Wo erbrechtliche Vorsorge besonders gefragt ist
Die Zahl der Patchworkfamilien steigt kontinuierlich. Im Erbrecht ist diese Familienkonstellation jedoch kaum abgebildet. Um das Erbe den Wünschen der Erblasser:innen entsprechend aufzuteilen und spätere Konflikte zu vermeiden, ist umfassende rechtliche Beratung unumgänglich, sagt Andreas Tschugguel, Notar in Wien.
Traditionelle Familienstrukturen brechen zunehmend auf. So ist knapp jedes zehnte Paar mit Kindern unter 15 Jahren im Haushalt in Österreich mittlerweile eine Patchworkfamilie. Nimmt das Erbrecht eigentlich auf diese Entwicklung Rücksicht?
Andreas Tschugguel: Nein, dieser gesellschaftliche
Wandel findet keine besondere gesetzliche Berücksichtigung.
Der gesetzlichen Erbfolge nach wird das Erbe zwischen den überlebenden (Ehe)Partner:innen, den Kindern aus einer ersten und etwaigen Nachkommen aus der aktuellen Beziehung aufgeteilt, nicht wahr?
Ja. Gerade der Pflichtteilsanspruch der (Ehe)Partner:innen ist aber oft ein Thema in Beratungen.
Weshalb?
Wenn die zweite Ehe oder die eingetragene Partnerschaft in reiferen Jahren eingegangen wird, haben die Partner jeweils oft schon selbst ein gewisses Vermögen geschaffen. Einander mit dem Erbe abzusichern, ist daher kein Thema. Sehr wohl ein Thema ist aber, dass das jeweilige Vermögen an die eigenen Kinder geht. Aber, wie Sie schon sagten, mit der Eheschließung oder der Verpartnerung gibt es das Pflichtteilsrecht für die beiden Ehepartner. Dadurch wird jedoch die spätere Weitergabe ausschließlich an die eigenen Kinder erschwert. Aber mit entsprechenden vertraglichen beziehungsweise testamentarischen Regelungen kann dieser Wunsch erfüllt werden. Daher ist eine umfassende rechtliche Beratung bereits vor der Eheschließung durchaus sinnvoll.
Mit der Einleitung des Scheidungsverfahrens gilt die testamentarische Begünstigung als aufgehoben–außer, es wurde im Testament ausdrücklich vereinbart, dass sie trotz Scheidung gelten soll.
Das heißt, man kann das Pflichtteilsrecht der Ehepartner:innen aushebeln?
Man könnte schon vor der Eheschließung klären, ob man sich überhaupt pflichtteilsrechtlich verbinden will. Das heißt, man könnte bereits vor der Heirat einen wechselseitigen Pflichtteilsverzicht vereinbaren. Wollen sich die Partner:innen allerdings ein wenig gegenseitig absichern, könnten sie etwa vereinbaren, dass trotz des Pflichtteilsverzichts das gesetzliche Vorausvermächtnis aufrecht bleiben soll, das dem überlebenden Ehepartner insbesondere das Recht des unentgeltlichen Weiterwohnens in der Ehewohnung gibt.
Können Sie für dieses ein Beispiel nennen?
Wenn die Ehewohnung einem der Partner gehört, kann vereinbart werden, dass der andere nach dem Tod des Eigentümers auf Lebenszeit unentgeltlich weiter darin wohnen darf.
Aber das Wohnrecht könnte man doch auch testamentarisch festlegen?
Das könnte man schon. Ein gesetzliches Vorausvermächtnis bringt aber mehr Sicherheit.
Und wenn einer der künftigen Partner:innen keinen Pflichtteilsverzicht will?
Dann könnte man gewisse Vermögenswerte bereits vor der Eheschließung den Kindern schenken, um auf diese Weise möglicherweise zu verhindern, dass diese Werte später bei der Pflichtteilsbemessung für den überlebenden Ehepartner berücksichtigt werden. Allerdings – Rechtssicherheit besteht in dieser Frage leider nicht.
Angenommen, man hat vor der Trennung den Partner, die Partnerin im Testament bedacht, dieses aber nicht geändert. Gilt die Regelung dennoch?
Mit der Einleitung des Scheidungsverfahrens gilt die testamentarische Begünstigung als aufgehoben – außer, es wurde im Testament ausdrücklich vereinbart, dass sie trotz Scheidung gelten soll.
Wir sind jetzt immer von einer Ehe oder eingetragenen Partnerschaft ausgegangen. Aber eine Patchworkfamilie kann ja auch aus einer Lebensgemeinschaft bestehen. Wie sieht es in diesem Fall erbrechtlich aus?
Lebensgefährten haben zwar ein außerordentliches Erbrecht, aber in der Realität bringt das Null Absicherung. Sie erben nämlich nur dann, wenn es sich tatsächlich um eine Lebensgemeinschaft gehandelt hat, sie drei Jahre einen gemeinsamen Wohnsitz mit dem oder der Verstorbenen hatten und es überhaupt keine gesetzlichen Erben gibt, also keine Kinder, Eltern, Geschwister Nichten, Neffen und Cousins oder Cousinen.
Soll der Lebensgefährte, die Lebensgefährtin erben, braucht es unbedingt ein Testament…
Ja. Nicht zuletzt, weil der Begriff Lebensgemeinschaft oft schwer zu fassen ist und das Bestehen einer solchen im Streitfall oft schwierig zu beweisen ist. Ein Lebensgemeinschaftsregister, dessen Etablierung immer wieder diskutiert wird, könnte möglicherweise zu etwas mehr Rechtssicherheit führen.
Sind eigentlich Stiefkinder erbberechtigt?
Nein. Wer ihnen etwas vererben will, braucht ein Testament.
Wer erbt eigentlich die Eigentumswohnung, die beide Partner gemeinsam gekauft haben?
Diesbezüglich gibt es eine spezielle Regelung: Kaufen zwei Personen, egal ob verheiratet oder Lebensgefährt:innen, gemeinsam eine Wohnung, werden sie Eigentümerpartner. Stirbt einer, geht sein Anteil ins Eigentum des oder der Überlebenden. Dafür hat er oder sie aber einen Übernahmspreis an die Verlassenschaft bzw die Erben zu zahlen. Der überlebende Eigentumspartner kann allerdings auch auf den Eigentuwmswerb verzichten oder mit den Erben unter Zustimmung der Pflichtteilsberechtigten vereinbaren, dass der Anteil einer anderen Person zukommt.
Warum sollte man aber nicht nur als Teil einer Patchworkfamilie ein Testament verfassen?
Bei Patchworkfamilien ist der Beratungsbedarf besonders hoch. Aber auch in allen anderen Fällen entspricht die gesetzliche Erbfolge nur sehr selten den wirklichen eigenen Wunschvorstellungen.
Kann man bei einem Testament auch Fehler machen?
Ohne rechtliche Beratung sind Fehler fast vorprogrammiert. Zum einen gibt es sehr strenge Formvorschriften, die privat kaum eingehalten werden können. Ganz besonders gilt das für das fremdhändige Testament. Wird eine Formvorschrift verletzt, ist das Testament ungültig – egal, wie sehr man den Willen des Erblassers oder der Erblasserin beweisen kann. Zum anderen ist es enorm wichtig, den letzten Willen auch gut herauszuarbeiten und präzise zu formulieren.
Die Sicherung des Erblasserwillens war im Vorjahr Thema des 1. Österreichischen Erbrechtstages. Und heuer?
2025 stand der Österreichische Erbrechtstag ganz im Zeichen des Außerstreitsgesetzes, das vor 20 Jahren in Kraft getreten ist.