Schiff an Land!

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Das von GG-loop konzipierte Zweifamilienhaus Freebooter in Amsterdam huldigt auf gekonnte Weise der maritimen Vergangenheit Hollands und der Handwerkskunst.

Deiche, Kanäle, Grachten. Holland ist durchzogen davon. Man sagt, die rund 17 Millionen Einwohner besitzen mehr als 550.000 Boote und Yachten in den verschiedensten Größen und Bauformen. Es gibt an die 600 holländische Werften und Yacht-Händler sowie etwa 200 Yacht-Makler.

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Doch die Niederlande sind nicht nur eine alte Seefahrernation, die Holländer sind auch im Landesinnern im und mit dem Schiff unterwegs. Ob Hausboot, Segelboot, umgebaute Schlepper, … Und nun gibt es – als Huldigung an die maritime Vergangenheit – auch ein Schiff auf dem Land: Das vom niederländischen Architektur- und Design-Büros GG-loop konzipierte Projekt Freebooter.

Frame Award „Large Apartment“

GG-loop hat bei Freebooter extrem feinfühlig die niederländische Geschichte, die Sitten und Kultur in das Gebäude transportiert und dabei gleichzeitig einen extravaganten Wohnraum geschaffen, ohne die Idee, ein Schiff auf das Land zu verpflanzen, überkandidelt zu strapazieren. Aus diesem und mehr Gründen konnte das Projekt die Auszeichnung „Large Apartment of the Year” bei den Frame Awards 2020 einheimsen.

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Das Zweifamilienhaus befindet sich auf Zeeburgereiland. Für viele Amsterdamer – und auch Touristen – war Zeeburgereiland lange Zeit bloß ein Sandhaufen mit drei Silos darauf. Die heute dreieckige, künstliche Landmasse unmittelbar in der Nähe des Stadtzentrums im Osten Amsterdams hat eine bewegte Vergangenheit. Vor mehr als 100 Jahren stand das Zeeburgereiland unter Wasser und das Gewässer selbst diente als Durchfahrtsstraße für Schiffe der niederländischen Marine.

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Am Ende des Zeeburgerdijks, des Deiches, bei Nr. 633-641, ließ sich im Gasthaus Zeeburg, das 1785 auf den Fundamenten der Verteidigungsrampe Seeborgh erbaut wurde, der Durst gut mit Bier löschen. Hier lagen Schiffe vor Anker, in den Dockings tummelten sich Fischer und Viehhändler.

Schiff ahoi! Aber an Land

Der Wohnbau begann Ende des 19. Jahrhunderts. Zeeburg wurde erst 1990 offiziell ein Stadtviertel von Amsterdam. Die Stadt brauchte Wohnraum, also wurde aufgeschüttet. In der ersten Phase war Platz für 18.000 Bewohner vorgesehen. Mittlerweile wurden noch mehr künstlich angelegte Inseln geschaffen und der Bezirksteil IJburg ist über zahlreiche Brücken und – seit 2005 – mit der IJ–Straßenbahn Nr. 26 („IJtram“ 26) zu erreichen.

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Auf IJburg, in der Mitte der Insel, steht also dieses moderne „Schiff an Land”, mit vielen Bezügen zu Wind, Wasser und Segeln – sowohl außen als auch innen. An Land, das einst Wasser war, scheint dieses neue Schiff gleichwohl die Segel zu setzen.

Materialien aus dem Schiffsbau

Das Freibeuter-Haus besteht aus zwei Einheiten zu je 120 Quadratmetern. Sowohl außen als auch innen ist das Projekt eine einzige Hommage an die Handwerkskunst. Form und Funktion gehen eine angenehme Harmonie ein. Die Lamellen der Außenhaut sind ein Blickfang für die Nachbarschaft. Das Innere wirkt kompakt und dynamisch, vor allem auch durch die Kombination von diversen Fensterelementen, Holzinterieurs und hochwertigen, geschichteten Oberflächen.

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Die Hauptmaterialien des Gebäudes beschränkten sich, wie bei einem Schiffsrumpf, auf Holz, Stahl und Glas. Und der Grundriss jeder Wohnung ist dem eines Schiffes nachempfunden. Er ist organisch und frei fließend. Die Räume sind so gestaltet, dass sie den Bewohner gleichzeitig einhüllen, sich aber „entfalten”, wenn er sich durch sie hindurch bewegt.

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Ausgehend vom Kern, mit Küche sowie Bad und Toiletten, sind darum herum Ruhebereich (Hauptschlafzimmer und Einzelzimmer oder Studio) und Wohnbereich mit Wohnzimmer sowie Esszimmer ineinander übergehend angeordnet. Der offene Grundriss bietet maximale Flexibilität. Die Balkone und Terrassen lassen die Innen- mit den Außenräumen verschmelzen. Die Räume wirken so größer, die Bewohner haben maximale Verbindung zum sie umgebenden Element Wasser.

Viel Licht und viel Privatsphäre

Eines der wichtigsten Merkmale von Freebooter ist die gekonnte Lichtlösung. GG-loop führte ein ganzes Jahr über eine Studie über die Lichtverhältnisse durch, um die optimale Form und Positionierung der Lamellen der Außenhülle zu schaffen. Diese parametrische Fassade ermöglichte eine optimale Lichtverteilung und gleichzeitig ein angemessenes Maß an Privatsphäre.

Das Haus besteht aus einer Hybridstruktur aus kreuzweise verleimtem Holz (CLT) und Stahl und wurde vor Ort vorgefertigt, was eine außergewöhnlich schnelle Bauzeit von drei Wochen für die vier Stockwerke ermöglichte. Die Fertigstellung des gesamten Baukörpers dauerte lediglich sechs Monate.

Biophil und nutzerzentriert

Das Wohnhaus ist Ausdruck der Handschrift und Philosophie des Studios GG-loop. In Eigendefinition beschreibt Designer Giacomo Garziano den Ansatz als „biophil und nutzerzentriert”. Giacomo Garziano, Gründer von GG-loop: „Es geht beim Design nicht nur darum, funktionale Objekte und Räume zu schaffen. Stattdessen sollte Design eine Geschichte erzählen und seinen Benutzer mit auf eine Reise nehmen”. Die Projekte sollen also zugleich „zukunftsweisend, organisch und raffiniert” sein.

Zu jedem Zeitpunkt des Designprozesses stellt GG-loop den Endnutzer in den Mittelpunkt. In permanenter Abstimmung soll ein haus so zum gesunden und produktiven Lebensraum zum Ausruhen und Wohnen werden – und die Verbindung zur Natur fördern.

Nahezu ein Nullenergiehaus

Gleichzeitig wird größter Wert auf hohe Energieeffizienz gelegt. Der Energieverbrauch des Gebäudes liegt nahe bei Null – dank der 24 Sonnenkollektoren auf dem Dach, der Hochleistungs-Wandisolierung und der Glaswände; gekoppelt mit einer Niedertemperatur-Fußbodenheizung und einem mechanischen und natürlichen Belüftungssystem.

98 Prozent des verwendeten Holzes sind PEFC-zertifiziert. Bei einem Holzverbrauch von 122,5 m3 speichert das Gebäude fast 80 Tonnen CO2, was fast 700.000 km Abgas eines Mittelklassewagens und den Energieverbrauch von 87 Häusern in einem Jahr ausgleicht, präzisieren die Experten von GG-loop.

GG-loop wurde 2014 von Giacomo Garziano, Absolvent der Facolta di Architettura di Firenze, gegründet. Das Architektur- und Design-Studio definiert seine Ästhetik als „extravagant, ohne invasiv, visionär und futuristisch zu sein. Wir achten gleichzeitig auf lokale Kulturen und Bräuche”.

Text: Linda Benkö

Fotos: Debot, Francisco Nogueira, Michael Sieber

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