Narziss & Goldfuß

Im Boxen gilt seit jeher: Die Weltmeister kommen aus den Slums. Wer schon mit sechs um einen Laib Brot wie ums Leben zu kämpfen lernt, der schärft eben – frei nach "Rocky" – das "Auge des Tigers". Im Fußball scheint’s ganz ähnlich: Von ganz unten geht’s, mit diesem sozialen Handikap, nur in zwei Richtungen. Ins "Nichts" oder ins "Alles". Nach ganz oben. Denn: Kein einziger Superstar bisher ist im "gemachten Bett" aufgewacht oder auf der "g’maht’n Wies’n" groß geworden. Gutes Stichwort: Lionel Andrés Messi – in fünf Tagen 27 – wäre wohl sein Leben lang La Pulga (der Floh) geblieben und nie vierfacher Weltfußballer geworden, hätte ihm, dem Kleinsten von vier Kindern eines Fabriksarbeiters und einer Putzfrau im argentinischen Rosario, der mit elf Jahren wegen Wachstumsstörungen grade einmal 1,40 Meter maß, nicht ein "Scout" vom FC Barcelona die notwendige Hormonbehandlung um 900 Dollar pro Monat in Aussicht gestellt. So wuchs der gottbegnadete Goldfuß erst als "Leo, der Große" über sich hinaus: Statt der – maximal prognostizierten – 1,55 bringt es Messi heute immerhin auf 1,69 Meter und kassiert seine Millionen quasi pro Millimeter. Das ist freilich auch Schmerzensgeld, denn während der quälenden Behandlungen als Knabe fühlte er sich, als würden sämtliche Knochen bersten. Noch heute leidet Messi bei Strapazen an den Spätfolgen: Fast in jedem Training oder Match muss er sich mehrmals übergeben.
Sein ebenso genialer Gegenspieler seit neun Jahren, Cristiano Ronaldo, wirkt da wie der perfekte Gegenentwurf, ausgestattet mit dem Triple A des Startums in kurzen Hosen: attraktiv, athletisch, arrogant. Doch, Vorsicht –auch der neckische Narziss von der Blumeninsel Madeira hat seine Wurzeln auf hartem Boden. Sein Vater soff sich mit 51 zu Tode – als Indiz für seinen frühen Alkoholismus mag der Umstand gelten, dass er den ballverliebten Buben nach dem von ihm als Schauspieler verehrten Ex-US-Präsidenten Reagan Ronaldo taufte. Cristiano trinkt durch dieses Kindheitstrauma keinen einzigen Tropfen – wer jemals anderes behauptet, wird von ihm gnadenlos verklagt. Eine der rührendsten, wenn auch nicht wasserdicht gesicherten Anekdoten aus den Tagen als kickender Knirps danken wir einem Jugendfreund. Der behauptet, die Talente-Detektive aus Lissabon hätten vor einem Testspiel verkündet: "Wer von euch heute mehr Tore schießt, den holen wir an die Sporting-Akademie." Je zweimal trafen er und Cristiano. In der letzten Minute sei er allein auf den Tormann zugelaufen, habe allerdings den Ball zum mitgeeilten Kumpel abgespielt, der mit dem dritten Treffer das Tor zur Weltkarriere aufstieß. Auf die Frage Ronaldos nach dem Warum hätte die unbekannte gute Seele gesagt: "Weil du der Bessere bist." Klingt herzergreifend heldisch und war vielleicht auch annähernd so. Immerhin besitzt der Erzähler heute ein prächtiges Haus, eine Autowerkstatt und etliche tolle Schlitten nahe Funchal. Wie er es dazu gebracht habe? Die Antwort lautet schlicht: "Ronaldo."In der Tat ist "CR7" (nach den Initialen und seiner Rückennummer hat er auch zwei Boutiquen, die seine Schwester führt, benannt) wohl um ein Etliches edler als sein eitles Image. Zwar ätzen Spötter, dass sich der "Gel-Manipulierte" als einzige Verletzung einen Haarbruch zuziehen könnte, aber die ganze Gockelei ist mehr Gimmick als Gehabe. Nach dem Verschwinden der Pickel im Gesicht und des schiefen Zahns im Mund genießt Ronaldo die Wandlung vom "patinho feio" zum "bonito cisne". Das hässliche Entlein, das zum schönen Schwan reifte, soll zudem märchenhaft großzügig sein. Seine Prämie für den Champions League-Triumph mit Real Madrid – kolportierte 750.000 Euro – hat er angeblich unter den Physiotherapeuten des königlichen Klubs aufgeteilt: "Ihr habt mich fit gemacht, jeder soll dafür ein neues Auto haben!"
Auch die Umgangsformen dürften sich abgeschliffen haben, seit sich Ronaldo in den Schoß des russischen Topmodels Irina Shayk begeben hat. Schmäh von gestern also, wie er – vor rund fünf Jahren – eine US-Kellnerin mit schlichter Direktheit eroberte ("Me and You? Fucky-Fucky?"), was zur Geburt seines Sohnes führte, den er der One-Night-Mother um eine Million Dollar abgekauft haben soll.
Messi gegen Ronaldo – das ist ein weiteres Duell auf höchster Ebene, vergleichbar mit Euesbio gegen Pelé (1966) oder Beckenbauer gegen Cruyff (1974). Der Kaiser gestand damals gelassen: "Cruyff war der bessere Fußballer – aber ich bin Weltmeister geworden!" Zahllose Superkicker haben’s nicht einmal bis zu einer WM geschafft. Auch ein Rasenwunder wie der Waliser Gareth Bale ist eben allein auf weiter Flur noch keine Mannschaft. Ohne zehn weitere Klasseleute neben sich schafften Kaliber wie Bale oder Ibrahimovic nicht einmal die Qualifikation. Gut möglich, dass die Frage "Messi oder Ronaldo" bei der laufenden WM zur Antwort Neymar führt. Erstaunlich, dass ein (soziales oder körperliches) Handikap häufig die Grundlage zu geschichtlicher Glorie darstellte. Bei der ersten WM, 1930 in Uruguay, sicherte ein Kopfballtor von Hector Castro gegen Argentinien den Titel der Gastgeber. Der Spitzname des Schützen lautete "Il Divino Manco". Der "göttliche Einhändige" hatte seine rechte Hand bei einem Arbeitsunfall als Zimmermann eingebüßt. Ähnlich bemerkenswert: Der zu seinen Glanzzeiten sogar über Pelé einzustufende Zauber-Dribbler Garrincha brachte "dank" einem X- und einem O-Bein, das wegen einer angeborenen Rückgratverkrümmung noch dazu um fast zehn Zentimeter kürzer war, seine hilflosen Gegner zur Verzweiflung. Eines steht allerdings felsenfest: Der absurd-obszöne Gagen- und Prämienwahnsinn (1954 bekamen die deutschen Weltmeister 1.000 Mark, heute wären es 300.000 Euro pro Kopf) hat keinen nachweisbaren Einfluss auf die Spielstärke. Kasse ist nicht gleich Klasse. Geld schießt keine Tore. Spieler tun es, gern auch gegen gutes Geld. Nur: Fußball wäre genauso toll, die selbe globale Droge und das Faszinosum aller Buben & Mädchen dieser Welt, müsste man zum Nulltarif kicken. Denn Fußball ist einfach geil.
Ronaldo und Messi scheinen allein auf weiter Flur, denn: Heiße Anwärter wie Franck Ribéry (Frankreich), Marco Reus (Deutschland) oder Radamel Falcao (Kolumbien) tauchten verletzungsbedingt erst gar nicht in Brasilien auf und der schwedische Gigant Zlatan Ibrahimovic war als Juwel des Drei-Kronen-Teams an der letzten Quali-Hürde (just Ronaldos Portugiesen!) gescheitert. Also: Wen „neymar“ dann? Wayne Rooney (England), der bisher bei Großereignissen verlässlich enttäuschte? Luis Suárez ( Uruguay), der aus einer im Finish verpatzten Liverpool-Saison noch dazu blessiert davon stolperte? Oder gar den „Regista“ & „Fantasista“ (Regisseur & Vordenker) der Italiener, Andrea Pirlo mit seinen schlanken (und oft auch schlankerlhaften) 35 Lenzen?
Am höchsten gehandelt wird freilich der junge, mit allen Salben der Copacabana geschmierte brasilianische Jüngling da Silva Santos Júnior, der als „Neymar“ bei Barca zu Messis Zwilling reifte.
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