wobei dann im Restaurant Enrico Rapa nui ein Umu probiert werden muss – polynesischer Eintopf aus Fisch, Meeresfrüchten und Wurzelknollen, in einem Erdofen gegart. Jetzt aber. Unterm vollmondigen mana, den übernatürlich göttlichen Kräften, mit denen die ariki, die Stammesführer der selbst ernannten aristokratischen Familien gute fünfhundert Jahre die Insel regiert haben, wollen wir detektivische Energien mobilisieren. Nicht einfach. Wenn selbst Bücher einander widersprechen, wann was wie und warum geschah. Nachdenken, rechnen, tüfteln. Man muss ja kein Ethnologie-Studium daraus machen, sich in einen Insulaner verlieben und dort bleiben, wie die deutsche Führerin der Tagestour zu den „Höhepunkten“.
Den Kultstätten Ahu Tahiri mit sechs auf der Nase liegenden Statuen. Den kleinen Ahu-Ruinen mit gekippten Moai am Ende der Flughafenlandebahn, die man zu Fuß umrunden darf. Dem Ahu Akahanga, einer rätselvollen Fundgrube für Archäologen – mit Grabkammern, Fundamenten bootsförmiger Gemeinschaftshäuser, einem Ahu mit sechs übereinander gebauten Konstruktionen, einem Moai, der wie seitlich weggerutscht über einer Rampe ruht. Dem Zeremonialdorf Orongo am südlichsten Punkt von Rapa Nui, wo man das Ticket für den gesamten Nationalpark um 60 US-Dollar löst und dafür Faltblätter über Tier- und Pflanzenwelt der Insel bekommt wie zur Geschichte des Vogelmann-Kults.
Die merkt man sich, auch weil Orongo, die Kraterkante am Vulkan Rano Kau, 300 Meter steil ins Meer stürzt. Weil die erste der vorgelagerten Inselchen, auf denen alljährlich die Rußseeschwalbe brütet, in blendender Sonne spitzfelsig grüngrau aus leuchtendblauen Pazifikwellen sticht. Also. Dorthin schickten ausgewählte Mitglieder ausgewählter Familien eigens trainierte Burschen in einen lebensgefährlichen Wettkampf um das erste Rußseeschwalben-Ei des Jahres.
Sie mussten den Steilhang hinunterklettern, durch wildes Wasser zwei Kilometer zu den Inselsplittern schwimmen, in Höhlen nächtigen, ein Ei finden, in einen um den Kopf gebundenen Beutel bergen, um es beim Zurückschwimmen dem Auftraggeber unversehrt zu überbringen. Die Chefs warteten mit den Priestern an der Felsenkante: Der erste, der ein Ei bekam, rasierte Kopf und Augenbrauen, wurde zum Vogelmann gekürt und regierte mit seinem Stamm ein Jahr lang die Insel.
Das war um die Mitte des 15. Jahrhunderts, als dieser Kult aufkam, erfährt man im Museum. Als die Zeiten schlecht waren. Vorbei mit dem managetränkten Optimismus des ersten Stammesführers Hotu Matua, der Legenden zufolge zweihundert Jahre vorher von der fernen Insel am Horizont geträumt hatte und sieben Kundschafter ausgeschickt, die sie tatsächlich fanden. Mit etlichen Hundert seines Stammes auf der einsamsten Insel Ozeaniens landete, Süßkartoffeln, Taro-Knollen, Zuckerrohr und Bananen pflanzte, endlich das Land unter seinen Söhnen teilte. Die High Society durchbohrte sich die Ohrläppchen, steckte aufgerollte Zuckerrohrblätter ins Lapperlloch, an Festtagen Holzschmuck. Legendenbildend: Langohren im Gegensatz zu den kurzohrigen Hacklern. Die auch noch sonnenverbrannt daherkamen.
Blässe war aristokratisch: Mädchen im heiratsfähigen Alter wurden monatelang in die Jungfrauenhöhle gesperrt, um sexy zu bleichen. Nun. Auch die Baukultur der ahnenkultigen Moai wurde verfeinert: die frühen groben kleinen Statuen immer kolossaler. In der Werkstatt am Rano Raraku, dem Vulkan mit dem historisch faszinierendsten Steinbruch der Welt – klar, der höchste Höhepunkt jeder Besichtigungstour – wurden sie en masse gefertigt: 397, noch unvollendete, Moai in allen Fertigungsstadien übersäen die –uff! – ziemlich steilen Hänge. Stehen und liegen da, wie sie zurückgelassen worden sind, als die Arbeit im Steinbruch ziemlich plötzlich endete. Ein Vulkan war im Westpazifik explodiert, hatte drastischen Klimawechsel verursacht, auch auf Rapa Nui. Brachte Regen, Regen, Regen. Der Humus wurde weggeschwemmt, katastrophale Missernten waren die Folge. Wirtschafts- und Versorgungskrisen gab es. Zwei rivalisierende Gruppen hätten den Osten und den Westen beherrscht, während die Schamanen den Schöpfer und Fruchtbarkeitsgott Makemake mit blutigen Opfern zu versöhnen suchten. So die aktuellen Erkenntnisse der Wissenschaft. Selbst wenn die alte Geschichte der sich um immer mächtigere Moai übertrumpfenden und dafür baummordenden Stämme weitaus dramatischer zu erzählen ist.
Eindeutig klar ist die Entstehung des einsamen Felsendreiecks: Drei Vulkanausbrüche unter dem Pazifik, der erste vor drei Millionen Jahren, der letzte vor 750.000, formten ein gewaltiges Unterwassergebirge, dessen höchster Punkt die Osterinsel ist. Über die Herkunft der Ureinwohner wiederum wurde international heiß „diskutiert“, um es vornehm zu formulieren: Thor Heyerdahl, 1955, nach seiner Kon-Tiki-Expedition für länger auf Osterinsel, hat sie mit dem Buch Aku Aku weltberühmt gemacht, jedoch an ihre Erstbesiedlung via Südamerika geglaubt. Der Rest der Wissenschaftler an eine Besiedlung aus dem polynesischen Raum. Das konnte mittlerweile auch durch genetische, archäologische und linguistische Daten bewiesen werden.
Die Schrift, Rongo Rongo, bleibt ein Rätsel. Die Entdeckung durch die Europäer eine traurig schmerzhaft demütigende Geschichte für die Insulaner. Bis 1966.
Erst da garantierte ihnen die chilenische Verfassung dieselben Rechte wie den Festland-Chilenen. Mitsamt Wasserversorgung, elektrischem Strom, einem Krankenhaus, einer neuen Schule, einem ersten Hotel. Amerikaner befestigten eine 34 Meter lange Flugzeuglandebahn auf der Schotterpiste. Ja, für Touristen. Peinlich überfüllt ist die Insel trotzdem noch nicht. Die meisten bleiben grad drei Tage.
Sonntag. Sollte man dort sein. Sich morgens in der knallvollen Kirche die Messe mit Rapanui-Musik geben: Der Priester trägt weißen Federkopfschmuck und eine rote Blumenkette um den Hals, das Kirchenvolk Blumenhemden, die Damen Blüten im Haar. Die Band besteht aus einem Trommler, einem Ukulelespieler, zwei Gitarristen, und die Gesänge kommen tief-rauh-rauchig, doch vor allem rhythmisch aus den Kehle.
Abends als Kontrast die Folkloretruppe Karikari. Hu!Hu!Hu!, schreien muskulöse Männer und stoßen ihre Speere in den Holzboden. Die gut gebaute Girltruppe lässt die Hüften in rasanten Kreisen beben. Der Mond zieht zwischen wilden Wolken am Fenster vorbei.
ANKOMMEN
Immer mit LAN. Von Santiago de Chile, Lima/ Peru oder Papeete / Tahiti.
Die Preise variieren nach Jahreszeit und (Früh-)Buchungstermin.
AUSSCHLAFEN
Architektonisch interessant im Hanga Roa Eco Village & Spa um 540 US-$. Grüne Großzügigkeit und ein Zertifikat für nachhaltigen Tourismus haben ihren Preis. www.hangaroa.cl
Umweltfreundlich im Hotel Vai Moana, dem ersten mit dem ITR-Umweltzeichen „Biosphère“ ausgezeichneten Hotel in Ozeanien und Amerika. Bungalowanlage,
nahe von Tahai , ab 230 US-$.
www.vaimoana.cl
Budgetfreundlich im Residencial Kona Tau, einfache Zimmer, Kochgelegenheit, Garten, Hängematten, pro Person ca. 40 US-$.
www.hostelling.cl
ANSCHAUEN
Das rechtwinkelige Dreieck Osterinsel hat rund 56 Kilometer Umfang. Geführte Exkursionen empfehlen sich. Geschmacksache, ob ganztägig oder stundenweise punktuell. Museo nicht auslassen. www.turismo.rapanui.cl
Für Solisten: Mietautos, Motor- und Fahrräder. Benzin ist günstig. Wandern am schönsten.
www.rapanuitravel.com
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