Klimaneutral nachverdichten

01-Bielefeld-schaubild-dachterrassen-_c_-querkraft-patricia-bagienski-1024x576
Ein Wettbewerbsbeitrag des Wiener Architekturbüros Querkraft zeigt, wie sich urbaner Bestand adaptieren und mit Holzbau clever nachverdichten lässt. Intensives Entsiegeln und Begrünen schafft in der Quartiersentwicklung Bielefeld noch dazu einen kühlenden Stadtwald.

Ein hoher Grad an Versiegelung, massive Speichermassen und nahezu keine Vegetation. So lautete die städtebauliche Diagnose und Ausgangslage einer neuen Quartiersentwicklung in Bielefeld. Die Problematik allerdings ist eine generische, die auf unzählige Städte zutrifft und im Hinblick auf die Klimaerhitzung nach neuen Lösungsansätzen verlangt. Denn damit die Städte von morgen noch bewohnbar und lebenswert sind, müssen ihre städtebaulichen Parameter jetzt neu verhandelt werden. Der Wettbewerbsbeitrag des Wiener Architekturbüros Querkraft taugt nicht nur als Entwurf für Bielefeld, sondern auch als Blaupause für die Stadt von morgen.

Strategien gegen Hitzeinseln

Besonders in den Großstädten sind heute die negativen Auswirkungen des Klimawandels zu spüren. In hoch versiegelten Gebieten entstehen in der warmen Jahreszeit sogenannte Hitzeinseln, die zu gesundheitlichen Belastungen der Bevölkerung führenkönnen. Im Rahmen des EU-Projektes Urban Heat Islands werden Strategien entwickelt, die den Hitzestress in den Städten verringern sollen.

02-Bielefeld-schaubild-quartiersplatz-_c_-querkraft-patricia-bagienski
Im Entwurf von Querkraft bekommt Bielefeld ein entschleunigtes Quartier – mit Verkehrsberuhigung, partieller Entsiegelung und einem eigenen Stadtwald.

Bestimmte Faktoren haben dabei besonderen Einfluss auf das Mikroklima. Dazu zählen die Bebauungsdichte, das Verkehrsaufkommen, Grünflächen, Wasserbecken und Wärme, die durch Heizung, Maschinen und Fabriken entsteht. Eine besonders ungünstige Kombination dieser Faktoren liegt am Standtort in Bielefeld vor, für dessen Transformation der Projektentwickler Aachener Grundvermögen einen eigenen Architekturwettbewerb auslobte.

Neue urbane Qualität

Dem Quartier fehlt nicht nur Vegetation, die Abkühlung in den warmen Sommermonaten bringen könnte, es fehlt auch an lebenswerten Plätzen. „Ziel des Entwurfes ist es, dem Ort eine neue urbane Qualität hinzuzufügen“, erklären die Architekten in ihrem Entwurf.

Speziell bei der Nachverdichtung im urbanen Raum hat Holz viele Vorteile: ein geringes Eigengewicht, hohe Vorfertigung, verkürzte Bauzeit und weniger Emissionen vor Ort.

von Gerd Erhartt, Architekt und Querkraft-Mitinhaber

Im Sinne einer ressourcenschonenden Bauweise sollte der Bestand großteils erhalten bleiben. Durch den Rückbau eines kleines Teiles der vorhandenen Struktur erschließen die Architekten neuen Stadtraum. Dabei öffnen sie den hermetischen Block und schaffen einen Innenhof, der Teil des öffentlichen Raumes wird. „Eine vollkommen neue Aufenthaltsqualität wird geschaffen, neue Durchwegungen werden ermöglicht, ein neuer Treffpunkt für alle entsteht.“

03-Bielefeld-schaubild-fussgaengerzone-_c_-querkraft-patricia-bagienski
Ein Großteil des Bestandes sollte erhalten und in Holz-Leichtbauweise nachverdichtet werden.

Nachverdichtung in Holz-Leichtbauweise

Aus einem monofunktionalen Block soll ein lebendiger Stadtbaustein werden, der Handel, Gastronomie, Work Spaces, ein Stadthotel und sozial durchmischtes Wohnen unter einen Hut bringt. Durch eine behutsame Nachverdichtung des Bestandes in Holzbauweise entsteht am Dach eine geschützte Wohnlandschaft mit begrünten Terrassen und Ausblicken über die Stadt.

Dazu heißt es in der Projektbeschreibung: „Die klaren Strukturen werden erhalten und durch eine kleinteiligere Struktur in Holz-Leichtbauweise ergänzt. Das Raster der neuen Holzstruktur wird mit dem Stützenraster des vorhandenen Stahlbetonbaus gekoppelt.“ Die so entstehende kubisch gestaffelte Hügellandschaft am Dach schafft ein grünes Refugium im urbanen Kontext, das nicht nur den Bewohnern zugute kommt.

Für Gerd Erhartt, Architekt und einer der drei Inhaber von Querkraft, steht fest, dass der nachwachsende Baustoff in Zukunft an Bedeutung gewinnen wird. „Speziell bei der Nachverdichtung im urbanen Raum hat Holz viele Vorteile: ein geringes Eigengewicht, hohe Vorfertigung, verkürzte Bauzeit und weniger Emissionen vor Ort.“

04-nordansicht-_c_-querkraft
Nordansicht der Quartiersentwicklung Bielefeld

Ein Stadtwald fürs Klima

Zwischen den einzelnen Baukörpern will man partiell Boden entsiegeln und eine Reihe von Bäumen pflanzen. Auf diese Weise soll ein Stadtwald wachsen, der eine wichtige Kühlleistung für das Quartier erbringt. „Der Stadtwald verbindet Natur mit Architektur und ist ein essentieller Baustein für die Verbesserung der Aufenthaltsqualität.“

Bäume verringern die Schadstoffbelastung, binden langfristig CO2 und erzeugen Sauerstoff. Ein erwiesener positiver Effekt, den auch Architekt Stefano Boeri bei seinem Konzept des vertikalen Waldes nutzt. Insgesamt speichern die im Entwurf vorgesehenen Gehölze rund 14,5 Tonnen CO2 pro Jahr, wie die Architekten von Querkraft vorrechnen. Zudem verringern sie die Schadstoffe in der Luft um fünf Tonnen Stickstoffoxid und rund drei Tonnen Feinstaub im Jahr.

Die Rücknahme des Individualverkehrs schafft Raum für Begegnung, Entsiegelung und mehr Grün. Das ist der Schlüssel für eine klimaresiliente Stadt der kurzen Wege.

von Gerd Erhartt, Architekt und Querkraft-Mitinhaber

05-Bielefeld-modell-_c_-querkraft
Das Modell veranschaulicht die Nachverdichtung in Holzbauweise und die kubisch gestaffelte Wohnlandschaft am Dach.

Paradigmenwechsel in der Mobilität

Ein weiterer positiver Effekt des Waldes ist die Abkühlung, die er dem städtischen Mikroklima bringt. Zusammen mit der übrigen Begrünung senkt er die Lufttemperatur um bis zu drei Grad Celsius ab. Die Architekten liefern auch hier konkrete Zahlen: „Die begrünte Dachlandschaft emittiert über 1,5 Millionen Watt weniger Wärme in die Stadtatmosphäre als der Bestand und trägt somit nicht zur Aufheizung bei, sondern kühlt im Vergleich deutlich ab.“

Damit die Stadt von morgen lebenswert ist, muss heute an einigen Schrauben gedreht werden. Auch wenn der Wettbewerbsbeitrag für Bielefeld nicht umgesetzt wird, so zeigt er exemplarisch auf, welche Eingriffe es braucht, um die urbane Struktur fit für die Zukunft zu machen. Gerd Erhartt fordert vor allem einen Paradigmenwechsel in der Mobilität. „Die Rücknahme des Individualverkehrs schafft Raum für Begegnung, Entsiegelung und mehr Grün. Das ist der Schlüssel für eine klimaresiliente Stadt der kurzen Wege.“

Text: Gertraud Gerst Visualisierungen und Grafiken: Querkraft, Patricia Bagienski

Lesen Sie weiter im UBM Magazin, der Plattform für Immobilienwirtschaft, Stadtplanung und Design.

Kommentare