Der lebendige Boden als Versicherung gegen Klimakrise und Hochwasser

Martina Salomon moderierte den Talk zum Thema „regenerative Landwirtschaft“mit Marianne Neumüller-Klapper von Nestlé, Biologe Martin Grassberger und Lorenz Mayr.
Klimawandel, Preisdruck und Bodenverlust setzen die Landwirtschaft unter enormen Druck. Der Lebensmittelkonzern Nestlé will mit regenerativen Methoden gegensteuern und investiert über eine Milliarde Schweizer Franken bis Ende 2025. Bei einer Diskussionsrunde im KURIER trafen Marianne Neumüller-Klapper von Nestlé Österreich, Lorenz Mayr von der NÖ Landwirtschaftskammer und Martin Grassberger, Biologe und Arzt zum Gespräch über regenerative Landwirtschaft zusammen.

Marianne Neumüller-Klapper, Nachhaltigkeitsexpertin bei Nestlé Österreich
Nestlé hat sich das Ziel gesetzt, bis 2050 Netto-Null-Emissionen zu erreichen. Warum machen Sie das? Und was ist eigentlich regenerative Landwirtschaft?
Marianne Neumüller-Klapper: Zwei Drittel unserer weltweiten Emissionen stammen aus der Landwirtschaft, aus den Zutaten unserer Produkte. Deshalb ist es uns wichtig hier anzupacken. Für uns ist regenerative Landwirtschaft ein holistisches System, das auf die Verbesserung der Bodengesundheit, der Biodiversität und der Wasserkreisläufe abzielt. Immer mit den Landwirten im Zentrum, die dadurch nachhaltiger wirtschaften können. Dazu gehören altbekannte Praktiken wie zum Beispiel die Fruchtfolge, die Förderung der Artenvielfalt durch Blühstreifen und den Aufbau von Bodenorganismen.
Herr Mayr, Sie haben den Verein Bodenleben gegründet. Österreich ist gut unterwegs in Biolandwirtschaft. Was unterscheidet die regenerative Form von Bio?
Lorenz Mayr: Wir müssen uns an das veränderte Klima anpassen und gleichzeitig Bodenaufbau betreiben. Unser Zugang ist ein ständig bedeckter, durchwurzelter Boden. Diese Bedeckung ist ein Schutz vor intensiver Sonnenstrahlung, aber ganz entscheidend auch vor Starkregen. Sie verhindert, dass die Bodenaggregate zerstört werden und es zu Überschwemmungen und Erosion kommt.

Univ. Prof. Dr. Dr. Martin Grassberger, Biologe, Arzt und landwirtschaftlicher Facharbeiter
Dr. Grassberger, Sie setzen sich ja für einen fundamentalen Wertewandel ein. Kann man mit solchen Methoden wirklich die Welt ernähren?
Martin Grassberger: Die Frage ist, nicht ob wir können, sondern wie wir es machen müssen. Regenerativ heißt das Gegenteil von degenerativ, von extraktiv. Es wurde jahrzehntelang so gewirtschaftet, als wäre die Ressource Boden unendlich. Jetzt merken wir, dass die Welt ein lebendiges Gefüge ist. Regenerieren heißt, dem System etwas zurückzugeben.
Regenerative Landwirtschaft macht die Umwelt und auch den Menschen gesünder?
Grassberger: Ein gesunder Boden ist die Lebensgrundlage für uns alle. Ein nach biogischen Kriterien bewirtschafteter Boden führt zu Pflanzen, die durchschnittlich mehr Makro- und Mikronährstoffe sowie sekundäre Pflanzenstoffe enthalten. Ganz einfach gesagt: Geht es dem Bodenleben gut, geht es der Pflanze gut, und das hat auch gesundheitsförderliche Effekte für den, der sie isst.
Solche Methoden sind aufwendiger und teurer. Bedroht die aktuelle Preisdiskussion nicht genau das?
Mayr: Das bedroht die ganze Landwirtschaft. Die Preise haben sich mehr als halbiert. Die Geräte für regenerative Landwirtschaft kosten ein Vielfaches, die Mischungen für die Begrünungen auch. Diese Kosten können wir momentan aber nirgends am Markt lukrieren.

Ing. Lorenz Mayr, NÖ Landwirtschaftskammer, Landwirt
Was bringt regenerative Landwirtschaft für die Ernährungssicherheit und die Wettbewerbsfähigkeit?
Neumüller-Klapper: Regenerative Landwirtschaft schafft mehr Resilienz gegenüber Extremwetterereignissen wie Trockenheit oder Starkregen, weil gesunde Böden Wasser besser speichern. Gleichzeitig stärkt sie langfristig die Erträge und die wirtschaftliche Resilienz der Betriebe.
Welche Produkte betrifft das genau? Und wie setzen Sie das konkret um?
Neumüller-Klapper: Es geht querbeet: Kaffee, Kakao, Getreide, Milch, Gemüse. Global, aber auch in Europa. In Ungarn zum Beispiel liefern Landwirte im „LENS-Project“ Getreide nach regenerativen Praktiken für uns. Wir arbeiten mit Schulungen, Fortbildungen und finanziellen Unterstützungen, oft über Experten vor Ort.
Herr Mayr, wie kann man der Landwirtschaft in Österreich helfen?
Mayr: Wir müssen weg von der Diskussion „bio vs. konventionell vs. regenerativ“. Wir alle müssen an einem Strang ziehen, um naturnah Lebensmittel produzieren zu können.
Was ist der Kern dieses nötigen Umdenkens?
Grassberger: Der Mensch muss verstehen, dass er vom Boden abhängig ist. Wenn 95 % meiner Lebensmittel aus dem Boden kommen, dann ist mein Körper aufgebaut aus dem, was aus dem Boden kommt. Wir sind schließlich Boden. Es geht um einen Paradigmenwechsel: Leben oder Lebensprozesse in den Mittelpunkt jeder Entscheidung zu stellen.
Gibt Wünsche an die Politik für mehr Rückenwind?
Mayr: Wir Landwirte brauchen Flexibilität! Landwirtschaft funktioniert nicht nach Datum und strengen Reglementierungen, die uns ausbremsen.
Neumüller-Klapper: Die Politik sollte den volkswirtschaftlichen Nutzen regenerativer Landwirtschaft stärker anerkennen – etwa als natürlichen Hochwasserschutz. Wir setzen uns daher für konkrete Maßnahmen, wie die Anerkennung regenerativer Landwirtschaft in der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) auf EU Ebene ein.
Dr. Grassberger, was ist die zentrale Botschaft aus Ihrer Sicht?
Grassberger: Dass wir uns neu erden müssen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Es geht um die Erkenntnis, dass wir ein Teil der Natur sind – davon hängt unser langfristiges Überleben ab. Regeneratives Wirtschaften ist also kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit.
Wie ist Nestlé auf das Thema gekommen und wie ernst ist es Ihnen wirklich?
Neumüller-Klapper: Wir haben uns die Herausforderungen angesehen: Wie sichern wir langfristig unsere Zutaten und wie dekarbonisieren wir unsere Lieferkette? Regenerative Landwirtschaft ist dabei ein Schlüssel – für nachhaltige Ernährung, Klimaschutz und die Zukunft der Landwirtschaft. Deshalb investieren wir weltweit 1,2 Milliarden Schweizer Franken in regenerative Praktiken – nicht als Marketingmaßnahme, sondern als strategische Entscheidung. Unser Ziel ist es bis Ende 2025 20 % unserer wichtigsten Zutaten aus regenerativer Landwirtschaft zu beziehen. Und bereits Ende 2024 haben wir dieses Ziel mit 21,3 % sogar übertroffen.
Regenerative Landwirtschaft ist ein ganzheitlicher Ansatz für die Landwirtschaft, der die drei wichtigsten landwirtschaftlichen Ressourcen – biologische Vielfalt, Wasser und Boden – aktiv unterstützt.
Hintergrund: Fast zwei Drittel der weltweiten Treibhausgasemissionen von Nestlé stammen aus der Landwirtschaft, daher ist dies entscheidend für Nestlés Netto-Null-Ziel bis Ende 2050.
5 Säulen des Nestlé-Modells: Biologische Vielfalt, Wassersicherheit und -qualität, Bodengesundheit, vielfältige Anbausysteme und Integration der Viehhaltung, Kollektive und landschaftsbezogene Maßnahmen.
Investment: CHF 1,2 Milliarden bis Ende 2025
Farmer Connect-Programm: Zusammenarbeit mit mehr als 500.000 Landwirten und 150.000 Zulieferern sowie lokalen Gemeinschaften
Internationale Projekte: U. a. Pilotprogramme für Kaffeebauern in Indonesien und Mexiko (Nescafé Plan 2030), Kakaobauern in Côte d'Ivoire, über 2 Millionen Schattenbäume in Ghana und Côte d'Ivoire geplant (Cocoa Plan / Income Accelerator Progarmm).