Interview: Der große Wunsch nach Sicherheit

Interview: Der große Wunsch nach Sicherheit
Michael Lunzer, Präsident der Notariatskammer für Wien, NÖ, Burgenland, über Vorsorge

Ein Unfall, eine schwere Erkrankung können dazu führen, dass man nicht mehr entscheidungsfähig ist. Dr. Michael Lunzer, Präsident der Notariatskammer für Wien, NÖ und Burgenland, weiß, wie man für diesen Fall vorsorgen kann.

Die Gegenwart wird von vielen als extrem unsicher und schwer planbar empfunden. Ist in diesem Zusammenhang das Thema Vorsorge wichtiger geworden?

Michael Lunzer: Ich glaube schon, dass der Wunsch nach ein paar festen Punkten, an denen man sich anhalten kann, in Zeiten wie diesen steigt. Dazu gehören natürlich auch die Möglichkeiten, die es dafür im rechtlichen Bereich gibt.

Eine aktuelle Studie der Österreichischen Notariatskammer zeigt, dass bei 32 Prozent der KMU die Firmenchefs für den Weiterbestand des Unternehmens vorgesorgt haben. Bei Unternehmen ab zehn Mitarbeitern haben dies allerdings bereits 46 Prozent getan. Worauf führen Sie diesen Unterschied zurück?

Auf den unterschiedlichen Zugang. Kleine Unternehmen sind sehr auf die Person des Unternehmers zentriert, die denken sich nicht so leicht weg. Bei großen Unternehmen ist das Bewusstsein, dass nicht alles an einem hängen soll, verbreiteter. Dazu kommt, dass dort die Komplexität der Abläufe, Prozesse usw. dazu beiträgt, dass sich die Inhaber mehr mit dem Thema beschäftigen.

Welche rechtlichen Möglichkeiten wären das?

Im Unternehmensbereich ist das bei einer Gesellschaft natürlich der Gesellschaftsvertrag. Mit diesem kann man die Rechte und Pflichten der Gesellschafter detailgenau festlegen. Natürlich kann auch die Bestellung eines Prokuristen eine gute Vorsorgemaßnahme sein. Sie setzt zwar viel Vertrauen voraus, ist aber ein einfacher Weg, um den Betrieb am Laufen zu halten, wenn der Inhaber nicht entscheidungsfähig ist. Weiters gibt es die Vorsorgevollmacht und das Testament, die ich beide nicht nur Unternehmern ans Herz lege.

Interview: Der große Wunsch nach Sicherheit

Dr. Michael Lunzer, Präsident der Notariatskammer für Wien, NÖ und Burgenland

Bei einer Vorsorgevollmacht hat man einen großen Gestaltungsspielraum

von Dr. Michael Lunzer, Präsident der Notariatskammer für Wien, NÖ und Burgenland

Was kann ich in einer Vorsorgevollmacht denn alles regeln?

Mit ihr kann ich für den Fall meiner Entscheidungsunfähigkeit so ziemlich alles regeln, was sowohl Entscheidungen für mich selbst als auch für das Unternehmen betrifft. Man hat wirklich einen großen Gestaltungsspielraum.

Können Sie das noch ein wenig genauer präzisieren?

Gerne! Man kann einen oder mehrere Vertreter bestimmen, die übrigens keine Familienangehörigen sein müssen. Flexibel ist man auch, was die Vertretung betrifft: Man kann beispielsweise einen Vertreter für medizinische Entscheidungen bestimmen, während andere für das Unternehmen zuständig sind. Die jeweiligen Vertreter können auch nur für bestimmte Aufgaben bevollmächtigt werden. Oder man legt fest, dass der Vertreter vor einer Entscheidung mit bestimmten Experten reden muss. Darüber hinaus kann man auch die Frage der Unterbringung darin klären, falls es nicht zu einer Genesung kommt.

Dr. Michael Lunzer ist seit 2000 öffentlicher Notar und Mediator in Wien-Hernals. Darüber hinaus ist er unter anderem Präsident der Notariatskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland, erster Präsidentenstellvertreter der Österreichischen Notariatskammer und Lehrbeauftragter an der Universität Wien.

Kann ich als Geschäftsführer einer Gesellschaft auch festlegen, dass der Vorsorgebevollmächtigte einen neuen Geschäftsführer bestellen muss?

Richtig. Er selbst kann nämlich nicht automatisch als Geschäftsführer fungieren. Sie können aber auch festlegen, dass das Unternehmen nach einer bestimmten Zeit aufgelöst werden soll.

Wann tritt denn die Vorsorgevollmacht in Kraft?

Sie wird dann wirksam, wenn ein Arzt die Handlungsunfähigkeit des Patienten bestätigt hat. Sobald diese wiedergegeben ist, verliert die Vorsorgevollmacht ihre Wirksamkeit.

Sie haben zuvor erwähnt, dass man in einer Vorsorgevollmacht jemanden für medizinische Entscheidungen bestellen kann. Worin liegt denn der Unterschied zur Patientenverfügung?

Mit einer Patientenverfügung kann ich bestimmen, dass man bestimmte Behandlungen nicht durchführen darf. Sie hat aber den Nachteil, dass man in der Regel Entscheidungen für einen unbekannten Zeitpunkt und eine unbekannte Krankheit trifft. Das heißt, ich verbiete etwas, von dem ich gar nicht weiß, ob es je eintritt. Anders sieht es aus, wenn ich eine schwere chronische Erkrankung habe oder klare religiöse Überzeugungen vertrete. Der Vorteil der Vorsorgevollmacht liegt darin, dass die Bevollmächtigten in einer konkreten Situation mit dem Arzt reden und Entscheidungen treffen können.

Die 522 österreichischen Notare sind auch während des zweiten Lockdowns nach vorhergehender Terminvereinbarung – telefonisch oder per Email – persönlich für Sie da. Die Kanzleien sind grundsätzlich geöffnet. Aufgrund einer ausdrücklichen Ausnahme von Ausgangsbeschränkungen ist es zulässig, den privaten Wohnbereich für einen Termin in einer Notariatskanzlei zu verlassen. Neben den allgemeinen Hygieneregeln muss jedoch besonders auf Mindestabstand und Maskenpflicht geachtet werden.

www.notare.at

Angenommen, dem Vollmachtgeber entsteht aus dem Handeln des Bevollmächtigten ein Schaden, gibt es so etwas wie eine Haftung oder Schadenersatzpflicht?

Grundsätzlich haftet der Bevollmächtigte sehr wohl für jeden Schaden, den er durch ein rechtswidriges und vorwerfbares Verschulden verursacht und muss dafür Schadenersatz leisten. Also beispielsweise, wenn er einen Geschäftsführer bestellt, von dem er bereits im Voraus annehmen kann, dass dieser für die Aufgabe nicht geeignet ist. Aber es gibt gewisse Haftungsprivilegien, das heißt, es gibt in diesem Fall eine gerichtliche Mäßigung für die Ersatzpflicht. Aber dennoch ist es klug, wenn Vorsorgebevollmächtigte eine Haftpflichtversicherung abschließen. Die Prämie dafür können sie aus den Einkünften oder dem Vermögen des Vollmachtgebers bezahlen.

Eine letzte Frage: Kann man selbst eine Vorsorgevollmacht verfassen?

Nein, dafür ist sie viel zu komplex. Seit 2018 sind daher eine Rechtsberatung und eine Formalakt bei einem Notar, einem Rechtsanwalt oder gegebenenfalls einem Erwachsenenschutzverein zwingend.

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