Neustart für Marcel Breuer-Ikone
Ist das Kunst oder kann das weg? Das war die Frage, auf die bei Bauten aus der Ära des Brutalismus nur allzu oft ein Abriss folgte. Die unterschiedlichen Ausdrucksformen des beton brut galten lange Zeit als kapitale Bausünden. Erst in den letzten Jahren formten sich Initiativen, die in die Jahre gekommenen Betonbauten aus der Nachkriegszeit im Sinne des kulturellen Erbes zu erhalten. Die Klimakrise und die katastrophale CO2-Bilanz der Bauindustrie fügen der Debatte noch einen weiteren Aspekt hinzu: Durch das Bauen im Bestand lassen sich wertvolle Strukturen erhalten, und damit ein entscheidender Teil an klimaschädlichen Emissionen einsparen.
Mit der aktuellen Klimakrise kommt die Erkenntnis, dass sich das Neu-Bauen nur schwer rechtfertigen lässt.
„Mit der aktuellen Klimakrise kommt die Erkenntnis, dass sich das Neu-Bauen nur schwer rechtfertigen lässt“, erklärt Bruce Becker, der Gründer des Architekturbüros Becker + Becker mit Sitz in Westport, Connecticut. Das Unternehmen hat es sich zur Aufgabe gemacht, vernachlässigte historische Gebäude in eine neue, zeitgemäße Nutzung überzuführen und darüber hinaus auch noch klimafit zu machen.
Marcel Breuers brutalistisches Erbe
Wie das geht, veranschaulicht ihr jüngstes Projekt, das Hotel Marcel, das zur Tapestry Collection der Marke Hilton gehört. Ausgangspunkt war das brutalistische Juwel des ungarisch-deutsch-amerikanischen Architekten Marcel Breuer in New Haven, Connecticut. Er gilt als Meister des Bauhaus und entwarf das Gebäude im Jahr 1970 ursprünglich für die Armstrong Rubber Company. Später wurde es zum Headquarter des Reifenherstellers Pirelli.
Kurz nachdem man das Pirelli Building, wie es fortan genannt wurde, im Jahr 2000 unter Denkmalschutz stellte, kaufte es der schwedische Möbelriese Ikea. Das Unternehmen ließ einen Teil des Gebäudes abreißen und an der Stelle einen Parkplatz errichten. Es folgten fast 20 Jahre Leerstand, bis schließlich Becker + Becker die Immobilie kaufte und sich in der Doppelrolle als Architekten und Developer der Sache annahmen.
Erstes Passivhaus-Hotel in den USA
„Brutalistische Gebäude wie das Pirelli Building sind Kunstwerke, die in unserem täglichen Leben inspirierend und sinnstiftend wirken können“, erklärt Becker die ideellen Beweggründe hinter dem Projekt. „Es ist schwer, dem einen Wert zuzuordnen, aber es ist ausschlaggebend für unser Menschsein.“
Brutalistische Gebäude wie das Pirelli Building sind Kunstwerke, die in unserem täglichen Leben inspirierend und sinnstiftend wirken können.
Neben dem Erhalt einer wichtigen Kulturstätte ging es den Architekten auch darum zu zeigen, wie sich aus einem sanierungsbedürftigen Bau mit problematischen Altlasten ein Vorzeigeprojekt in Sachen ökologischer Nachhaltigkeit machen lässt. Der Entwurf zielte darauf ab, als erstes Hotel in den USA eine Passivhaus-Zertifizierung zu erlangen. Den LEED-Platinum-Standard nahm man dabei im Vorbeigehen mit.
Asbest raus, Öko-Dämmstoffe rein
Also hieß es: Asbest raus und ökologische Dämmmaterialien sowie Solarstrom rein. Für den Umbau in ein klimaneutrales Passivhaus-Hotel kam den Planern der Beton dabei entgegen. Bei vor Ort gegossenen Betonwänden lässt sich eine luftdichte Außenhaut in der Regel besser erreichen als bei andern Bauweisen.
Grundsätzlich hatte man den Anspruch, möglichst minimal in die Substanz des historischen Bauwerks einzugreifen. Nur in der Mitte des obersten Stockwerks öffneten die Architekten die Kubatur, um über einen Innenhof Tageslicht in eine Reihe von Konferenzräumen zu bringen. Zusätzliche Lichtschächte versorgen die innenliegenden Hotelzimmer mit natürlichem Tageslicht.
Am Dach des Gebäudes und auf einem benachbarten Grundstück befinden sich über 1.000 Photovoltaikpaneele. Sie bestreiten die gesamte Stromversorgung des Hotels, das aufgrund der effektiven Dämmung kaum beheizt werden muss.
Aus Büros wurden Luxuszimmer
Das Interior-Konzept für das Hotel Marcel stammt vom Brooklyner Studio Dutch East Design. Sie verwandelten das ehemalige Bürogebäude in 165 Luxuszimmer, samt Gemeinschaftsräume und Lobbys. Für das Mobiliar setzten sie auf minimalistisches Design, das von lokalen Handwerksbetrieben gefertigt wurde.
Die charakteristische Form der Fassadenelemente findet sich als stilistisches Zitat in der Lobby wieder. Wandelemente aus Terracotta-Fliesen bringen das brutalistische Ornament vom Außen- in den Innenraum und schließen so den Kreis im stilistischen Gesamtkonzept.
Ein ausgezeichnetes Projekt
Das Hotel Marcel zählt zu den Preisträgern des Modernism in America Award 2022, der an herausragende Restaurierungen moderner Ikonen vergeben wird.
„Die diesjährigen Gewinner zeigen, dass man das Unmögliche möglich machen kann“, urteilte die Jury. „Diese Projekte verkörpern das, wonach jede Restaurierung streben sollte: ganzheitliches, nachhaltiges und inklusives Design, von dem wir alle profitieren.“
Das Hotel selbst nennt sich laut Eigendefinition „eine Landmark für die Zukunft“, und das zu Recht. Bei diesem adaptiven Re-Use-Projekt wurde wirklich alles richtig gemacht.
Text: Gertraud Gerst Fotos: Seamus Payne, Hotel Marcel
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