Tangram aus Holz
Die Entstehung des chinesischen Legespiels Tangram reicht geschichtlich weit zurück, vermutlich ein paar Jahrhunderte vor Christus. Während der Song-Dynastie war es unter dem Namen „schwalbenähnliche Geometrien“ bekannt, bis es schließlich Anfang des 19. Jahrhunderts unter dem Namen Tangram auch in Europa und Amerika Verbreitung fand. Das knifflige Geduldsspiel besteht aus sieben Plättchen in einfachen geometrischen Formen, aus denen sich schattenrissartig die unterschiedlichsten Tiere und andere Formationen legen lassen. Für die Architekten von TJAD Original Design Studio bildete dieses Spiel die Inspiration für eine Parkanlage, deren dreidimensionale Komposition dem öffentlichen Raum eine neue Spielart verleiht.
Neues Naherholungsgebiet am Fluss
The Wing of Swallow, wie der Park heißt, liegt am Nordufer des Flusses Maozhouin der modernen Metropole Shenzhen im Südosten Chinas. Während die Gewässer in und um Shenzhen vor 2016 noch extrem verschmutzt waren, hat sich die Wasserqualität nach einer Initiative der lokalen Behörden deutlich verbessert. Heute ist das Wasser wieder klar, die Ufer grün und von zahlreichen Vogelarten besiedelt. Der Park im westlichen Stadtbezirk Bao'an ist ein Teil dieses neu gewonnenen Naherholungsgebietes am Flussufer.
Das Bauwerk und die Bäume sind miteinander verflochten und bilden eine Einheit zwischen dem Gebauten und der Landschaft.
Den Baumbestand am Grundstück haben die Architekten in die Struktur integriert und jeweils geometrische Einschnitte im Dach gesetzt, damit sie auch in Zukunft ungehindert wachsen können. „Das Bauwerk und die Bäume sind miteinander verflochten und bilden eine Einheit zwischen dem Gebauten und der Landschaft“, heißt es in der Projektbeschreibung der Architekten.
An zwei gegenüberliegenden Ecken krümmt sich das Dach leicht nach oben, was an Flügel denken lässt und der Konstruktion ihren Namen Wing of Swallow (Schwalbenflügel) gab. Das obere Deck des Parks dient als unterschiedlich bespielbare Nutzfläche – mit möglicher Freiluftbühne – sowie als Aussichtsplattform, auf der sich das Panorama der renaturierten Flusslandschaft erschließt.
Ein Gefühl der Leichtigkeit
Die Anlehnung an das Spiel Tangram wird klar, wenn man sich die Einschnitte und die Tektonik des Daches ansieht. Dieses besteht aus verschieden großen Dreiecken, die in unterschiedlichen Winkeln aufeinandertreffen und dabei neue geometrische Formationen bilden. Getragen wird das Dach von filigranen Säulen, die über Schwingungsdämpfer verfügen und dadurch nur axiale Druckkräfte abtragen müssen. Die horizontalen Lasten übernehmen konstruktive Elemente wie die Wand der öffentlichen Toiletten, die eingebaute Kinderrutsche und das Stahlgerüst des Treppenaufgangs.
Die Kombination aus spindelförmigen Säulen und dreieckigen Dachflächen, die im Uferwald ‚schweben‘, gibt dem Betrachter die Illusion, als wäre die Schwerkraft unter dem Pavillon aufgehoben.
Diese Konstruktionsweise schafft ein Gefühl der Leichtigkeit und vermittelt zwischen der umliegenden Naturlandschaft und der Architektur. „Die Kombination aus spindelförmigen Säulen und dreieckigen Dachflächen, die im Uferwald ‚schweben‘, gibt dem Betrachter die Illusion, als wäre die Schwerkraft unter dem Pavillon aufgehoben“, erläutern die Architekten.
Ein dreidimensionaler Freizeitpark
Die einzelnen Bauteile bestehen aus vorgefertigten Brettsperrholz-Platten, die mit einem Holzträger und einem umlaufenden Stahlprofil zu einem Verbundsystem zusammengefügt werden. „Die einzelnen Materialien im System sind deutlich erkennbar, ebenso wie die Einheit, die Formgebung und Baustoffe miteinander bilden“, so heißt es.
Unter einem der „Flügel“ ist ein Café untergebracht, das durch die geschosshohe Gasfläche direkte Sichtbezüge zum Fluss bietet. Ein öffentlicher Rad- und Gehweg führt mitten durch den Pavillon, der mit Sitzgelegenheiten zum Verweilen einlädt. Statt eines abgegrenzten Spielplatzes für Kinder sind unterschiedliche Spielflächen in die Architektur integriert. Die vielen holzbeplankten Schrägwände hebeln die gewohnte Wahrnehmung aus und regen dazu an, erkundet zu werden.
Ähnlich wie der japanische Architekt Junya Ishigami bei seiner Semi-Outdoor-Plaza für das Kanagawa Institute of Technology, ist hier ein öffentlicher Raum entstanden, der halb im Freien, halb unter Dach ist. Die Architekten von TJAD Original Design Studio wollen ihn als dreidimensionalen Freizeitpark verstanden wissen, der Unterhaltung, Erholung und Aussicht gleichermaßen bietet.
Text: Gertraud Gerst Fotos: ZY Architectural Photography
Lesen Sie weiter im UBM Magazin, der Plattform für Immobilienwirtschaft, Stadtplanung und Design.
Kommentare