Hand in Hand mit Holz am Hang

Temperaturen jenseits der 35 Grad, Luftfeuchtigkeit über 70 Prozent. Und das meist dicht an dicht mit mehr als zehn Millionen Menschen. Willkommen im sommerlichen Tokio! Es verwundert bei diesen Bedingungen kaum, dass die Stadtflucht aus der japanischen Metropole gerade in den heißen Monaten mehr und mehr zunimmt.

Bereits seit der Meiji-Ära eines der Ziele der Flüchtenden: Die Gemeinde Karuizawa in der Präfektur Nagano, in Zeiten des Shinkansen gerade mal eine Zugstunde von Tokio entfernt. Auf einer Hochebene in rund 1.000 Metern Seehöhe gelegen, herrschen hier deutlich kühlere klimatische Bedingungen als in der Hauptstadt. Wiederum nicht verwunderlich, dass eine vierköpfige Familie diese Region wählte, um an einem bewaldeten Hang ein Wochenendhaus errichten zu lassen. Mit der Umsetzung des Projekts beauftragte sie das Tokioter Architekturbüro Nendo, das auf dem 5.800 Quadratmeter großen Grundstück ein Eigenheim schuf. Ein Einfamilienhaus aus kleinen Gebäudeteilen, die sanft miteinander verbunden sind: das Hand-in-Hand House.
Nähe ohne Enge
Anstatt eines monolithischen Baukörpers verteilt Nendo die insgesamt 140 Quadratmeter des Wohnbereichs auf sechs Mini-Häuser von jeweils rund 20 Quadratmetern. Küche hier, Essen dort, Schlafen nebenan – verbunden über eine große, über den Hang auskragende Terrasse. Jedes Volumen ist leicht versetzt und variiert in Höhe und Ausrichtung. Das Ergebnis ist ein Ensemble, das einerseits individuell erscheint, andererseits als gemeinsames Ganzes wirkt.


Der Kunstgriff, die einzelnen Bereiche zu separieren und dann doch wieder zusammenzuführen, schafft das, was Familien zum Entspannen wohl am liebsten haben: ausreichend Privatsphäre (wenn benötigt), aber dennoch kurze Wege zu gemeinsamen Aktivitäten (wenn gewünscht). Oder wie Nendo es formuliert: Es entstehen „kleine Räume mit eigenen Charakteren“, und doch „ein Gefühl von Einheit unter einem Dach“. Das Ganze sei die „Verkörperung einer Familie, die Händchen hält“. Dieses Bild, das auch der Name des Hand-in-Hand House widerspiegelt, vermittelt insbesondere dessen Dach. Oder besser: Die Dächer, da jedes der sechs Häuschen separat überdacht ist. Die Traufen der Dächer gehen ineinander über; ihre Berührungen symbolisieren das Händchenhalten.
Fußabdruck light
Nendo achtete bei der Planung des Projekts darauf, die Umgebung so wenig wie möglich in Mitleidenschaft zu ziehen. Das Hand-in-Hand House wurde daher auf Pfählen errichtet, was einerseits Erdarbeiten minimierte, andererseits die Vegetation "durchfließen" lässt, wie das Studio erklärt. Zudem ermöglicht die Bauweise einen besseren Ausblick auf die umgebende Natur.

Die Fassade des Wochenendhauses wird von raumhohen Glasfronten dominiert, über die der Zugang auf die Terrasse ermöglicht wird. Ansonsten stand bei der Errichtung ebenfalls die Natur im Fokus: Nendo arbeitete überwiegend mit Holz – dem in Japan mit Abstand am häufigsten verwendeten Baumaterial im privaten Wohnbau. Insbesondere die seit 2021 mögliche Inanspruchnahme der "Förderung von Holz in Gebäuden für eine dekarbonisierte Gesellschaft" ließ die Nutzung bei privaten Projekten anwachsen. Japans Brettsperrholz-Markt wächst aber nicht nur deshalb zweistellig. Mit intensiver Forschung zur Japanischen Zeder trachtet man danach, das lokal verfügbare, leichte und schnell wachsende Holz für nachhaltigen, erdbebensicheren und großmaßstäblichen Holzbau nutzbar zu machen – ein Signal, dass High-Tech und Tradition hier kein Widerspruch sind.
Holztrend
Holz ist in Japan gerade wieder sehr sichtbar – man denke an Sou Fujimotos Grand Ring aus Holz für die Expo Osaka. Solche Großformate machen Schlagzeilen; Projekte wie Nendos Hand-in-Hand House wiederum zeigen, wie überzeugend der Werkstoff im Kleinen wirkt: taktil, warm, modern.


Am Ende ist dieses Haus eine Haltung. Es gönnt jedem sein eigenes Reich – hält jedoch alle unter einem Dach zusammen. Nendo will damit ausdrücken, dass Architektur nicht alles lösen muss. Manchmal genügt es, wenn die Dächer „Händchen halten“ und die Terrasse den Rest erledigt: "Ein respektvoller Abstand, der die Zeit und Individualität jedes Familienmitglieds ehrt – und dennoch Verbindung stiftet."
Text: Michi Reichelt Bilder: Masahiro Ohgami
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