Neues Refugium am Bayerischen Meer
In der kleinen Gemeinde Übersee am Ufer des „Bayerishen Meeres, wie der Chiemsee auch genannt wird, war der Aufschrei groß. Der alte Chiemgauhof, eine Institution in der malerischen Feldwieser Bucht, sollte abgerissen werden und einem neuen Luxushotel weichen. Die Menschen hatten Angst vor einem allzu großen Komplex, der zwischen Seeufer und Naturschutzgebiet gezwängt wird. Auch wenn die Bauvorschriften dies gar nicht hergegeben hätten, war die Erleichterung groß, als das Chiemgauhof Lakeside Retreat in diesem Jahr offiziell eröffnet wurde. Der Ersatzneubau nach den Plänen von Star-Architekt Matteo Thun fügt sich harmonisch und stilgerecht in die Seeuferlandschaft ein. Zu diesem Ergebnis kam nicht nur die Jury von Michelin, die dem Hotel einen Schlüssel verlieh – die neue Auszeichnung für die außergewöhnlichsten Gaststätten der Welt.
Die neue Architektur am See überzeugte schließlich auch die Bürgerinitiative, die anfangs Widerstand gegen das geplante Bauprojekt angemeldet hatte.
Die Bauherrschaft des neuen Hotelleriebetriebs am Chiemsee ist in der Branche kein unbeschriebenes Blatt. Ursula Schelle-Müller und Dieter Müller gelten als Begründer des Budget-Design-Konzepts und haben die Hotelkette Motel One zu einer der erfolgreichsten in dem Segment gemacht. Ihnen ist es zu verdanken, dass Arne Jacobsens berühmter Egg Chair, ein Markenzeichen der Ausstattung, zum allgemeinen Haushaltsbegriff geworden ist.
Inspiration Holzscheunen
Mit dem Neubauprojekt haben sie eine sanfte Punktlandung im Luxus-Segment hingelegt. Das um einen Trakt und ein multifunktionales „Bootshaus“ erweiterte Ensemble ist durchwegs mit Erdgeschoss und einer Etage konzipiert und nimmt sich im landschaftlichen Kontext zurück.
Formal orientiert sich der Entwurf an den für die Region typischen hölzernen Feldscheunen, die als freistehende Gebäude, und oft in größeren Gruppen, angelegt wurden.
Den besonderen Charme der alten Holz-Scheunen haben wir ins Jetzt übersetzt und die Natur wird im Laufe der Zeit ihr Übriges dazutun und dem ganzen Hotel eine wunderschöne Patina verleihen.
Matteo Thun, Architekt
Dazu passend sind die Fassaden über einem Sockel aus Naturstein mit regionalem Lärchenholz verkleidet, die Dächer mit Schindeln gedeckt. „Den besonderen Charme der alten Holz-Scheunen haben wir ins Jetzt übersetzt und die Natur wird im Laufe der Zeit ihr Übriges dazutun und dem ganzen Hotel eine wunderschöne Patina verleihen“, so Matteo Thun über Form und Materialität des Entwurfs. Der Mailänder Architekt setzt vorrangig auf nachhaltige Bauamterialien wie Holz, so auch beim Hotel MalisGarten im Tiroler Zillertal.
Bayerisch-japanische Minimal-Ästhetik
Die Sprache von Architektur und Interieur folgt dabei keiner modischen Attitüde, sondern strebt nach zeitloser Eleganz.
Darunter verstehen die Bauherren: „Reduziertes Design, natürliche Materialien und eine Bauweise, die den Blick auf den Chiemsee öffnet und die Natur in den Mittelpunkt rückt.“
Mit einem Crossover aus bayerischem Landhaus und reduzierter japanischer Ästhetik tut sich im Inneren eine Kulisse auf, die mit den oft austauschbaren Hotelausstattungen wenig gemein hat.
Vor allem der Mut zur Leere, die den Raum an sich wirken lässt, erinnert an das japanische Konzept von Wabi-Sabi.Dabei handelt es sich nicht um einen Einrichtungsstil in dem Sinn, sondern vielmehr um ein allgemeines Konzept von Ästhetik. Der US-amerikanische Künstler Leonard Koren beschrieb es so: „Beschränke alles auf das Wesentliche, aber entferne nicht die Poesie. Halte die Dinge sauber und unbelastet, aber lasse sie nicht steril werden.“
Die Essenz des Ortes
Eine Beschreibung, unter der sich auch die Einrichtung des Chiemgauhofs passend subsummieren lässt. Für die räumliche Gestaltung haben Bauherrin Schelle-Müller und der Mailänder Architekt eng zusammengearbeitet.
Jedes Gebäude sollte die Aura des Genius Loci spiegeln und eine Geschichte erzählen.
Matteo Thun, Architekt
Für Matteo Thun ist es in erster Linie die Essenz des Ortes, die sich in der Architektur manifestieren soll: „Jedes Gebäude sollte die Aura des Genius Loci spiegeln und eine Geschichte erzählen.Der Stil des neuen Chiemgauhofs, aus unterschiedlichen lokalen Hölzern erbaut und direkt am See gelegen, ist ‚zeitgenössisch bayrisch‘, verbindet das Erbe der Region mit den Vorzügen der modernen Hospitality.“
Zwischen Luxus und Bodenständigkeit
Das Prinzip der Regionalität legte man auch für die einzelnen Gewerke fest, die am Bauprojekt beteiligt waren. So kamen neben heimischen Materialien großteils auch Handwerksfirmen aus der näheren Umgebung zum Zug. Die handgewebten Teppiche stammen etwa aus der Chiemgauer Weberei LPJ Studios. Von der Inseltöpferei Klampfleuthner, die bereits seit 1609 existiert, kommen die traditionellen Kachelöfen.
Das Chiemgauhof Lake Side Retreat hat sich bewusst in die Liga der Leading Hotels Of The World eingereiht. Dabei hat man versucht, nicht nur dem erhobenen Luxusanspruch gerecht zu werden. Auch den Wunsch der Überseer nach einem Wirtshaus am See, wie es der alte Chiemgauhof war, haben die Hotelbetreiber gehört.
Das Angebot an die Ortsansässigen ist ein Restaurant, das allen offen steht, und einer Speisekarte, die neben Sushi aus dem Chiemsee auch einen erschwinglichen Sonntagsbraten ausweist.
Text: Gertraud Gerst Fotos: Elias Hassos
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