Studentenleben auf dem Bauernhof

Die Fachhochschule Vorarlberg in Dornbirn hat über 1.600 Studentinnen und Studenten, viele davon kommen aus ganz Europa und sind oft nur ein Semester zu Gast. Entsprechend hoch ist der Bedarf an temporären Unterkünften in der einwohnermäßig größten Stadt von Vorarlberg. Zugleich kämpft das Bundesland, so wie andere auch, mit zunehmendem Leerstand, von dem vor allem auch ländliche Bauten betroffen sind. Allein im Bregenzerwald sollen an die 1.000 Bauernhöfe leerstehen oder kaum genutzt werden. Es handelt sich dabei meist um Einhöfe, Relikte aus einer Zeit, in der Mensch und Vieh noch unter einem Dach gelebt haben. Vorne das Wohnhaus, hinten die Stallungen.

Eine innovative Bauernfamilie aus Dornbirn hat ein derartiges Bauernhaus renoviert und zu Ernas Haus umfunktioniert. So wurde aus einem Abrissobjekt im historischen Bauernviertel ein Wohnhaus für Studenten. Und aus den Bauern kreative Unternehmer.
Vom Bauernhof zum Studenten-Wohnhaus
Aber alles der Reihe nach. Der Winderhof, im ältesten Teil Dornbirns gelegen, war über Generationen hinweg ein traditioneller landwirtschaftlicher Betrieb. Als die Brüder Martin und Peter Winder den Familienhof im Jahr 2010 übernahmen, trafen sie eine Entscheidung: Sie stellten den Betrieb von der Milchwirtschaft auf den Anbau und die Verarbeitung von Beeren, Obst und Spargel um.

Eine Neuausrichtung, die den Bedarf nach neuen Räumlichkeiten mit sich brachte. In enger Zusammenarbeit mit dem Architekturbüro Ludescher + Lutz begannen sie, den Hof behutsam und zukunftsorientiert zu erweitern.
Für uns war es wichtig, dass man spürt und sieht, dass die drei Gebäude – Elternhaus, Stadel und Ernas Haus – zusammengehören.
Martin und Peter Winder, Landwirte und Wohnungsvermieter
So entstand 2015 der „Beerenstadel“, ein unterkellertes Lagergebäude für Spargelsortiermaschine, Getränke und Kühlgut. Ein Jahr später erwarben sie das benachbarte Bauernhaus, das eine komplett neue Bestimmung erhalten sollte.
„Dieses Vorhaben war komplettes Neuland für uns“, erzählt Landwirt Martin Winder. Inspiriert von der unmittelbaren Nähe zur Fachhochschule, reifte die Idee heran, ein Co-Living-Haus für Studenten zu schaffen.
Ein harmonisches Ensemble
Wieder beauftragte man Ludescher + Lutz mit dem Umbau und legte als Anforderung fest: „Für uns war es wichtig, dass man spürt und sieht, dass die drei Gebäude – Elternhaus, Stadel und Ernas Haus – zusammengehören.“

Die optische Einheit, die das Ensemble nach dem Umbau bildet, lässt sich auf den ersten Blick erkennen. Das steile Dach mit dem geknickten Giebel folgt der Kontur des Bestandes, ebenso wie das breite Vordach, das den Eingangsbereich schützt.
Die kreative Nachverdichtung sollte auch Synergien zwischen den einzelnen Nutzungen schaffen. Die jungen Bewohner finden in Ernas Haus nicht nur eine solide Wohnqualität zu einem fairen Preis, sondern auch die Möglichkeit, an den bäuerlichen Lebensrhythmus der Familie Winder anzuknüpfen.
Als Teil des baulichen Ensembles können sie am Hofleben teilnehmen. Und direkt vor der Tür haben sie mit dem Hofladen einen Nahversorger, der sie mit lokalen, frischen Erzeugnissen versorgt.
Birkenholz aus dem eigenen Wald
Die 18 Studios, die durchschnittlich 16 Quadratmeter groß sind, bieten alles Notwendige: Schlafplatz, Kochnische, Bad, Schreibtisch und Internetanschluss.

Der Bauherr und gelernte Tischler Martin Winder fertigte die gesamte Möblierung selbst nach den Plänen der Architekten an. Das dafür verwendete Birkenholz stammt aus dem eigenen Wald der Familie.
Dies schuf Räume, die nicht nur funktional sind, sondern durch den Ausbau in Holz auch eine warme und gemütliche Atmosphäre bieten. Die Studios sind so konzipiert, dass sie ein ruhiger Ort zum Lernen und Arbeiten sind, während die südseitigen Terrassen eine Verbindung zur Natur herstellen. Vorgelagerte Lattenschirme schützen vor zu viel Sonneneinstrahlung und verleihen den Loggien Privatsphäre. Ein Fahrradkeller und eine Waschküche im Untergeschoss runden das funktionale Wohnkonzept ab.
In Einklang mit der Baukultur
An der Westseite des Gebäudes lässt sich das einstige bäuerliche Wohnhaus noch gut an den Fensteröffnungen ablesen.

Die Fassade aus heimischer Weißtanne knüpft dabei an das baukulturelle Erbe der Region an. „Die Fenster an der Westfassade sind Bestand, sie werden durch Schiebeläden geschlossen. Hierbei kommt uns ein altes Motiv des Dornbirner Hauses zugute: Das Klebdach an der Giebelseite des Hauses“, erklären die Architekten.
Dieses Klebdach ist typisch für die Region und zeichnet sich durch schmale Gesimse über den Fenstern aus, die hier in drei Lagen angeordnet sind. Es schützt die Fassade vor Witterungseinflüssen und sorgt für eine Strukturierung der westseitigen Giebelfassade.
Grasgrün wie die Traktoren
Im Inneren des Gebäudes findet sich ebenfalls ein historischer Verweis. Einer, der zum Schmunzeln anregt: Das Grasgrün der Wände und Fußböden entspricht exakt jenem Farbton, den die Steyr-Traktoren hatten, die in der Nachkriegszeit die österreichischen Böden beackerten.

Die Verbindung von Tradition und Innovation, von ländlichem Handwerk und städtebaulicher Qualität, hat dem Projekt zahlreiche Anerkennungen eingebracht. Darunter den Österreichischen Staatspreis für Architektur und den Vorarlberger Holzbaupreis.
Ernas Haus zeigt, dass Nachverdichtung im ländlichen Raum kein Widerspruch, sondern eine Chance ist, um Leerstand zu bekämpfen und das Erbe der Vergangenheit mit den Bedürfnissen der Zukunft zu verbinden.
Text: Gertraud Gerst Fotos: E. Ludescher, Ludescher + Lutz Architekten
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