Ein Bürohaus aus purem Holz

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Das Bürohaus Küng in der Zentralschweiz ist ein aufgeschlagenes Lehrbuch des modernen Holzbaus, der radikal auf Bauchemie und Verbundstoffe verzichtet. Im Inneren treffen scheinbar konträre Bauwelten aufeinander: skulpturaler Betonkern und mondgeschlagenes Holz.

Im Gewerbegebiet von Alpnach, einer Gemeinde im Schweizer Kanton Obwalden, stechen zwei Bauten hervor. Während die Architektur in solchen Gebieten meist keinen großen Anspruch erhebt, tun diese beiden Gebäude das Gegenteil. Es handelt sich dabei um die Produktionshalle und das Verwaltungsgebäude von Küng Holzbau. Die Firma, die als Familienbetrieb in zweiter Generation geführt wird, hat ein Holzbausystem entwickelt, das den Namen Holzpur trägt. Dabei handelt es sich um ein Brettsperrholzprodukt, das ohne Leim, Metall und andere Verbundwerkstoffe auskommt. Zusammengehalten werden die rund 20 Zentimeter starken Wandelemente allein durch aufquellende Buchenholzdübel. Ein radikales Prinzip, das eine Abkehr von der Komplexität moderner Bauchemie und Verbundstoffe bedeutet.

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Anstatt den aussteifenden Kern des Gebäudes zu verstecken, wird er im Bürohaus Küng skulptural in Szene gesetzt.

Nachdem Seiler Linhart Architekten bereits die Produktionshalle geplant hatten, folgte sieben Jahre später das Bürohaus Küng: ein viergeschossiges Manifest aus Holz, das aufgrund seiner Konsequenz und Ganzheitlichkeit in der Architekturwelt große Beachtung fand.

Mondholz aus regionalen Hochwäldern

Das Baumaterial selbst ist tief in der regionalen Ökologie verwurzelt. Verwendet werden ausschliesslich Fichten und Weisstannen aus regionalen Hochwäldern, die im schonenden Plenterbetrieb bewirtschaftet werden. Eine besonders ressourcenschonende Haltung zeigt sich in der Verwendung von Sekundärholz. Das sind Bretter niederer Qualität, die sonst zu Holzfaserplatten verpresst oder gar verheizt würden.

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Sandgeschliffener Sichtbeton trifft im Inneren auf ...
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... mondgeschlagenes Holz aus regionalen Hochwäldern.

Durch die siebenfache Schichtung der Holzpur-Elemente kann dieses ästhetisch weniger hochwertige Material, wie etwa Käferholz, im Inneren der Wandelemente eingesetzt werden. Es ist dies eine Haltung, die nicht nur auf das Endprodukt, sondern auf den gesamten Lebenszyklus des Rohstoffes blickt und die Ressourcen aus dem eigenen Umfeld konsequent nutzt.

Das Holzpur-System basiert auf Mondholz. Das heißt, das Holz für die Verarbeitung wird nach dem forstwirtschaftlichen Mondkalender geschlagen. Was klingt wie ein mythologischer Brauch, soll angeblich die Stabilität und Widerstandsfähigkeit des Werkstoffs verbessern. Mondholz wird vor Neumond, im Dezember oder Januar geschlagen, wenn die Bäume am wenigsten Saft führen. So gebe es weniger Schwund und eine geringere Anfälligkeit für Schädlinge. Auch wenn dies nicht eindeutig wissenschaftlich belegt ist, schwören Verfechter einer ökologischen und nachhaltigen Bauweise auf diese alte Tradition.

Zitate aus der regionalen Baukultur

Wie auch immer man dazu stehen mag, in dieser Praxis manifestiert sich eine tiefe, fast spirituelle Verbundenheit mit den Naturgesetzen. Die Architekten haben diesen Verweis aufgegriffen, indem Halbmondmotive als Ornamente in die Verblendungen der Rolladenkästen eingefräst wurden.

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Der gesamte Bürobau ist ein Showcase für das firmeneigene Bausystem Holzpur, ein Brettsperrholzprodukt, das ohne Leim, Metall und andere Verbundwerkstoffe auskommt.

Dies ist eine Reminiszenz an die historischen Zuglädenkästen der traditionellen Bauernhäuser der Region, die oft mit rautenförmigen Zierleisten geschmückt waren. Auf diese Weise schlägt der Neubau eine Brücke von der alten Handwerkskunst zur modernen, digitalisierten Fertigung.

Das äußere Erscheinungsbild des Kubus wird unweigerlich von seinen umlaufenden Laubengängen geprägt, die in Eichenholz ausgeführt sind und nach oben hin leicht auskragen. Diese an Zugstangen abgehängten, umlaufenden Terrassen zitieren wieder ein Element der historischen Innerschweizer Häuser. Die Funktion dieses hölzernen Gerüsts ist dabei ebenso gestaltprägend wie effektiv: Es dient nicht nur als gemeinschaftlicher Außenraum, sondern hat auch die Funktion der Verschattung. 

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Das neue Bürohaus ergänzt die Werkhalle, ein Holzbau ebenfalls aus der Feder von Seiler Linhart Architekten.

Skulpturaler Betonkern trifft Mondholz

Im Gegensatz zu diesem filigran wirkenden Holzkleid steht der massive Kern im Inneren. Da die Holzkonstruktion allein nicht die notwendige Aussteifung bieten konnte, entschieden sich die Architekten für einen Erschliessungskern aus Beton. Anstatt diesen unter einer Holztäfelung zu verstecken, ließen sie ihn sandstrahlen und verwandelten ihn in eine raumprägende Skulptur. Sogar der Holzofen samt Kaminsims in der Lobby ist in diese Betonstruktur integriert.

Die Dialektik von weichem, warmen Holz und skulpturalem, massivem Beton ist ein spannendes architektonisches Statement, das die beiden Welten des Massiv- und des Holzbaus auf das Schönste vereint.

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Die an Zugstangen abgehängten, umlaufenden Terrassen zitieren ein Element der historischen Innerschweizer Häuser.

Das Bürohaus Küng beeindruckt nicht nur durch seine Konstruktion, sondern auch dadurch, dass es – konsequent aus der Materialphilosophie heraus entwickelt – ein Stück Baukultur repräsentiert und die regionale Tradition fortschreibt.

Trotz seiner Funktion als Büro- und Verwaltungsgebäude hat der mit dem Prix Lignum ausgezeichnete Holzbau eine außergewöhnliche sensorische Anmutung und den behaglichen Charme eines Wohnhauses. Etwas, das man in einem Gewerbegebiet höchst selten findet.

Text: Gertraud Gerst Fotos: Rasmus Norlander, Elia Schneider

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