25 Jahre "Roten Nasen": Die große Kunst, ein Clown zu sein

Wie ringst du Menschen im Krankenhaus oder Kindern in Flüchtlingslagern ein Lächeln ab? Die rote Nase ist erst der Anfang. Der Rest ist Theorie und hartes Training.
Clowns spiegeln seit jeher das wider, was der Mensch im Normalfall zu verstecken versucht. Wie diese große Kunst gelingen kann, trainierten rund 200 "Rote Nasen"-Clowns in der Slowakei.

Der Dame in den Mitt-Vierzigern stehen vor Hitze Schweißperlen auf der Stirn, als sie sich an den Tresen der Bar lehnt, Becherovka mit Eis bestellt und in sicherem Abstand den Trubel auf der Bühne beobachtet. Sie trägt ein fliederfarbenes Rüschen-Kleid mit dazu passendem Hut. Opulent wie eine Pfingstrose. Hotelgast? Oder Clown? Vier Tage lang herrscht im kleinen Ferien-Ressort im Norden der Slowakei nahe Ružomberok der Ausnahmezustand: Das Hotel ist Treffpunkt für rund 200 Clowns aus aller Welt. Von Polen bis Palästina. Die Terrasse mit Blick auf die Hohe Tatra, wo im Winter Skifahrer tiefe Schwünge in den Schnee ziehen, dient als ihr Hauptquartier – und was die Hotelangestellten in den vier Tagen zu sehen bekommen, lässt sie doch öfter als sonst in Verwunderung die Augenbrauen hochziehen. Und lachen.

Der Clown erzählt von Demenzkranken, die vergessen haben, wie man lacht. Wenn er vor ihnen Ukulele spielt und  polternd über einen Mistkübel stolpert, erinnern sie sich wieder.

Dabei passiert das Zusammentreffen nicht zum Spaß: „Lachen ist eine ernste Angelegenheit“, findet Giora Seeliger. Der gebürtige Israeli ist Gründer der Hilfsorganisation „Rote Nasen“, die heuer ihr 25-jähriges Jubiläum feiert. Im Auftrag des Vereins besuchen Artisten schwerkranke Kinder im Krankenhaus, Pflegebedürftige und Alte in Heimen oder Flüchtlingsfamilien in Krisenregionen. Im Jahr 2018 bedeute das: Mehr als 17.000 Besuche bei über 500.000 Patienten in Ländern auf der ganzen Welt. Die 2003 gegründete Organisation ist neben den CliniClowns und den Clowndoctors der größte Verein, der auf Spaß als Therapie setzt. Die Clowns sind dort, wo Menschen verlernt haben zu lachen. Einmal im Jahr treffen sich die Künstler aus der ganzen Welt, um gemeinsam zu trainieren und beim Feiern die Schicksale abzuschütteln, die sie in ihrer täglichen Arbeit begleiten.

25 Jahre "Roten Nasen": Die große Kunst, ein Clown zu sein

Schusselig, chaotisch oder tollpatschig? Jeder Clown ist anders.

 

Lachen lernen

Die Clowns werfen Torten, jonglieren, lernen zu stolpern und üben die Nummer mit dem „ungeschickten Kellner“, der mit zusammengekniffenen Zähnen hoch konzentriert und tragisch immer wieder Teller fallen lässt und Getränke über die Blusen seiner Gäste kippt.

Giora Seeliger sitzt gut gelaunt auf der Terrasse des Haupthauses. Unten jubelt die Clownmenge. Genauso hart wie die Künstler unter Tags arbeiten, feiern sie nachts. Es ist der letzte Abend des Camps und ein grau melierter, amerikanischer Künstler, der von vorne aussieht wie ein Steuerberater, an dessen Rücken aber zwischen den Schultern ein langes, schmal geflochtenes Zöpfchen baumelt, vergibt unter Beifall Tombola-Preise. Keiner der Clowns hier sieht aus wie ein Klischee-Clown: Keine Schuhe, die viel zu groß sind, keine Lockenperücken oder groß geschminkte Münder auf weißer Haut. 200 Individualisten – „jeder für sich eine kleine Diva“ – beschreibt Seeliger seine Kollegen. „Aber jeder einzelne ist bereit, sein Talent über sein Ego zu stellen und die Bühne gegen Krankenzimmer zu tauschen.“

Der Clown in seinem naiven, unschuldigen Universum, mit seinen Sehnsüchten, den geheimen Wünschen und Boshaftigkeiten, spiegelt uns auf skurrile, lustige Weise  wider.

Als Krankenhaus-Clowns sind die Camp-Teilnehmer ein kleiner Triumph der Menschlichkeit in Institutionen, in denen zwischen Linoleumböden und Neonbeleuchtung oft kein Platz für Blickkontakt, einen Händedruck oder ein Lächeln als Zeichen von Zuwendung bleibt. Seeliger erzählt von Kindern in griechischen Flüchtlingslagern, die nach Clownbesuchen völlig perplex sind: Buben und Mädchen, deren Befinden von klein auf von Angst geprägt ist und denen der Tollpatsch oft zum ersten Mal ein unbeschwertes Lachen abringt und damit ein Tor zu bisher unbekannten Emotionen aufstößt. Oder von Demenzkranken, die nicht nur vergessen haben, wie man spricht oder isst, sondern auch wie man lacht. Wenn der Clown vor ihnen Ukulele spielt und dabei polternd über einen Mistkübel stolpert, erinnern sie sich. Und Seeliger erzählt von Kindern, die schwerkrank in Spitalbetten liegen und jedes Mal tiefer in ihr Laken sinken, wenn sich die Tür ihres Zimmers öffnet: Wer mit einer Spritze rechnet, freut sich über die Rote Nase doppelt.

25 Jahre "Roten Nasen": Die große Kunst, ein Clown zu sein

So individuell wie die Charaktere der Darsteller sind, so individuell sind auch ihre Kostüme.

Lachen fürs Leben

Lachen ist für den Menschen essenziell: Es lockert Gedankenmuster, verändert die Sicht der Dinge. Belastende Situationen verlieren für den Moment  ihr Gewicht. Ein ehrliches Lachen löscht den Monitor potenzieller Probleme  und hinterlässt ein Gefühl der Stärke.  „Wer nicht lachen kann, ist nicht lebensfähig“, zitiert Seeligers Kollegin Monica Culen den Psychologen Sigmund Freud. Und sie sagt: „Das Leichte hat gerade im Schweren eine Existenzberechtigung.“ Der Clown in seinem naiven, unschuldigen Universum mit seinen Sehnsüchten, den geheimen Wünschen und Boshaftigkeiten spiegelt uns auf skurrile, lustige Weise wider. Er zeigt, dass auch die weniger schönen Seiten an uns, die wir im Normalfall zu verstecken versuchen, menschlich sind. Und dass es in Ordnung ist, zu scheitern. Oder sich zu blamieren.

Hotelgast also, oder Künstlerin? Die Pfingstrose, die an der Theke in ihrer Handtasche kramt, spürt den Blick ihres Gegenübers und der Sekundenbruchteil an Verunsicherung, den sie dort wahrnimmt, reicht ihr für den großen Auftritt: Zweifel sind der fruchtbare Nährboden, auf dem ein Clown am liebsten spielt. Weil er im Zweifel seinem Gegenüber charmant den Spiegel vorhalten kann, um ihn über die eigene Eitelkeit, die Unsicherheit und Oberflächlichkeit Lachen zu lassen.

25 Jahre "Roten Nasen": Die große Kunst, ein Clown zu sein

Im Trainings-Camp in der Slowakei lernten Künstler aus der ganzen Welt, dass Spaß eine durchaus ernste Angelegenheit ist. Das Ressort, in dem die Clowns verweilten, stellten die Camp-Teilnehmer auf den Kopf.

Ein Berg an Emotionen

Der Clown mit dem Zöpfchen zwischen den Schultern ruft eine Tombola-Nummer auf. Die Mitt-Vierzigern wird hektisch, kramt ungeduldiger in der Tasche, findet ihr Los, streicht sich die Haare aus dem Gesicht, glättet den Rock, sucht ringsum nach Bestätigung, findet keine und lächelt trotzdem, als sie Richtung Bühne geht, um ihren Preis abzuholen. Die Menge jubelt der Gewinnerin zu, stolz betritt diese die Bühne, zeigt dem Entertainer ihr Los, der freut sich und verzieht dann den Mund: Falsche Nummer. Die Dame in lila will im Boden versinken, strafft aber ihre Schultern, hebt den Kopf und geht erhobenen Hauptes zurück an die Bar. Vorher stolpert sie mit Gepolter über die Sitzreihen. Die Menge brüllt vor Lachen. Eine Minute, in der alles passiert: Glück, Freude, Enttäuschung, Scheitern, die Blamage, am Ende das Lachen. Ein Berg an Emotion im Schnelldurchlauf. Der Clownauftritt: ein kompaktes Rendezvous mit dem Leben.

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