Finanzielle Gesundheit beginnt beim Risikobewusstsein
Warum Risikokompetenz lebensentscheidend ist und ins Bildungssystem muss, erklärt Vienna Insurance Group CEO Hartwig Löger im Interview.
Finanzielle Gesundheit wird oft mit Sparen und Absicherung gleichgesetzt, beginnt jedoch viel früher beim Verständnis von Risiken. Ob Unfall, Krankheit oder digitale Betrugsfallen, viele Gefahren des Alltags werden unterschätzt, oft mit gravierenden Folgen für die eigene Existenz. Warum Risikokompetenz heute ein gesellschaftlicher Auftrag ist und wie die Vienna Insurance Group Bewusstsein schafft, erklärt VIG CEO Hartwig Löger im Interview.
Bei finanzieller Gesundheit denken die meisten an den Umgang mit Geld und daran, damit abgesichert zu sein. Finanzielle Gesundheit umfasst jedoch auch ein gewisses Maß an Risikobewusstsein. Warum ist das wichtig?
Hartwig Löger: Wir sind täglichen Risiken des Lebens ausgesetzt, die unerwartet und sehr rasch mitunter fatale finanzielle Auswirkungen haben können. Als ein Beispiel nenne ich Berufsunfähigkeit nach einem schweren Unfall oder Krankheit. Wenn Sie davon in jüngeren Jahren betroffen sind, erhalten sie nur eine sehr geringfügige Rente, wovon sie ihren Lebenserhalt nur schwer finanzieren können. Die Folgen von Risiken werden oftmals unterschätzt und können die finanzielle Gesundheit massiv beeinträchtigen.
Es wäre daher aus Ihrer Sicht wichtig, sich mehr mit Risiken und deren Folgen zu beschäftigen?
Wir wissen, dass sich Menschen nur dann vor Risiken schützen, wenn Sie ein Bewusstsein dafür entwickelt haben und diese richtig einschätzen können. Unser Ziel ist es, das Risikobewusstsein zu schärfen und zu stärken, damit man in der Lage ist, sich finanziell abzusichern.
Wie widmet sich die VIG dem Thema Risikokompetenz?
Die Förderung der Risikokompetenz in unseren Märkten ist eines unserer sozialen Nachhaltigkeitsziele. Eine von uns beauftragte Studie in neun Ländern mit 9.000 Befragten bildet die Grundlage für unsere Aktivitäten innerhalb der Gruppe.
Welche Bereiche wurden in dieser Studie abgefragt?
Der Fokus lag auf der Wahrnehmung der häufigsten Risiken im Alltag. Die Befragten wurden zu ihrer Einschätzung der Risiken einer schweren Erkrankung, der Arbeitsunfähigkeit, der Risiken im Zusammenhang mit Wohnen, der Haftungsrisiken für selbstverschuldete Unfälle oder Verletzungen sowie von Internetbetrug befragt.
Welche wesentlichen Erkenntnisse haben Sie aus der Umfrage gewonnen?
Die Ergebnisse sind ernüchternd: Etwa zwei Drittel der Bevölkerung haben kaum oder gar kein Bewusstsein für die untersuchten Risiken und glauben nicht an deren Eintritt. Da viele Menschen sich der alltäglichen Risiken kaum bewusst sind, besteht wenig Bereitschaft, Vorsichtsmaßnahmen zu treffen. Die Menschen verlassen sich auf Prävention und hoffen auf Glück.
Was, wenn das Prinzip Hoffnung nicht greift?
Wenn ein Risiko eintritt, geht der Großteil der Befragten davon aus, dass Schäden zumindest teilweise vom Staat bzw. der Gesellschaft gedeckt werden. Je höher der erwartete Schaden, desto größer die Erwartung an eine Kostenübernahme durch Staat oder Gesellschaft – eine Annahme, die nicht der Realität entspricht.
Warum ist das Risikobewusstsein so gering und welche Lösungen sehen Sie, um es zu verbessern?
Risikokompetenz sollte ein obligatorischer Bestandteil des Lehrplans in Bildungseinrichtungen werden. Ein effektiver Ansatz wäre, die Risikokompetenz durch das Bildungssystem mit Unterstützung kompetenter Finanzdienstleister zu fördern. So könnten auch Gruppen erreicht werden, die zu Hause wenig oder keine finanzielle Bildung erhalten.
Welche konkreten Maßnahmen ergreift die VIG, um die Risikokompetenz in Ihren Märkten zu verbessern?
Wir engagieren uns in der Wissensvermittlung und Aufklärungsarbeit an Schulen und Universitäten und fördern innerhalb der Gruppe Aktivitäten zur Steigerung der Risikokompetenz. Zahlreiche Versicherungsexperten der VIG-Gesellschaften fungieren als Vortragende, Mentoren und Vermittler. Unsere Gesellschaften initiieren laufend Projekte zur Förderung des Risikobewusstseins.
Das Thema Risikokompetenz ist somit ein Teil Ihrer strategischen Ziele für die kommenden Jahre?
Ja, wir möchten eine bedeutende Rolle beim Thema Risikokompetenz in unseren Ländern spielen und sehen es als unsere Verantwortung, dem Wunsch nach mehr Information und Wissensvermittlung unabhängig vom Verkaufsinteresse nachzukommen.