„Rechtssicherheit ist ein unglaubliches Asset“

Michael Umfahrer, Präsident der Notariatskammer
Interview: Michael Umfahrer, Präsident der Notariatskammer, über die globale Unsicherheit, deren Folge und Gegenrezepte.

Europa müsse seine Rechtssicherheit und Rechtsstaatlichkeit priorisieren, sagt ÖNK-Präsident Michael Umfahrer. Denn beide seien wesentliche Entscheidungskriterien für Investoren und somit eine wichtige Größe für wirtschaftliches Wachstum und im Standortwettbewerb.

In den vergangenen Monaten ist ein Wort immer öfter zu hören – nämlich Unsicherheit. Sind die Zeiten tatsächlich so unsicher geworden oder wird es nur so empfunden?

Michael Umfahrer: Anders als in den letzten Jahrzehnten reiht sich ein herausforderndes Ereignis an das andere. Den Anfang machte die Pandemie, dann kamen der Ukrainekrieg, der die Energiekosten explodieren ließ, die Inflation, der Gazakrieg, die anhaltende Rezession und nicht zuletzt US-Präsident Donald Trump. All diese Ereignisse stellen alles bisher Gewohnte in Frage und sorgen für Unsicherheit.

Sind wir also zu wenig resilient?

Wir haben uns zu sehr darauf verlassen, dass es immer so weiter geht wie in den letzten Jahrzehnten. Das gilt sowohl für den Frieden als auch das Wachstum.

Unsicherheit stärkt die Angst – und die ist, wie schon Arthur Schnitzler wusste, ein schlechter Berater, wenn es um kluge Entscheidungen geht. Was kann die Politik, was können die Gesellschaft und jeder Einzelne dazu beitragen, dass wieder ein Gefühl von Sicherheit und Vertrauen aufkommt?

Sowohl Unsicherheit als auch Angst entstehen durch Unruhe und nicht vorhersehbare Ereignisse. Das Wichtigste, um beide zu besiegen, ist meiner Meinung nach, Ruhe zu schaffen und das Vertrauen zu stärken. Im zwischenmenschlichen Bereich heißt das, die Rückkehr zu mehr Toleranz, Rücksicht und Kompromissen. Denn die Diskursfähigkeit ist verloren gegangen, andere Meinungen werden kaum bis gar nicht toleriert, Polarisierung und Aggression haben zugenommen. Das ist überall zu bemerken, im Privat- und Berufsleben, aber auch in der Politik.

Sie nehmen diesbezüglich also auch die Politiker in die Pflicht?

Natürlich. Sie sollten mit gutem Vorbild voran gehen und für Ausgleich, Sicherheit und Stabilität sorgen.

Die herrschende Unsicherheit schlägt sich in der Wirtschaft nieder: Es wird weniger konsumiert, investiert und expandiert. Das kann unter Umständen zum Mitauslöser einer Rezession werden und die Wettbewerbsfähigkeit von Standorten schwächen …

Man darf nicht vergessen, dass hinter der Wirtschaft ebenfalls Menschen stehen. Daher ist es kein Wunder, dass sich die Unsicherheit der Menschen in der Wirtschaft spiegelt und dort weite Kreise zieht – bis zur Beeinträchtigung der Wettbewerbsfähigkeit von Standorten.

Mit dieser, konkret jener von Europa, haben sich ja die Europäischen Notarentage, die vor zwei Wochen in Salzburg stattgefunden haben, beschäftigt. Was braucht es, damit Europa, konkret die EU, angesichts globaler Unsicherheiten ein attraktiver Standort für Unternehmen und Investoren bleibt?

Eine zentrale Voraussetzung für unternehmerisches Wachstum ist ein rechtlich stabiler Rahmen. Wenn Europa wirtschaftlich stark bleiben will, muss es somit – auch als Kontrapunkt gegenüber anderen Wirtschaftsräumen – die hier definitiv vorhandene Rechtssicherheit und Rechtsstaatlichkeit priorisieren. Beide sind ein unheimliches Asset. Denn eine stabile Demokratie, eine funktionierende Justiz und ein vorhersehbares Rechtssystem sind wesentliche Entscheidungskriterien für Investoren.

Wenn Sie von Rechtssicherheit und Rechtsstaatlichkeit sprechen – das ist ja ein Kernthema des Notariats ...

Das ist richtig. Als vom Staat ernannte Amtsträger sind wir zu Objektivität und Unparteilichkeit verpflichtet. Das führt dazu, dass wir den Ausgleich suchen, Schwächere schützen und präventiv Streit vermeiden – für Unternehmen bedeutet das schnellere, effizientere und rechtssichere Verfahren, niedrigere Kosten sowie mehr Planungssicherheit, für die Justiz ist es eine Entlastung.

Das ist eine große Verantwortung …

... aber auch Freude. Ich bin über die aktuelle Situation alles andere als froh, aber ich freue mich, dass das Notariat für Vertrauen, Ruhe und Stabilität sorgt und so zur Erhaltung von Rechtsfrieden und Rechtsstaat beiträgt.

Auch auf europäischer Ebene?

Ja, auch da. Beispielsweise hat die EU zuletzt die Einbindung des Notariats im Firmenbuchverfahren festgeschrieben, um EU-weit Qualität und Richtigkeitsgewähr von Registereintragungen zu stärken. Und das sollte auch bei der Umsetzung des geplanten 28. Regimes gelten: Die notarielle Beteiligung gewährleistet Rechtssicherheit und unterstützt gleichzeitig auch durch den Einsatz digitaler Instrumente den Gründungsvorgang als one-stop-shop.

Sie sagten zuvor, Rechtssicherheit und Rechtsstaatlichkeit sind wesentliche Assets für den Wirtschaftsstandort Europa beziehungsweise Österreich. Sehen Sie da noch Verbesserungspotenzial?

Wie gesagt, Europa braucht sich diesbezüglich wirklich nicht zu verstecken. Aber natürlich gibt es Punkte, die noch verbessert werden können. Einer ist, die Unternehmen von unnötiger Bürokratie zu befreien. Wobei der bürokratische Aufwand nicht überall gleich hoch ist. Bei Gründungen beispielsweise gibt es kaum mehr derartige Hemmnisse, sehr wohl aber bei der operativen Tätigkeit. Da gibt es dann überbordende Berichts- und Dokumentations- und andere Pflichten, die für viele Unternehmen ein wirkliches Hemmnis sind. Denn nicht jeder Betrieb hat die notwendigen personellen sowie finanziellen Kapazitäten und die Infrastruktur, um diesen Pflichten nachzukommen. Das hat auch die EU erkannt und setzt nun entsprechende Schritte. Die Omnibus-Verordnungen (diese sollen u. a. weniger Berichtspflichten, eine klarere Struktur und mehr Flexibilität in der Umsetzung bringen, Anm. der Red.) sind ein Schritt in diese Richtung.

Kommen wir noch kurz nach Österreich: Die Gerichte sind überlastet, Sie bieten immer wieder an, die Justiz zu entlasten. Wie könnte das möglich sein?

Als unabhängige, objektive Amtsträger führen wir bereits gewisse Aufgaben im öffentlichen Interesse durch wie etwa die Durchführung von Verlassenschaftsverfahren als Gerichtskommissäre. Als solche könnten wir aber auch einvernehmliche Scheidungen durchführen, und zwar optional neben den Gerichten. Weitere Aufgaben, die wir übernehmen könnten, wären die Ausgabe der ID Austria sowie im Unternehmensbereich jene der UID-Nummer im Rahmen des one-stop-shops zur Unternehmensgründung. Diese Auslagerung von Staatsaufgaben würde Gerichte und Behörden entlasten, deren Effizienz steigern und Verfahren beschleunigen. Das alles wirkt kostensenkend, was wiederum die Budgetnöte lindern würde.

Das Interview bildet den Auftakt für die Serie „Mein Recht“ im KURIER, die Sie in den folgenden Monaten in der Printausgabe und Online sowie auf kurier.tv/meinrecht finden.

Weitere Infos unter ihr-notariat.at