Das Rad der Zeit

Ob in der Stadt oder auf dem Land, das Glück ist so greifbar. Einfach auf den Sattel schwingen, in die Pedale treten und den Fahrtwind spüren. Man braucht sich nur umzuschauen. Die Lust am Retro-Radeln ist neu entfacht. Nach dem Boom der Mountainbikes, Carbon-Renner und Elektroräder feiern zwei alte Bekannte ein Comeback – das Klapprad und das Waffenrad. Das eine, weil es – zusammengeklappt – auch auf dem Büroweg per U-Bahn oder Pendlerzug überzeugt. Das andere, weil es durch seine Sperrigkeit dem Prinzip der Entschleunigung entspricht.
Und die Radfans? Die blicken gespannt der „Eurobike“ entgegen: Von 27. bis 30. August präsentieren bei der Internationalen Fahrradmesse in Friedrichshafen mehr als 1.280 Aussteller aus 54 Ländern die neuesten Trends.
Der Möbelpacker mit dem verschwitzten roten T-Shirt lässt die Kiste unsanft zu Boden fallen und schaut mit offenem Mund, als ich vorbeiradle. „Heast, wos isn des?“, fragt er seinen Kumpel. Der klärt ihn auf. „A Klappradl. So was hamma scho als Kinder g’habt.“
Genau. Mit dem entscheidenden Unterschied, dass das Brompton von heute kein lahmes Gefährt ohne Gangschaltung ist, sondern ein stylisches High-tech-Gerät. Zwölf Kilo Fahrrad, die man mit ein Paar Handgriffen auf das Format einer mittleren Einkaufstasche zusammenlegen kann, mit dem man jederzeit in die U-Bahn einsteigen und das man sogar im Railjet der ÖBB, der ansonsten für Fahrräder absolut tabu ist, mitnehmen darf.
Die ersten Meter auf dem Rad: ein bisschen wackelig. Doch dann geht es recht flott dahin. Sieben Minuten von der Neubaugasse bis zum Museumsquartier, 15 bis zur Börse, 20 bis zum Donaukanal, weitere 15 bis zum Büro in der Muthgasse. Genauso schnell wie mit der U-Bahn.
Das Rad bringt Sympathien: Anzugträger mit flatternder Krawatte lächeln aufmunternd. Die g’standenen Radler mit den stählernen Wadeln und dem strengen Geruch schauen eher mitleidig. Viele andere stachelt das Brompton auf. Motto: Dir werd’ ich’s zeigen. Die ältere Dame mit dem Blumenhut überholt schnaufend, um dann zehn Meter vor mir im selben Tempo wie ich weiterzuradeln. Ein bisschen fühlt man sich auf dem Klapprad wie im Kleinstwagen, den Fahrer dickerer Autos net amal ignorieren. Das ist der Smart-Effekt.
In meinem Keller stehen ein Rennrad und ein Mountain-Bike. Ein Waffenrad kenne ich nur vom Hörensagen – und aus Thomas Bernhards Autobiografie „Ein Kind“. Dort sorgt der Klassiker für ein Gefühl der Freiheit, bange Momente – und ein blutendes Bein. Was davon mir wohl blüht? Der neu aufgelegte Klassiker hat es jedenfalls in sich. Mit 18,5 Kilo alles andere als ein Leichtgewicht, wird die Ausfahrt auf 28-Zoll-Laufrädern bei weit geschwungenem Lenker zum Balanceakt. Der Hochgenuss souveränen Flanierens auf Felgen stellt sich nicht von Anfang an ein. Wie alle schauen! Bewundernd, manche auch mit nostalgischen Gefühlen. „Mein Großvater hat so eines, ein originales. Fährt noch immer“, lautete ein Kommentar. Das Waffenrad, vom Vespa-Importeur Faber neu aufgelegt, ist ein Hit. Hingucker und Sympathieträger. Natürlich, für Rennradler ist man eine leichte „Beute“. Macht nichts. Rasen sollen andere. Mit dem Waffenrad geht das irgendwie auch gar nicht. Schon gar nicht mit der Basisversion mit nur drei Gängen. So engagiert man auch in die Pedale tritt, bewegt sich wenig weiter. Die Folge: Da wird schon jeder kleine Hügel zum Berg. Apropos Berg: Stürzt man sich von diesem hinunter, bleibt letztlich die Wahl, ob man vorne bremst, per Rücktritt – oder mit beiden Bremsen zugleich. So gesehen ist das Waffenrad – zumindest wenn es um den Stopp geht – eine echte Wunschmaschine. Ganz schön smart. Und geblutet hat auch nichts und niemand.
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