Ein Haus, wie ein Auto gebaut

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In Zürich ist ein Wohnbau entstanden, der alle gängigen Konventionen hinter sich lässt. Das Kreislaufhaus ist komplett zerlegbar und setzt auf eine hybride Bauweise, die dem Material-Engineering im Fahrzeugbau gleicht.

Wir leben in einer Welt, in der Ressourcenschonung, Energieeffizient und Dekarbonisierung eine immer wichtigere Rolle spielen. Das ist zum einen den näher rückenden Klimazielen geschuldet. Zum anderen sichert das sinnvolle Haushalten mit den vorhandenen Rohstoffen die Lebensgrundlage für zukünftige Generationen. Experten sehen deshalb im Leichtbau eine Schlüsseltechnologie für die Zukunft. Leichtbau bedeutet, Konstruktionen zu optimieren und für jede Komponente das optimale Material zu finden, ohne dabei die Stabilität oder Funktionalität zu beeinträch­tigen. Während dies im Fahrzeugbau – auch aus Gründen der Kostenoptimierung – längst gang und gäbe ist, gewinnt dieser Ansatz auch in der Architektur mehr und mehr an Bedeutung.

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Stahl, Beton und Holz werden im Tragwerk des Kreislaufhauses miteinander kombiniert.

Das Kreislaufhaus im Zürcher Stadtteil Oerlikon nach den Plänen des Architekturbüros Graser Troxler ist so ein Beispiel. Die primären Baustoffe Stahl, Beton und Holz wurden jeweils dort eingesetzt, wo sie ihren spezifischen Eigenschaften gemäß die beste Wirkung entfalten können.

Beispielhafte Nachverdichtung

Auf der Grundfläche von zwei Reihenhäusern aus dem Jahr 1918 entstanden insgesamt 13 Wohnungen. Auf diese Weise konnte man auf dem 690 Quadratmeter großen Grundstück viermal so viel Wohnraum schaffen. Mit dem fünfstöckigen Hybridbau nutzten die Planerinnen und Planer die Baureserven auf den beiden benachbarten Parzellen optimal aus. Diese beispielhafte Nachverdichtung demonstriert, wie die Architektur die Anforderungen an den zunehmend knapper werdenden Wohnraum in urbanen Gebieten intelligent und verträglich lösen kann.

Eine durchgehende Brandmauer aus Beton, die genau auf der Grundstücksgrenze liegt, sorgt für die Aussteifung des Gebäudes und teilt es in zwei unterschiedliche Hälften. Die südliche Hälfte bietet Platz für mehrere kleine Mietwohnungen, während die nördliche Hälfte großzügig für die Eigentümer selbst gestaltet ist.

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Nachverdichtung auf kleinem Raum: Statt der ehemaligen zwei Reihenhäuser sind 13 neue Wohnungen entstanden.

Bei dieser nutzungstechnischen Nord-Süd-Aufteilung ließ sich das Bedürfnis der Bauherren nach Privatheit erhalten, während zusätzlich die Nachfrage nach neuem Wohnraum in der Stadt bedient werden konnte.

Ein Haus ohne Abfall

Im Gegensatz zu den meisten Neubauten, die für die Ewigkeit gebaut, aber in der Regel irgendwann zu Bauschutt werden, verfolgt das Kreislaufhaus den Ansatz, dass sich alle eingesetzten Materialien und Bauteile wiederverwenden lassen. Dieses Prinzip, das unter dem Begriff Cradle to Cradle firmiert, hat den geschlossenen Materialkreislauf zum Ziel, bei dem kein Abfall entsteht.

Um das zu erreichen, muss das Lebensende eines Gebäudes bereits in der Entwurfsphase mitgedacht werden. Bei diesem sogenannten Design for Disassembly ist jedes Bauteil so konzipiert, dass es sich auch wieder sortenrein zerlegen und wiederverwenden lässt. Auf beiden Seiten der Brandmauer dockt ein Stahlgerüst an, das wie ein industrielles Hochregal konstruiert ist.

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Auf beiden Seiten der Brandmauer dockt ein Stahlgerüst an, das wie ein industrielles Hochregal konstruiert ist.
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Die Fassade des fünfstöckigen Wohnhauses ist mit eloxierten Alublechen verkleidet.

Bei diesem schlanken Tragwerk, das in enger Kooperation mit den Bauingenieuren von Büeler Fischli konzipiert wurde, sind die Trägerprofile aus diesem Grund nicht geschweißt, sondern verschraubt und mit Bolzen verbunden. 

Ein Hybride aus Beton, Stahl und Holz

Die weiß lackierte Stahlkonstruktion bleibt in den Innenräumen sichtbar und knüpft bewusst an eine Rohbauästhetik an. Graser Troxler Architekten sehen in der Tragkonstruktion ein zukunftsweisendes Architekturthema. Anstatt sie zu verstecken, feiert man sie im Kreislaufhaus als gestalterisches Element. Warme Akzente aus Holz schaffen einen Ausgleich zu den industriell anmutenden Stahlprofilen, Betonböden und Blechverkleidungen an den Decken.

Durch die sorgfältige Trennung der Gewerke, wie Holz-, Beton- und Stahlbau, sowie die frühzeitige logistische Planung sorgten dafür, dass ressourcenschonend und effizient gebaut werden konnte. Weil alle Materialien entsprechend ihren Eigenschaften effizient eingesetzt und rückbaubar sind, schneidet die Bauweise auch ökologisch recht gut ab.

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Die weiß lackierten Stahlträger und -stützen prägen die Wohnungen, die ohne Türen konzipiert sind.

Insgesamt erreicht das Wohnhaus einen Wert von 12,3 Kilo CO2 pro Quadratmeter. Knapp die Hälfte der grauen Energie des Bauprojekts steckt laut den Architekten im Beton, der in der Tiefgarage, der Brandmauer und im aussteifenden Kern verbaut ist.

Suffizienz im Bausektor

Das Kreislaufhaus in Zürich zeigt beispielhaft, wie die Qualitäten verschiedener Baustoffe vereint werden können, um ein nachhaltiges Gebäude zu schaffen, das auf Suffizienz beruht. Dieser neuere Begriff in der Nachhaltigkeitsdebatte beschreibt die bewusste Reduktion auf das Wesentliche und das richtige Maß. Es geht um die Frage: Wie viel ist genug?

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Eine grüne Stahltreppe verbindet die einzelnen Geschosse miteinander.

Im Gegensatz zur Effizienz, die den Ressourceneinsatz optimiert, hinterfragt die Suffizienz den dahinterliegenden Bedarf und schneidet damit auch das Thema des Flächenverbrauchs beim Wohnen an. Effizientere und kompaktere Wohnräume sind neben einer nachhaltigen Bauweise eine wichtige Stellschraube, um in diesem Sektor ökologisch tragfähig zu agieren.

Text: Gertraud Gerst Fotos: Karin Gauch, Fabien Schwartz

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