Schutz und Geborgenheit im modernen Hobbit-Haus

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Ein Haus, so schützend wie ein Bettlaken, das man sich über den Kopf zieht. Und so unscheinbar wie ein Hobbit-Haus. Das ist das „La colina frente a la cañada”, das Wohnhaus mit Beton-, Holz- und Stahl-Akzenten im mexikanischen Morelia. HW Studio hat es mit viel Sensibilität als Erdhügel in die Landschaft gestellt.

Nicht reif für die Insel, sondern reif für innere Sammlung, für besinnliche Einkehr und Stille und Rückzug dürften die Bewohner des Hauses gewesen sein, das ein wenig an die Wohnhöhlen erinnert, wie man sie aus der Fantasy-Film-Trilogie „Der Hobbit” kennt.

Das Wohnhaus heißt offiziell „La colina frente a la cañada”, was so viel bedeutet wie „Der Hügel vor der Schlucht“. Wer jetzt ein wenig ratlos zurückbleibt, dem erschließt sich die im wahrsten Sinn des Wortes tiefere Bedeutung spätestens beim Betrachten der Pläne und Bilder des mexikanischen Architekturbüros HW Studio.

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Fast nicht auszumachen

Das Haus ist tief in den Wäldern von Morelia, der Hauptstadt des mexikanischen Bundesstaates Michoacán in Zentralmexiko versteckt. Damit erfüllt es bereits ein wesentliches Kriterium eines Hobbit-Hauses: Es ist nur schwer zu sehen und aufzufinden. Es ist unscheinbar, kaum auszumachen. Wer sich hierher verirrt, muss lange genug innehalten und schauen.

Ähnlich versteckt ist wohl nur ein vom Architekten-Kollektiv Frankie Pappas entworfenes Wohnhaus in Südafrika.

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Die Idee, die die Architekten von HW Studio zu dieser Ausführung brachte, entstand aus dem leisen Wispern, das an solch einem Ort zu vernehmen ist, dem Säuseln in den Bäumen und dem aufmerksamen Lauschen – auch den Wünschen und Sehnsüchten des Kunden.

Schützendes Bettlaken

Detail am Rande: Da es in die Erde hineingebaut ist, bildet das Haus einen neuen Hügel an einem Ort, an dem es bereits reichlich Hügel gibt – eine mögliche „Spur” zum Namen. Die Oberfläche der Landschaft ist vom Haus kaum berührt und verändert.

Dies dürfte Teil des Auftrags an HW Studio gewesen sein: Einen Raum zu schaffen, der so sicher und intim ist, dass er jeden Geist, jedes Gespenst oder jeden Dämon, kurz alle Wesen fernhält, die das Haus und/oder seine Bewohner und Gäste schaden könnten. Gleichsam wie das schützende Bettlaken, das man über den Kopf zieht oder das Sich-Hineinkuscheln unter eine Decke, um ein Gefühl der Sicherheit, der Geborgenheit zu erfahren – und aus dem heraus man trotz aller Verwundbarkeit einen Blick oder zwei wagen kann, um zu sehen, was draußen, drumherum so geschieht.

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„... niemals das eigentliche Gedicht ...”

So wie die Verfilmung des literarischen Kunstwerks von J. R. R. Tolkien, und natürlich das Druckwerk selbst, die Fantasie anregt, so fanden die Architekten Rogelio Vallejo Bores und Oscar Didier Ascencio Castro von HW Studio eine äußerst schöpferische und blumige Umschreibung für ihr 250 Quadratmeter großes Projekt: „Die Architektur ist wie ein Akzent in den Worten eines Gedichts, wie ein Komma oder ein Fragezeichen, aber niemals das eigentliche Gedicht selbst. Das Gedicht wird bereits von den Kiefern, den Eichen, den Akazien, den Glühwürmchen, der Straße, dem Zaun, dem Brunnen des Nachbarn, der Erde, dem Obstgarten und der Nachtigall geschrieben.”

Solche Akzente im Gedicht sind die vier Betonmauern, die überraschend aus der Landschaft auftauchen. Zwei von ihnen tragen den neuen Erdhügel, der durch das Anheben des Bettlakens entstanden ist. Zwei weitere rahmen den Zugang und begleiten auf dem Weg ins Haus.

Dem flüchtigen Betrachter zeigt sich am Boden in erster Linie lediglich das Paar schlichte Betonwände, die die Erde durchschneiden. Doch in dessen Inneren führt ein Weg in die vielen magischen Schichten des Hauses hinein – wie konzentrische Kreise reicht jedes Element weiter hinein als das vorherige.

Pilgerreise in die Einsamkeit

„Der Weg ist breit genug, um bequem allein zu gehen. Aber er ist auch schmal genug, damit man nur alleine geht. Der Besucher wird so von vornherein auf eine Pilgerreise in die Einsamkeit geschickt", bemerkt Rogelio Vallejo Bores. Auf dem Weg hinein macht die Schneise dem hoch aufragenden, alten Baum Platz, sodass man ihm begegnen, ihn sogar berühren kann. Dann einige Stufen hinunter, die schwere Eingangstür aus Stahl.

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An der Eingangstür geht der Durchgang in einen Korridor über, der das Haus in zwei Hälften teilt: Die drei Schlafzimmer auf der einen Seite, das Wohnzimmer, das Esszimmer und die Küche auf der anderen. Das Betongewölbe, das die Lasten des grünen Lakens trägt, vermittelt das Gefühl, sich in einer kalten, dunklen, aber dennoch gemütlichen Höhle zu befinden.

„Die öffentlichen Bereiche auf der linken Seite des Hauses sind vollständig zur bewaldeten Schlucht hin orientiert, während die rechte Seite sich zaghaft zum Innenhof hin öffnet, mit Blick auf die Baumkronen und den Himmel, sich aber nach außen ziemlich verschließt”, so Oscar Didier Ascencio Castro.

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Schützende Umarmung

Das Wohnzimmer mutet wie die moderne Version von Aladins Schatzkammer an. Nur dass der Schatz hier die Struktur selbst ist, deren gewölbte Betondecke und erdversunkene Form mit den Hügeln um sie herum verschmilzt. Das geschwungene Gewölbe erstreckt sich über den Essbereich und liegt wie eine schützende Umarmung über dem gemeinsamen Raum.

Das Haus mag in Summe zwar niedrig sein, Licht fällt dennoch genug herein. Durch die hohen Glaswände fließen Innen- und Außenbereich ineinander über, so dass das Sonnenlicht wie ein glänzender Schleier in die Räume fällt und sich auf die Möbel legt.

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Sparsamer Einsatz von Materialien

Die Materialpalette ist sehr sparsam, sogar spartanisch – dominiert von Beton, Holz und Stahl, … alles auf ein Minimum reduziert. Die Wahl fiel auf Beton als Hauptmaterial, das sich von grauen Farben zu Grün-, Schwarz- und Gelbtönen verändert und sich allmählich in die Umgebung einfügt. Der Fußboden unterstreicht das waldige „Aroma” des umgebenden Kieferwaldes und schafft ein Gleichgewicht zur kalten Temperatur des Betons. Der Stahl schließlich kam ins Spiel, da er mit der Zeit und mit dem Regen ein ähnliches Aussehen wie Baumrinde annimmt.

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Der Kühlschrank und die weiteren Geräte sind verdeckt. Die Beleuchtung ist sehr diskret angeordnet. „Für den Bauherrn war es sehr wichtig, die raue und primitive Atmosphäre der Berge zu erhalten”, heißt es.

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Weitere „Hobbit-Häuser” finden sich in der Schweiz und ein ganz außergewöhnliches Wohn-Feeling vermitteln die Kugel-Wohnungen in Holland, wie sieh hier im Video zu sehen sind.

https://www.youtube.com/watch?v=P3BuNbPxE8A

Zudem kann man in diversen Erdhäusern auch als Gast nächtigen, beispielsweise im deutschen Thüringen, in Frankreich oder in der britischen Region Sussex. Die Hobbit-Häuser, die aussehen, als könnten sie alle locker in Mittelerde stehen, findet man auf einer eigenen Webseite.

Sogar in Österreich wird man fündig: Zwei Vier-Stern-Chalets am Weißensee tragen die Namen „Drunter” und „Drüber” und wurden vor wenigen Jahren errichtet. Sie sind beide nur vom Süden aus zu sehen. Mittlerweile wurden sie um vier neue Suiten im Hobbit-Style ergänzt. Die Unterkünfte des Ehepaars Morgenfurt verfügen sogar über einen Privatstrand am See.

Und last but not least: Nach einem modularen Baukastensystem kann man sich sein eigenes Hobbit-Haus errichten – und es dann mit Erde zuschütten. Die Green Magic Homes-Module hat ein – interessanterweise ebenfalls – mexikanisches Unternehmen entwickelt. Von einer kleinen Ein-Zimmer-Höhle für Junggesellen für rund 15.000 US-Dollar bis hin zur großen Familien-Höhle mit vier Zimmern für etwas mehr als 60.000 sei so ziemlich alles machbar, wie es heißt.

Die Hobbit-Häuser seien nicht nur für wärmere Gegenden gedacht. Auch dort wo die Temperaturen im Winter regelmäßig unter den Gefrierpunkt sinken und viel Schnee fällt, könne man seinen Traum von der Hobbit-Höhle erfüllen.

Text: Linda Benkö Fotos: Cesar Bejar, Juan Pablo Guerra, Dane Alonso

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