Ein Holzbau, von dem man lernen kann

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Das neue Fulmer Family Center der kanadischen Capilano University versteht sich als lebendiges Klassenzimmer, in dem Kinder, Pädagogen und ein Küstenwald voneinander lernen. Der konstruktive Holzbau ist dabei eine wichtige Säule des Bildungskonzeptes.

Beim Reggio-Emilia-Ansatz, einem Bildungskonzept aus Norditalien, werden Kinder als junge Forscher betrachtet, die ihre eigene Bildung aktiv mitgestalten. Neben projektorientiertem Lernen und einer starken Gemeinschaftsbindung steht eine Umgebung im Mittelpunkt, die als „dritter Pädagoge“ fungiert. Ebenso wie von Eltern und Erziehern können die Kinder von einer Umgebung sehr viel lernen. Mithilfe biophiler Gestaltungsprinzipien sollen sie Verbindungen zu ihrem Lebensraum und zur Natur schaffen können. Nach diesem Ansatz wurde das neue Fulmer Family Center for Childhood Studies erbaut. Dass die Wahl des Baumaterials auf Holz fiel, lag auf der Hand.

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Das Baumaterial Holz passt zum pädagogischen Bildungsansatz der neuen universitären Einrichtung.

Beim Bau von universitären Bildungseinrichtungen hat der Holzbau in den letzten Jahren enorm aufgeholt. Ob Kaliforniens Kresge College oder die Universität Tilburg in den Niederlanden, der moderne Holzbau ist oft die erste Wahl, wenn es darum geht, biophile Lernumgebungen zu schaffen, die nachhaltig errichtet sind und zugleich Konzentration und Wohlbefinden fördern.

Zwei Fliegen mit einer Klappe

Der neue Bildungsbau der Capilano University in North Vancouver ist ebenfalls in konstruktiver Holzbauweise errichtet. Bei der Wahl des Tragwerks und der Form setzte das ausführende Büro Public Architecture aus Vancouver auf einen Holzbau, der ganz bewusst nicht leichtfüßig daherkommt, sondern eine Geste der Kraft und Bodenständigkeit ist. „Die schwere Holzkonstruktion vermittelt ein Gefühl von Erdung und Fokus, was sich gut mit dem Ort verträgt“, beschreiben die Planer die Wirkung des Gebäudes.

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Das neue Fulmer Family Center der kanadischen Capilano University ist in moderner Holzbauweise errichtet.

Das neue Zentrum bietet ein symbiotisches Konzept mit Betreuungsplätzen für 74 Kinder aus vier Jahrgängen und Praktikumsplätzen für 125 angehende Kindergartenpädagoginnen und -pädagogen, die am Uni-Campus studieren. Damit schlägt man zwei Fliegen mit einer Klappe.

Die schwere Holzkonstruktion vermittelt ein Gefühl von Erdung und Fokus, was sich gut mit dem Ort verträgt.

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Zum einen füllt der Neubau die regionale Lücke an Kinderbetreuungseinrichtungen, zum anderen bekommen die Teilnehmer des Studiengangs Early Childhood Care and Education (ECCE) eine praktikumsnahe Ausbildung. „Offene und kollaborative Forschungslabore verschmelzen mit den alltäglichen Aktivitäten der Kinderbetreuung“, heißt es in der Projektbeschreibung.

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Das neue Zentrum bietet sowohl Kinderbetreuungsplätze als auch Praktikumsplätze für die angehenden Pädagogen, die am Uni-Campus studieren. 

Im kindlichen Maßstab

Der Holzbau mit seinen großen Dachüberständen und seiner archetypischen Form ist charakteristisch für die Gegend und fügt sich harmonisch in den baukulturellen Kontext ein.

Das niedrige Dach und die Regenrinnen entlang der Gebäudekanten schaffen einen für die jungen Nutzer geeigneten Maßstab.

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Das asymmetrische Dach fällt an der Südseite steil ab, um die darunter liegenden Bürofenster zu beschatten. Das flachere Norddach kragt weit aus, und bildet dadurch einen Außenbereich, der vom Küstenregen geschützt ist.

Bei der Dimensionierung und Form des Holzbaus versuchten die Planer, sich an den Kleinsten zu orientieren, die sich künftig in dem Gebäude aufhalten werden. „Das niedrige Dach und die Regenrinnen entlang der Gebäudekanten schaffen einen für die jungen Nutzer geeigneten Maßstab und fördern die Sonneneinstrahlung im nach Norden ausgerichteten Außenspielbereich“, so die Architekten.

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Der Holzbau mit seinen großen Dachüberständen und seiner archetypischen Form ist charakteristisch für die Gegend.

Ein verzweigtes Dachtragwerk

Im Inneren erwecken die Stützen und Querstreben aus Douglasien-Brettschichtholz den Eindruck eines baumartig verzweigten Dachtragwerks, das eine spielerische Verbindung zu den Baumkronen ringsum herstellt. Durch die unterschiedliche Neigung der Dächer ergibt sich ein Sprung im Giebel, der über ein Obergadenfenster für natürlichen Lichteintrag sorgt.

Die dunkle Holzlasur der Außenfassade ist vom explorativen Kunstlehrplan der Kinder inspiriert. Das kohlefarbene Zedernholz ist eine Anlehnung an das Zeichnen mit Kohle, die von den Kindern durch Brennen selbst hergestellt wird. „Ein alltägliches Material, das in einen architektonischen Ausdruck verwandelt wurde.“

Eine Strada, die verbindet

Als zentrale Achse des Gebäudes dient die sogenannte Strada, eine Erschließungszone, die die beiden Geschosse miteinander verbindet und zugleich als gemeinschaftlicher Treffpunkt fungiert. Während im Obergeschoss die Lehr- und Fakultätsräume untergebracht sind, befinden sich im Erdgeschoss die Gruppenräume der Kindertagesstätte.

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Alle Gruppenräume sind zum Wald hin ausgerichtet, und die geschosshohe Verglasung löst die Grenze zwischen Innen und Außen auf.

„Offen zur darunter liegenden Ebene und von oben natürlich beleuchtet, schafft die Strada visuelle und akustische Verbindungen zwischen den Erziehern und der Kinderbetreuung und erweitert so die Möglichkeiten für erfahrungsbasiertes Lernen“, wie es heißt.

Ein Spielplatz im Wald

Mit seiner Typologie und Materialität fügt sich das Gebäude nahtlos in die Waldlandschaft ein und macht die Umgebung für die Kinder erlebbar. Alle Gruppenräume sind zum Wald hin ausgerichtet, und die geschosshohe Verglasung löst die Grenze zwischen Innen und Außen auf. Der Außenspielbereich reicht in den Wald hinein, der so weit wie möglich erhalten wurde.

Die wenigen Bäume, die dem neuen Gebäude weichen wussten, setzten die Landschaftsarchitekten von PFS Studio als konstruktive Elemente des Spielplatzes ein. „Durch die Einbeziehung der Waldumgebung maximiert das Zentrum das vorhandene Spielpotenzial des Ortes“, erklärt Public Architecture den ganzheitlichen Zugang. Lebendiger und näher an der Natur kann ein Klassenzimmer eigentlich nicht sein.

Text: Gertraud Gerst Fotos: Andrew Latreille Photography

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