Das nachhaltigste Gebäude der Welt

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Drei Kerzen können einen Quadratmeter beheizen. Das Eisbärhaus in Baden-Württemberg hat die Auszeichnung „Klimapositiv“ und die höchste DGNB-Zertifizierung aller Zeiten erhalten. Ein guter Grund, sich das Baukonzept näher anzusehen.

Kirchheim unter Teck muss man nicht kennen. Dass diese unscheinbare Provinzstadt in Baden-Württemberg dennoch eine gewisse Bekanntheit erlangt hat, liegt an einem Bauprojekt am Rand der Altstadt. Das Besondere an diesem Gebäude ist seine kompromisslos nachhaltige Bauweise und die negative CO₂-Jahresbilanz. Das Eisbärhaus ist damit ein Modell, das für das klimaneutrale Bauen der Zukunft taugt.

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Die Erweiterung des Eisbärhauses, der Bauteil C, hat den höchsten DGNB-Erfüllungsgrad aller Zeiten erreicht.

„Mit seiner schwarzen Haut und dem weißen Fell kann der Eisbär unter denkbar ungünstigen klimatischen Verhältnissen leben“, so Architekt Matthias Bankwitz über die Namensgebung aus dem Tierreich im Podcast Bauen & Wohnen. Sein erklärtes Ziel ist das nachhaltige Bauen, das im Fall des Eisbärhauses bis ins kleinste Detail zu Ende gedacht ist. Dieser Meinung war auch die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB), die das ambitionierte Projekt mit einer Zertifizierung in Platin und der höchsten jemals erreichten Punktezahl auszeichnete.

Starke Dämmung und effizienter Luftwechsel

Seit 2008 stehen die Bauteile A und B, der Bauteil C kam 2020 dazu. Auf vier Stockwerken beherbergt das Eisbärhaus Gewerbeflächen, Wohnungen sowie das Büro des Architekten. In der Metapher des Eisbären gedacht, entspricht das dicke Fell der umfangreichen Dämmung des Passivhauses. „Die Außenwände sind an die 60 Zentimeter stark“, führt Bankwitz den Vergleich aus.

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Holz vom Boden bis zur Decke: ein Raum im Eisbärhaus vor dem Bezug.

Der Wärmeverlust ist so gering, dass man mit drei Kerzen einen Quadratmeter heizen kann.

Matthias Bankwitz, Architekt

Für den Luftwechsel im Haus sorgt eine mechanische Komfortlüftung. Über einen Wärmetauscher wird die eintretende Frischluft in der kalten Jahreszeit durch die austretende Abluft vorgewärmt. „Somit ist der Wärmeverlust gering“, erklärt der Architekt. „Der Wärmeverlust ist so gering, dass man mit drei Kerzen einen Quadratmeter heizen kann.“

Modularer Wandaufbau

Die Außenwände des Eisbärhauses bestehen aus geschosshohen, vorgefertigten Wandelemente, die über Montageschienen am Stahlbetonskelett befestigt sind. Der modulare Wandaufbau mit einer Zelllulosefüllung als Dämmung sorgt dafür, dass die Wärme im Inneren des Gebäudes gehalten wird.

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Die Außenbeschattung des Eisbärhauses ist im Sommer besonders wichtig.

Die Holz-Außenfassade dient als Witterungsschutz und ist hinterlüftet, sodass sie wieder trocknen kann, wenn sie nass wird. „Die Kunst beim Holzbau ist der konstruktive Holzschutz, das heißt, man muss so bauen, dass alles auch auf Dauer hält“, erklärt Bankwitz.

Die Kunst beim Holzbau ist der konstruktive Holzschutz, das heißt, man muss so bauen, dass alles auch auf Dauer hält.

Matthias Bankwitz, Architekt

Auf der Innenseite des Gebäudes befindet sich ebenfalls eine Holzschalung. Das heißt, das Eisbärhaus besteht durch und durch aus dem nachwachsenden Baustoff. Ein Arbeitsplatz in diesem Gebäude benötigt laut Bankwitz nur acht Prozent der Energie, die er in einem gewöhnlichen Gebäude benötigt. Der neue Bauteil C kommt sogar ganz ohne Heizung aus, da er auf symbiotische Weise die Wärme des Nebengebäudes nutzt.

Beschattung von außen

Grundsätzlich hat das Eisbärhaus laut dem Architekten weniger ein Heiz- als ein Kühlproblem. Da alles im Haus Wärme abgibt, muss im Sommer dafür gesorgt werden, dass die Sonne die Räume nicht zusätzlich aufheizt. Textil-Screens sorgen an der Außenseite der Fenster für eine automatische Verschattung, die 85 Prozent der Wärmestrahlung abhält. Der Sichtbezug nach außen bleibt durch die Screens dennoch erhalten.

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Hinter dem Haus wurde eine Magerwiese angelegt, die allerlei Insekten anlockt.

Auch im Außenbereich des Gebäudekomplexes wurde nachhaltig gedacht. Hier wächst insektenfreundlicher Magerrasen. Die Pflanzen dafür stammen aus einem Umkreis von 20 Kilometern. Auch die Weißtanne, die für die Außenbeplankung eingesetzt wurde, ist regional beheimatet. Sie stammt aus dem umliegenden Schwarzwald.

Höchste Bewertung durch die DGNB

Die Bauteile A und B wurden 2019 von der DGNB nach gut zehn Jahren im Betrieb bewertet. Sie erlangten mit Platin das höchste jemals erzielte Ergebnis für Gebäude im Bestand sowie die Auszeichnung „Klimapositiv“, die die CO₂-Neuträlität im Betrieb bestätigt.

Mit dem Erweiterungsbau C legte die Planungsgesellschaft die Latte noch einmal höher. Er erreichte mit 95,6 Prozent den höchsten Gesamterfüllungsgrad, den ein Neubau in der DGNB-Zertifizierung je erreicht hat. Damit darf sich das Eisbärhaus als „nachhaltigstes Gebäude der Welt“ bezeichnen. Angesichts der näher rückenden Klimaziele sollte man das beschauliche Kirchheim unter Teck – und sein grünes Vorzeigeprojekt – vermutlich doch kennen.

Text: Gertraud Gerst Fotos: Bankwitz beraten planen bauen GmbH

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