Favourite Darkness: Anton Corbijns ikonische Welt in Schwarz-Weiß

Favourite Darkness: Anton Corbijns ikonische Welt in Schwarz-Weiß
Erleben Sie Anton Corbijns „Favourite Darkness“ im Bank Austria Kunstforum Wien – eine fesselnde Fotografieausstellung mit Schwarz-Weiß-Porträts von Künstler:innen aus Musik, Film, Literatur, Kunst und Mode.

Ehrlicherweise war ich zunächst ein wenig skeptisch, als gefragt wurde, ob ich zur Führung durch die Ausstellung Favourite Darkness von Anton Corbijn im Bank Austria Kunstforum Wien mitkommen und die Nachberichterstattung übernehmen möchte. Ich, als komplette Anfängerin in Sachen Kunst — ob das gut geht…? Doch Anton Corbijn und die leitende Hand von Kuratorin Lisa Ortner-Kreil machten es mir leicht, in die künstlerische Welt des niederländischen Fotografen, Regisseurs und Designers einzutauchen. Zumal es sich bei Corbijns Ausstellung Favourite Darkness um eine Fotografie-Ausstellung handelt und so viel gleich vorweg: Die Fülle an namhaften Stars der Musik- und Filmszene, die der Künstler bereits vor seiner Linse hatte, ist beeindruckend. Seit den 1970er Jahren hat er mit seinen Bildern die Art, wie wir Popkultur wahrnehmen, entscheidend geprägt.

Schon die einleitenden Worte von Kuratorin Lisa Ortner-Kreil zum Hintergrund der Ausstellung lassen darauf schließen, dass sie ein echter Corbijn-Fan ist und ich merke direkt, wie sie mich mit ihrer Euphorie ansteckt. Beim Betreten des ersten Saales vernehme ich die eingängige Melodie von U2s allbekanntem Welthit One und während mein Blick durch den Raum schweift, wird mir umgehend klar: Die Bilder dieser Ausstellung sprechen ganze Bände und ich bin wirklich gespannt, was auf mich zukommt. Wie der Titel der Ausstellung bereits verrät, geht es um die „gewählte Dunkelheit“ und sein Spiel mit dem Licht, also Analogfotografien in Schwarz-Weiß, die für Anton Corbijn bezeichnend sind. 

Favourite Darkness: Anton Corbijns ikonische Welt in Schwarz-Weiß

Das erste Bild: Anton Corbijn selbst. Ein ikonisches Selbstporträt aus den 80er Jahren, bei dem er den Stil des britischen Sängers und Songwriters Ian Curtis imitiert.

Ein Blick, der die Popkultur verändert hat

Wir kommen beim allerersten Bild zum Stehen, auf dem Anton Corbijn selbst zu sehen ist. Ein ikonisches Selbstporträt aus den 80er Jahren, das ihn im Stil von Ian Curtis zeigt und aus seiner Serie stammt, in der er damalige Berühmtheiten, vorwiegend männliche Musiker, nachgestellt hat. Dass die Wahl des Eröffnungsbildes auf ein Selbstporträt von ihm fällt, war auch für Kuratorin Lisa Ortner-Kreil überraschend. „Als 1955 in Strijen geborener Sohn eines protestantischen Pastors und einer Krankenschwester, bin ich der Überzeugung, dass seine frühe Kindheit und auch die Abgeschiedenheit, die er als Kind mit diesem religiösen Hintergrund erlebt hat, extrem seinen Stil geprägt hat und den ich als sehr klassisch und Anti-Zeitgeist beschreiben würde“, so Ortner-Kreil. Ein Stil, dem Anton Corbijn seit fünf Jahrzehnten treu geblieben ist und ihn zu einem der einflussreichsten künstlerischen Akteur:innen der globalen Popkultur machte. 

Weiters kann man im ersten Ausstellungsraum Landschaftsaufnahmen, Modefotografien und ein extrem sympathisches Porträt von einem strahlend lächelnden Nelson Mandela entdecken. Alles wunderbare, sehr ausdrucksstarke und authentische Bilder und dennoch wundere ich mich, wann denn die Ikonen der Musikszene zu sehen sein werden, für die Corbijn berühmt wurde. „Ein Statement, das ich sehr bezeichnend für Corbijn finde. Mit seiner eigens getroffenen Bilderauswahl für den ersten Raum versucht er, das Image des Rockstar-Fotografen abzulegen, da er de facto viel mehr ist als das und primär als Künstler und Porträtfotograf wahrgenommen werden möchte“, so die Erklärung der Kuratorin. 

Favourite Darkness: Anton Corbijns ikonische Welt in Schwarz-Weiß

Neben dem niederländischen Königspaar hatte Anton Corbijn bereits Nelson Mandela vor seiner LInse.

Jenseits des Rockstar-Images: Corbijns künstlerischer Anspruch

Das „Nicht-Erwartbare“ tun, steht bei Corbijn stark im Fokus. Deshalb wurden die Werke in der Ausstellung auch nicht mit Labels bestückt, denn ihm ist es wichtig, die Bilder für sich sprechen und wirken zu lassen. Und das tun sie: Anton Corbijn schafft es auf eine sehr natürliche Art und mit einer unverwechselbaren ästhetischen Strategie, den Menschen hinter den Protagonist:innen zu zeigen. Das gelingt ihm allen voran auch durch die langjährige, enge und freundschaftliche Verbindung, die Corbijn zu seinen Protagonist:innen pflegt. Die Vertrautheit zwischen ihm und den Musiker:innen auf den Bildern ist spürbar. 

„Corbijn kommt immer mit einer ganz speziellen Idee ans Set und davon ausgehend entstehen im engen Zusammenspiel mit den Protagonist:innen die einzigartigen Posen. Er sucht nach einer Wahrheit hinter dem Glamour, er versetzt sie in unorthodoxe Settings, fotografiert sie aus nächster Nähe, schafft Momente voll Intimität, Vertrauen und Überraschung“, beschreibt Lisa Ortner-Kreil die Herangehensweise Corbijns in seiner fotografischen Arbeit während wir uns im zweiten Ausstellungsraum den Ikonen der Musikszene nähern. 

Favourite Darkness: Anton Corbijns ikonische Welt in Schwarz-Weiß

Das Foto von Nina Hagen und Ari Up – ein Spiel mit Licht, Schatten und Ausdruckskraft. Corbijn fängt nicht nur Gesichter ein, sondern auch Geschichten.

Intimität, Vertrauen, Überraschung: Corbijns Handschrift in der Musikfotografie

Hier sind sie in voller Stattlichkeit: die großen Musikschaffenden der 1980er Jahre. Eine berühmte Aufnahme reiht sich an die nächste: von Album-Cover-Fotografien von U2 bis hin zu den eindrucksvollen Porträts von David Bowie, Miles Davis und Kraftwerk. Besonders in Erinnerung blieb mir jedoch das Foto von Nina Hagen und Ari Up, das die beiden Frauen am Strand von Malibu zeigt. Nicht nur, weil zur willkommenen Abwechslung zwei Frauen in dem von männlichen Celebrities dominierenden Raum abgebildet werden, sondern auch die Art und Weise, wie Corbijn sie ablichtete und beinahe „eine Diagonale zwischen den zwei Frauen zieht. Er spielt mit diesem harten Kontrast zwischen der vordergründigen, tiefschwarzen Erscheinung Nina Hagens und dem Weiß aufgrund des nackten Körpers von Ari Up, auf den das Licht fällt“, so die treffenden Worte der Kuratorin. Ebenso typisch für Corbijns Werke, die vorwiegend outdoor geshootet werden, ist eine bewusste Unterbelichtung, wodurch seine Bilder sehr melancholisch anmutend wirken. 

Favourite Darkness: Anton Corbijns ikonische Welt in Schwarz-Weiß

Corbijns protestantische Kindheit spiegelt sich in diesen Bildern wider – eine weitere Facette seines künstlerischen Tiefgangs.

Ein Spiel mit Religion und christlicher Symbolik

Ein spannender Plot Twist ergibt sich im nächsten Raum, der von der Kuratorin liebevoll „das Herz der Ausstellung“ genannt wird. Die hier gezeigten Fotografien lassen sich in eine religiös anmutende Richtung einordnen und gehören zu einer Serie, die von Anton Corbijn auf katholischen Friedhöfen fotografiert wurde. Spätestens hier wird der Facettenreichtum Corbijns Arbeit deutlich. Als spannender Kontrast zu seiner protestantisch geprägten Kindheit fängt er seine Protagonist:innen in Jesus-Christus-ähnlichen Darstellungen ein, verpasst ihnen durch ein natürliches Lichtspiel einen Heiligenschein oder impliziert mit Masken die Figur Satans. 

Favourite Darkness: Anton Corbijns ikonische Welt in Schwarz-Weiß

Corbijn prägt mit seinen Aufnahmen und Musikvideos das visuelle Erscheinungsbild von Bands wie Coldplay, Nirvana und U2.

Vom Standbild zur bewegten Kunst: Corbijns Einfluss auf Musikvideos

Ein weiterer Wendepunkt in Anton Corbijns Karriere war das Jahr 1983, als er mit dem Dreh von Musikvideos begann. Anfänglich für Palais Schaumburg kreativ tätig, arbeitete er unter anderem für Coldplay, U2 und Nirvana. Auch in seinen Musikvideos erkennt man Corbijns Handschrift, womit er sich stilistisch deutlich von den kommerziellen MTV-Musikvideos abhebt. „Ihm ist es nicht wichtig, die Musiker:innen besonders gut aussehen zu lassen. Nicht, dass sie in seinen Videos nicht gut aussehen, aber er legt den Fokus darauf, eine Geschichte zu erzählen. Zudem shootet er wieder vorwiegend in Schwarz-Weiß“, erklärt Ortner-Kreil.

Favourite Darkness: Anton Corbijns ikonische Welt in Schwarz-Weiß

Ohne Corbijn wäre Depeche Mode optisch nicht das, was sie sind. Seit 1986 formt er ihr Bild und kreiert eine Ästhetik, die perfekt zur Musik passt.

Depeche Mode: Eine visuelle Identität aus der Hand eines Künstlers

Corbijns wohl bedeutendster kreativer Beitrag im Musikbereich startete 1986 als Art Director für Depeche Mode. „Alles, was wir visuell von Depeche Mode kennen, stammt von Anton. Er hat quasi das Image der Band kreiert. Abgesehen von der grandiosen Musik, funktioniert die Band aufgrund ihrer unverwechselbaren Ästhetik“, erklärt die Kuratorin während wir einen eigens für die kreative Arbeit rund um Depeche Mode gewidmeten Ausstellungsraum betreten und das Musikvideo zu Your Room auf einem Bildschirm abgespielt wird. Hier folgt der nächste Aha-Moment, denn der Ausstellungstitel Favourite Darkness ist einer Textzeile des Songs entlehnt. Die Genialität in Corbijns langjähriger Arbeit als Art Director für Depeche Mode liegt darin, dass er es als eigentlicher Fotograf und Filmemacher schafft, eine Symbiose zwischen (Live-)Musik, Tanz, Fotografie und Videos herzustellen. Dabei gelingt es ihm, eine Brücke zwischen zeitgenössischer Kunst und dem für ihn charakteristischen, authentischen und sehr persönlichen Stil zu bilden. 

Favourite Darkness: Anton Corbijns ikonische Welt in Schwarz-Weiß

Ein aussagekräftiges Statement: Ein Raum voller weiblicher Künstlerinnen.

Frauen vor der Linse: Selbstbestimmt statt inszeniert

Da das Spiel mit Kontrasten als ein markantes Erkennungsmerkmal in Corbijns Arbeiten immer wieder deutlich wird, setzte sich die Kuratorin dafür ein, dass nach dem Ausstellungsraum, dessen Hauptaugenmerk auf Cis-Male-Rockstars liegt, ein Raum folgt, der nur Fotografien von weiblichen Künstlerinnen und Schauspielerinnen sowie Arbeiten im Modebereich zeigt. 

„Ich finde die Art und Weise, wie er Frauen ins Bild setzt, für die damalige Zeit sehr speziell und nicht vergleichbar mit der Modefotografie, wie wir sie aus den 80er und 90er Jahren kennen. Die Frau ist bei ihm nie ein Objekt, er geht sehr sensibel und gleichzeitig künstlerisch damit um. Es geht ihm nicht um die perfekte Pose oder den Glamour, sondern um die Selbstbestimmtheit der Frauen, die man in den Bildern wahrnehmen kann“, sagt Lisa Ortner-Kreil. 

Das letzte Kapitel: Wenn Kunst auf Kunst trifft

Den Abschluss der Ausstellung bilden Porträts von Kunstschaffenden, denen sich Anton Corbijn zusätzlich seit 1996 widmet und als ein dauerhaftes Projekt von ihm gilt. Im Unterschied zu den Fotografien von Musiker:innen finden die Künstler:innenporträts in Studios oder in den Ateliers der Maler:innen statt, dort, wo die Kunst entsteht. Man sieht sie in Arbeitskleidung mit Pinsel posierend, oft vor den eigenen Werken platziert und das Handgemachte rückt in den Vordergrund. Dadurch vermitteln diese Bilder ein hohes Maß an Intimität und Vertrautheit und stehen für höchste Authentizität. Es wird der Anschein erweckt, als empfinde Anton Corbijn für die zeitgenössische Malerei eine gleichartige Faszination wie für die Musik. Wie schafft er das? Durch seine unverwechselbare Art, die porträtierten Personen wortlos sprechen zu lassen, sehr persönlich und ausdrucksstark.

Favourite Darkness: Anton Corbijns ikonische Welt in Schwarz-Weiß

Favourite Darkness im Bank Austria Kunstforum Wien ist eine Reise durch fünf Jahrzehnte visueller Popkultur.

Fazit: Ein Meister der emotionalen Bildsprache

Die Ausstellung Favourite Darkness im Bank Austria Kunstforum Wien gibt einen faszinierenden Einblick in die künstlerische Vielfalt von Anton Corbijn und zeigt deutlich, dass er weit mehr ist als nur ein „Rockstar-Fotograf“. Seine einzigartige Bildsprache, geprägt von Kontrasten, Authentizität und Intimität, zieht sich durch sein gesamtes Schaffen – von Musik- und Filmstars über Mode bis hin zur zeitgenössischen Kunst. Besonders beeindruckend ist seine Fähigkeit, den Menschen hinter der Fassade sichtbar zu machen und mit seinen Werken eine tiefgehende emotionale Wirkung zu erzeugen. Die kuratorische Gestaltung unterstützt diesen Ansatz perfekt, indem sie die Vielseitigkeit und künstlerische Tiefe Corbijns eindrucksvoll herausarbeitet. Favourite Darkness ist nicht nur eine Hommage an die Ikonen der Popkultur, sondern auch an die Kunst der Fotografie selbst.

Nicht verpassen!

Bis zum 29.06.2025 können Sie die Ausstellung Favourite Darkness von Anton Corbijn im Bank Austria Kunstforum Wien bestaunen. Parallel zur Ausstellung findet im Wiener Gartenbaukino eine Retrospektive zu Anton Corbijns filmischem Schaffen statt.

Weitere Informationen finden Sie hier

Adresse
Bank Austria Kunstforum Wien
Freyung 8
1010 Wien

Öffnungszeiten
Täglich von 10 bis 19 Uhr
Freitag 10 bis 21 Uhr 

Kontakt
T: (+43 1) 537 33 26
F: (+43 1) 537 33 27
E: office@kunstforumwien.at