
© stephan boroviczeny
Wilhelminenberg: Kindsmord im Schloss
Ein Ex-Zögling schildert die Begegnung mit einer Erzieherin, die 1962 zu "verschärftem Kerker" verurteilt wurde. Sie tötete ihr Kind.
Die Vergangenheit hat tiefe Spuren im Leben von Herrn T. hinterlassen. Der Wiener ist mittlerweile 66 Jahre alt. Er musste Jahre seiner Kindheit und Jugend in Heimen verbringen - unter anderem auch in jenem, das in den vergangenen sieben Tage weltweit für Empörung sorgte: "Fünf Jahre war ich auch im Schloss am
Wilhelminenberg", sagt Herr T.
Eine "Schwester", also eine Erzieherin, ist ihm besonders gut in Erinnerung geblieben; oder eher: besonders schlecht. "Die Schwester Evi", sagt Herr T. "Den Namen werde ich nie mehr vergessen." Nicht schwere Züchtigung sei ihre Vorliebe gewesen, sondern die Buben im Heim. "Die Schwester ist im Pausenraum gestanden und hat geschaut, welcher Bursche schon Haarwuchs hat. Den hat sie sich dann genommen ... Was sie getan hat, auch mit mir, brauch' ich Ihnen nicht näher sagen."
Herr T. bricht in Tränen aus, die Erinnerungen werden wieder wach. "Wenn ein Mädchen missbraucht wird, heißt es Vergewaltigung. Wenn ich erzähle, was mir passiert ist, heißt es ,Das hat dir ja eh gefallen.'" Nach einer kurzen Pause sagt T.: "Es ist fürchterlich." Seine Frau weiß bis heute nichts von dem, was ihm am Wilhelminenberg widerfahren ist.
Grausamer Fund
Was das mit dem eingangs erwähnten Mord zu tun hat? Herr T. meldet sich nochmals beim KURIER: "Mir ist eingefallen, dass die Schwester Evi später verurteilt wurde. Damals gab es Zeitungsberichte - schauen Sie im Archiv nach." Tatsächlich berichtete der KURIER am 13. Oktober 1962 über den Gerichtsprozess gegen die damals 29-jährige Erzieherin.
"Die hat damals im Heim am Klo ein Kind zur Welt gebracht", erinnert sich Herr T. "Das hat sie dann zerstückelt und beim Klo runtergespült." Bemerkt habe man die Tötung des Kindes durch einen Zufall - die Toilette war verstopft. Sie wurde gereinigt, Leichenteile wurden gefunden. Das Gericht ging davon aus, dass der Säugling aus einer Beziehung mit einem Heimerzieher entsprungen war. "Das Kind war sicher von einem der Burschen", spekuliert hingegen Herr T.
Fakt ist, dass Schwester Evi 1962 wegen "
Kindsmordes aus Unterlassung" zu "drei Jahren verschärften Kerkers" verurteilt wurde. Lachend sei sie auf der Anklagebank gesessen, heißt es im damaligen KURIER-Bericht. Den Mord leugnete sie, sie wollte sich nur zu einem "verbotenen Eingriff" bekennen. Die Geschworenen sahen dies anders.
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