Ein Holzbau mit scharfer Kante

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Dass ein Industriegebäude nicht nur zweckmäßig, sondern auch überaus schön sein kann, beweist das neue Werksgebäude von Mühle Shaving. Der konstruktive Holzbau zeigt nach außen Kante und versprüht nach innen wohlige Wärme.

Das sächsische Erzgebirge ist neben dem Bergbau vor allem für seine Handwerkskunst berühmt. Der kleine Ort Hundshübel bei Stützengrün hat einen besonderen artisanalen Exportschlager: traditionelles, handgefertigtes Rasierwerkzeug aus Alu, Holz, Porzellan und Dachshaar. Die Firma Mühle Shaving betreibt hier seit rund 80 Jahren eine Manufaktur für Rasurkultur, die weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt ist. Auf Expansionskurs ist der Betrieb seit Konsumenten statt Einwegrasierern aus Plastik und Schaum aus der Dose wieder vermehrt zum guten alten Rasierhobel samt Pinsel greifen. Langfristig sind diese nicht nur kostengünstiger, sondern durch die lange Nutzung auch wesentlich umweltfreundlicher. Der Companion, ein Unisex-Rasierer von Mühle, wurde kürzlich vom britischen „Independent“ sogar zum besten und umweltfreundlichsten aller Rasierer gewählt.

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In der neuen Werkshalle von Mühle Shaving wird klimafreundlich produziert.

Dabei spielte nicht nur sein Produktdesign eine Rolle, sondern auch der CO2-neutrale Versand und die klimafreundliche Produktion. Diese basiert auf erneuerbaren Energien und findet in einer neuen Fertigungshalle statt, die zu einem Großteil aus Holz gebaut ist. 

Den Ersatzneubau am historischen Werksgelände darf man wohl zu den ökologisch und ästhetisch anspruchsvollsten Industriebauten unserer Zeit zählen. Für den Entwurf beauftragten die Brüder Andreas und Christian Müller, die das Unternehmen in dritter Generation führen, das Leipziger Architekturbüro Atelier ST

Scharf wie eine Klinge

Entsprechend den Flächennutzungsplänen sollte die die 400 Quadratmeter große Halle eine Verbindung zwischen zwei Bestandsgebäuden herstellen. Das neue bauliche Bindeglied schweißt das Ensemble zu einer Einheit zusammen. So ist es möglich, dass sich das gesamte Werksgelände trockenen Fußes passieren lässt.

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Der neu geschaffene Besprechungsraum im Obergeschoss überblickt das Produktionsgeschehen in der Werkshalle.

Das gestalterische Konzept basiert auf einem spannungsvollen Kontrast zwischen der Innen- und der Außenwirkung des Gebäudes. Von außen gibt sich die markante Halle sehr rational und schnittig. Im Inneren dominieren warme Holzoberflächen, und durch die hofseitige Fensterfront fällt das Tageslicht weit in den Raum hinein.

Gebaute Nachhaltigkeit

Mit der scharfkantigen Außenfassade aus eloxiertem Aluminium wollte man jene Eigenschaft zitieren, die den Produkten eigen ist. „Wir haben den Entwurf stark abgeleitet von der Firmenkultur“, erklärt Architekt Sebastian Thautin „30 Grad“, dem Unternehmensmagazin von Mühle Shaving.

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Die nachhaltigen Rasierprodukte werden bei Mühle Shaving von Hand gefertigt.
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Nachhaltig sollte auch der Ersatzneubau sein, der zwei Bestandsbauten verbindet.

„Neben der Verwendung nachwachsender Rohstoffe, womit wir auf das für Mühle wichtige Nachhaltigkeitsthema eingehen und den ländlichen Standort, sollte das Gebäude etwas Straightes sein, das die Designkultur des Unternehmens transportiert: das Silberglänzende der Rasierhobel, das Cleane, Geschliffene, Scharfkantige der Rasierklingen“, so Thaut im Interview.

Neben der Verwendung nachwachsender Rohstoffe sollte das Gebäude etwas Straightes sein, das die Designkultur des Unternehmens transportiert.

Sebastian Thaut, Architekt

Der Nachhaltigkeitsgedanke manifestiert sich auch im täglichen Werksbetrieb. Das autarke Energiekonzept basiert auf Geothermie und Erdwärmepumpen, die aus selbst erzeugtem Sonnenstrom vom Dach gespeist werden.

Eine harmonische Ergänzung

Der Neuzugang auf dem über Jahrzehnte gewachsenen Werksgelände fügt sich ohne großes Aufsehen in das bestehende Ensemble ein.

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Die großzügige Fensterfront versorgt die Halle mit natürlichem Tageslicht.

Mit seiner einfachen, rechteckigen Kubatur und dem Flachdach tut er es den anderen Werkshallen gleich. Durch den leichten Rücksprung im Hof und die etwas höher liegende Gebäudekante sticht das Gebäude dennoch hervor.

Die für einen Industriebau äußerst großzügig bemessenen Glasflächen sind bei der Außenwirkung wohl das Augenfälligste der neuen Manufaktur. Die dadurch gegebene Transparenz gewährt von außen Einblick in die traditionsgemäß manuelle Herstellung der Rasierprodukte. Im Inneren ergeben sich vielfältige Blickbezüge, die weit bis in den Innenhof reichen.

Regionale und lokale Ressourcen

Für den Bau und den Betrieb der Halle wollte man möglichst klimafreundliche Ressourcen nutzen, die regional und am Standort vorhanden sind. Lediglich die Bodenplatte und eine tragende Wand an der Gebäuderückseite sind aus Stahlbeton gebaut. „Aufgrund der Nähe zum Erzgebirge und im Sinne eines nachhaltigen Bauens mit erneuerbaren Rohstoffen sind alle anderen tragenden Elemente als Holzkonstruktionen ausgeführt“, heißt es in der Projektbeschreibung von Atelier ST.

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Das Tragwerk aus Leimbindern und einer massiven Brettsperrholzdecke wird durch Inneneinbauten aus Holz ergänzt. 

Das Tragwerk aus Leimbindern und einer massiven Brettsperrholzdecke wird durch Inneneinbauten aus Holz ergänzt. Zusammen mit den Treppen und Wandverkleidungen entsteht eine homogene Kulisse aus warmen Holzoberflächen, die der Industriehalle eine wohnliche Atmosphäre verleihen. 

Diese natürlichen Materialien zeichnen sich nicht nur durch gute Tragfähigkeit und einen hohen Dämmwert aus, sondern schaffen auch ein gesundes Arbeitsklima in der Halle.

Atelier ST, Architekturbüro

„Diese natürlichen Materialien zeichnen sich nicht nur durch gute Tragfähigkeit und einen hohen Dämmwert aus, sondern schaffen auch ein gesundes Arbeitsklima in der Halle“, wie die Architekten betonen.

Ein Haus im Haus

Nach dem Haus-im-Haus-Prinzip schafft eine zweistöckige Holzrahmenkonstruktion ein abgetrenntes Raumangebot in der großen Halle. Im Erdgeschoss dieses Bereichs liegen die Büros und Verwaltungsräume, während das Obergeschoss mit einem großen Besprechungsraum aufwartet. Über eine Glasfront gibt dieser Einblick in den Alltag des Produktionsgeschehens.

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Die neue Halle in Holzbauweise fügt sich harmonisch in das Werksgelände ein.

Der wohlproportionierte Holzbau wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter auch mit dem Architekturpreis des BDA Sachsen 2024. Der deutsche Architektenbund würdigte damit den identitätsstiftenden Charakter des Gebäudes:

„Die Produktionshalle der Mühle Shaving ist ein gelungenes Beispiel, wie auch mit angemessenem finanziellem Aufwand eigeninitiativ Unternehmenskultur zu identitätsstiftender Baugestalt werden kann. Entstanden ist eine Arbeitsstätte, die mit Würde und Gelassenheit die Werte des Unternehmens in architektonische Alltagsräume überträgt.“

Text: Gertraud Gerst Fotos: Achim Menges

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