Wohnblöcke als Antidepressivum

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Der Wohnkomplex Comfort Town des Architekturbüros Archimatika bringt Farbe in die ukrainische Hauptstadt Kiew. Und die einfachen geometrischen Formen schaffen eine angenehm strukturierte Klarheit.

Denkt man an Wohnbau in der Ukraine, drängen sich ziemlich sicher ganz bestimmte Bilder vor dem inneren Auge auf: Ein Plattenbau nach dem anderen, mit den obligaten vormontierten Waschbetonplatten oder unverputzten weißen Ziegeln. Man denkt an Betontreppenhäuser und Balkone, die mangels Platzangebot als Abstellfläche herhalten müssen.

Diese typischerweise mit standardisierten mehrgeschossigen Gebäuden in Großtafelbauweise bebauten Siedlungen, meist außerhalb des Stadtkerns, heißen auf russisch „Mikrorajon” (Микрорайон).

Komfortklasse im ukrainischen Wohneigentum

Umso angenehmer fällt der Wohnkomplex Comfort Town Housing des Architekturbüros Archimatika in Kiew auf: Gelungene moderne Architektur der Nachwendezeit. Mit dem Projekt errang das ukrainische Architekturbüro das Siegerpodest beim World Architecture Festival 2019 (WAF) in der Kategorie „Einsatz von Farben“.

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Nach der Vorgabe des Stadtblockkonzepts (und mit nur begrenztem Budget) haben die Architekten Baukörper mit einfachen geometrischen Formen entworfen und die Wohnsiedlung in zwei Abschnitte unterteilt: Jene, wo Autoverkehr möglich ist und jene mit großzügigen Innenhöfen. Diese sind mit Kinderspielplätzen und gemütlichen Bänken ausgestattet und von netten Wegen gesäumt.

Gewagte Farblösung

Die Dächer weisen jeweils zwei unterschiedliche Neigungen auf, was interessante Formen ermöglicht. Auch die Anzahl der Stockwerke variiert zwischen zwei bis 16.

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Die Farblösung mag gewagt erscheinen, ist sie doch die erste dieser Art im Wohngebiet in der Ukraine. Jedoch verfehlt sie nicht ihre (angenehme) Wirkung. Auf diese Weise wurde das ehemalige Industriegebiet zu einem respektablen Wohnumfeld verwandelt.

Das gesamte Viertel wurde durch den Bau aufgewertet. Dem Wohnkomplex angehörig ist die „Academy of Modern Education”, die einen Kindergarten für 160 Plätze sowie eine Grundschule (140 Plätze) und eine höhere Schule (600 Plätze) umfasst. Im revitalisierten Park laden der alte Baumbestand, Skulpturen und ein Springbrunnen zum Verweilen ein.

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Angeschlossen sind auchEinzelhandelsflächen im Umfang von 4.500 m² sowie ein 4.600 m²großer Fitnessbereich mit drei Schwimmbädern und Fitnessstudios,plus Sportplätze im Freien. Cafés, Geschäfte und Büros in denunteren Etagen der Wohnhäuser, 22 Kinderspielplätze sowie eineigener Wartungsdienst runden das Wohnkonzept ab.

Wider die Monotonie

Comfort Town ist das erste Wohnungsprojekt in Kiew mit französischen Fenstern. Eintönige Reihen sucht man hier vergeblich. Im Inneren fällt auf, dass die Wohnungsgrundrisse äußerst ausgeklügelt sind. Das Architekturbüro, das Standorte in Kiew, Moskau und Oslo betreibt, sieht im Building Information Modelling (BIM) die Grundlage seiner Praxis.

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Archimatika hat das PRO-Housing Konzept entwickelt – als Antwort auf sowjetische und postsowjetische Wohnbau-„Tradition”: Projekte mit „maximaler Unbequemlichkeit”. Dies äußere sich in den Wohnungsgrundrissen, in undurchdachten Gemeinschaftsflächen wie den Korridoren, in schlecht beleuchteten Labyrinthen. Und in Höfen, wo es anstelle von Parks Parkraum gibt.

PRO-Housing Konzept

Die schier endlosen, grob verputzten oder gestrichenen Mauern der 9 bis 25 Stockwerke, mit unterschiedlich verglasten Balkonen und Fenstern, waren und sind ebenfalls alles andere als eine Augenweide.

Wir verwandeln Investitionen über die Architektur in Gewinn. Das PRO-Housing Konzept ist als Antwort auf sowjetische und postsowjetische Wohnbau-,Tradition‘ zu verstehen.

von Archimatika

Vielfach sei das Stadtbild auch durch fehlende Bürgersteige geprägt gewesen, was die Fußgänger dazu zwingt, auf den Straßen gehen zu müssen, so die Experten des Architekturbüros. Dabei sei ein Wohnhof ganz bestimmt kein Ort für Autos.

Kontrapunkt zum Plattenbau

„Das Ziel von PRO ist, unser Lebensumfeld qualitativ hochwertig, komfortabel und schön zu gestalten. Wir wollen neue Designstandards und Bewertungskriterien für architektonische Lösungen setzen“, heißt es.

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Ein Beispiel für die Umsetzung des PRO-Housing Konzepts von Archimatika steht in New York City: „The Snail Apartments”.

Beispiele für das das PRO-Housing Konzept sind etwa die Wohnanlage „The Snail Apartments” in New York und der Pasichnyi-Wohnkomplex in Lemberg. Die 2019 fertig gestellten Snail Apartments – ein 10-stöckiges Gebäude in der Nähe der High Line (Metro Hudson Yards) – sind eine Kombination aus alt und zeitgenössisch: Ein Objekt mit alten Elementen und neuer, unverwechselbarer Architektur mit viel Glas. Mit dem Projekt in Lemberg wiederum wurde eine typische „Bettenburg” in ein gefälliges Wohngebiet mit einer sich rasch entwickelnden Infrastruktur verwandelt.

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Neue, unverwechselbare Architektur mit viel Glas in New York.

Text: Linda Benkö

Fotos: Andrey Avdeenko, Alexander Angelovskiy

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