Die modulare DNA des Wohnens

Die fränkische Stadt Dinkelsbühl, zwischen Nürnberg und Stuttgart gelegen, besitzt laut in- und ausländischen Rankings die schönste Altstadt in Deutschland. Die gut erhaltenen Fachwerkhäuser in der ummauerten Stadt vermitteln einen authentischen Eindruck davon, wie die Städte im Mittelalter aussahen. Einen Höhepunkt im Fachwerkbau bildet das sogenannte Deutsche Haus mit einem Kern aus dem 15. Jahrhundert, das zu den ältesten Holzhäusern des Landes zählt. Ein Stück südlich der berühmten Altstadt ist ein zeitgemäßer Holz-Wohnbau entstanden, der als modernes Gegenstück zum historischen Fachwerkbau gelten kann. Zentrale Elemente des Projekts mit dem Namen Cube 68 sind eine modulare Bauweise, ein geringer Flächenverbrauch und die Möglichkeit, an das nachbarschaftliche Leben anzuknüpfen.

Der Projektname Cube 68 enthält eine knackige Erklärung, wie der bis zu vier Geschosse hohe Wohnbau aufgebaut ist. Er besteht nämlich aus 68 Holz-Boxen, die über- und nebeneinander gestapelt sind. Das Besondere daran ist, dass diese 43 Quadratmeter großen Raummodule bei ihrer Montage bereits fix und fertig eingerichtet waren – inklusive Einbaumöbeln, Leuchten und Terrassenstühlen.
Richtfest im Holzbau-Werk
Das war auch der Grund, warum das Richtfest im ostösterreichischen Bregenzer Wald stattfand, genauer gesagt im „Boxenstopp“ der Zimmerei Kaufmann in Reuthe. Mit der Fertigstellung der 68 Module samt Innenausstattung stand quasi der Rohbau. Fehlte nur noch der Transport und die Montage vor Ort.

„Das Aufeinanderstapeln der Module auf der Baustelle dauerte gerade einmal drei Wochen“, heißt es vonseiten des zuständigen Büros Liebel/Architekten aus Aalen, das für den Entwurf des seriellen Wohnhauses verantwortlich zeichnet.
Das Aufeinanderstapeln der Module auf der Baustelle dauerte gerade einmal drei Wochen.
Liebel/Architekten
Die Basis dieser Bauweise basiert auf tragenden Brettsperrholz-Wänden, die den Modulen eine robuste Struktur verleihen. Alle Bauteile sind durch Schraubverbindungen gefügt. Dieses einfache, aber entscheidende Detail erlaubt eine vollständige Demontage der Konstruktion, was die Wiederverwendbarkeit der einzelnen Elemente ermöglicht und das Gebäude zu einem Bauteillager für die Zukunft macht.
Vier unterschiedliche Wohnungstypen
Die Module sind trotz ihrer einheitlichen Größe keine statischen Einheiten, die alle Wohnbedürfnisse über einen Kamm scheren. Vielmehr handelt es sich um flexible Bausteine, die sich zu 57 Wohneinheiten unterschiedlicher Größe zusammenlegen ließen.

So entstanden vier verschiedene Wohnungstypen, die den Anforderungen verschiedenster Bewohnerschaften gerecht werden. Die Grundrisse reichen von kompakten 43 bis zu großzügigen 113 Quadratmetern.
Das Wohnprojekt zeichnet sich durch seine klare Designsprache aus, die sich innen wie außen gleichermaßen zeigt. Während die Kubatur der Matrix der Module folgt, sind die Räume vom Boden bis zur Decke in hellem Holz gehalten. Die Grenze zwischen Mobiliar und Tragwerk ist fließend, da alle Oberflächen über dieselbe haptische Qualität verfügen. Die Planer erklären: „Die Wand -und Deckenelemente in den Wohnungen sind in Holz-Sichtqualität und ohne Verkleidung. Dies ist im Geschosswohnungsbau bei Gebäudeklasse 4 eine Besonderheit.“
Weniger Flächenverbrauch pro Kopf
Die Grundrisse der Apartments sind gut durchdacht und streng organisiert, um trotz der kompakten Größe ein Gefühl von Großzügigkeit zu vermitteln.

Die passgenauen Einbaumöbel bieten großzügigen Stauraum und holen das Maximum aus den Flächen heraus. „Ziel des Projekts war die Reduzierung des Wohnflächenverbrauchs pro Kopf“, erklären Liebel/Architekten. "Qualität statt Quantität gelang durch die Schaffung von kleinen Wohneinheiten mit flächeneffizientem Grundriss und hoher Gestaltungsqualität.“
Ziel des Projekts war die Reduzierung des Wohnflächenverbrauchs pro Kopf. Qualität statt Quantität.
Liebel/Architekten
Das ganzheitliche Farb-, Raum- und Lichtkonzept wurde interdisziplinär mit allen Planenden entworfen und sorgt für ein stimmiges Gesamtkonzept. Die gestalterische Qualität dieses Projekts wird nicht nur von den Bewohnerinnen und Bewohnern geschätzt, sondern auch von der Fachwelt. Cube 68 wurde unter anderem mit dem Deutschen Holzbaupreis 2025 und mit einer Anerkennung beim Vorarlberger Holzbaupreis 2025 gewürdigt.
Ein Ort für Gemeinschaft
Der modulare Wohnbau will aber noch mehr sein als die Summe seiner Bauteile. Man strebte nach einem ganzheitlichen Wohnkonzept, das dem zunehmenden Wunsch nach sozialem Austausch im urbanen Raum Rechnung trägt. Die Wohnung verfügen jeweils über eine private und eine kommunikative Außenfläche. Während die dem Hof zugewandte Seite zum nachbarschaftlichen Austausch anregt, finden die Bewohner in der außenliegenden Loggia ihre Ruhe.

Die Wohnungen sind über großzügige Laubengänge erschlossen, die als erweiterte Begegnungszonen dienen und spontane Begegnungen fördern sollen. Im zentralen Hof befindet sich außerdem eine Boule-Anlage und in einem der Module ist eine gemeinschaftliche Sauna untergebracht.
Holz-Wohnbau vom Band
Neben dem reduzierten Wohnflächenverbrauch zeugt auch die Planung des Außenraums von dem Bestreben, schonend mit den Ressourcen umzugehen. Nach Verhandlungen mit der Stadt konnte man den Stellplatzschlüssel für Autos reduzieren, was mehr Grünflächen und zusätzliche Baumpflanzungen ermöglichte. Dies schafft nicht nur einen Mehrwert für die Bewohner, sondern auch für die Umwelt.

Das Projekt Cube 68 in Dinkelsbühl zeigt, wie flächenschonendes und zukunftsfähiges Wohnen aussehen kann. Laut den Planern ist das Konzept leicht reproduzierbar, und Folgeprojekte seien bereits an anderen Standorten geplant. Damit hebt man das serielle Bauen in Holz auf das nächste Level.
Text: Gertraud Gerst Fotos: Brigida González
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