Brunnenmarkt, Bobos und Bier: Das ist Wien-Ottakring

Seit bereits 23 Jahren ist der Brunnenmarkt sein zweites Zuhause. Şefik Beyti Özcan, der in der Türkei geboren wurde, verkauft Vorarlberger Käse an einem der 170 Marktstände auf dem längsten Straßenmarkt Wiens. Leicht nervös wechselt er für das Foto die Schürze und zieht sich schwarze Plastikhandschuhe an, bevor er sich mithilfe der Anweisungen seines Kollegen in unterschiedliche Posen begibt. “Ich freue mich, wenn der Frühling da ist, denn es ist sehr kalt”, sagt Şefik Beyti Özcan, der montags bis freitags von 6 Uhr bis 21 Uhr seinen Käse verkauft. “Und am Samstag bis 18 Uhr. Nur am Sonntag habe ich frei”, sagt er, beschwert sich aber nicht darüber. Das Geschäft laufe zufriedenstellend. “Die Leute brauchen immer guten Käse”, schmunzelt er.
Marktschreier und Duft
Zwischen Thaliastraße und Ottakringer Straße, der Brunnengasse entlang, erstreckt sich der Wiener Brunnenmarkt.
Er ist Europas längster permanenter Straßenmarkt. Wöchentlich besuchen ihn über 100.000 Menschen, damit ist er auch der am stärksten frequentierte Markt der Stadt. Manche bezeichnen ihn auch als die “Lebensader” Ottakrings. Das Leben spürt man hier tatsächlich, es zeigt sich im Stimmengewirr zahlreicher Sprachen, lautstarken Marktschreiern und dem Duft orientalischer Gewürze.
Hier findet man knackiges Obst und Gemüse neben Halal-Fleisch, Vorarlberger Käse neben syrischem Schawarma. Falafel neben österreichischen Würsteln. Bedruckte T-Shirts neben Plastikgießkannen. “Vor allem in den letzten zwei Jahren hat sich hier viel verändert, es sind mehr Syrer hergekommen”, sagt Şefik Beyti Özcan. Tatsächlich war der Brunnenmarkt lange Zeit stark türkisch geprägt, doch mittlerweile sind viele syrische Geschäfte und Marktstände zu sehen.

Şefik Beyti Özcan vor seinem Stand
Am unteren Ende des Marktes liegt der Yppenplatz, ein besonderer Platz, weil dort so viel zusammenkommt. So sind da ein Kinderspielplatz und ein Sportplatz, internationale Gastronomie und Geschäfte und rundherum die Altbauten, von denen aus die Bewohner direkt auf den Platz blicken.
Im Cafe Frida nutzen zwei Studentinnen die Plätze im Schanigarten, um sich die Sonne ins Gesicht scheinen zu lassen. “Die Jacke kann man noch nicht ausziehen, aber dafür können wir hier sitzen, lernen und rauchen”, sagt die 26-jährige Jana, die in Deutschland geboren ist und sich scherzeshalber als “Bobo” bezeichnet. Sie wohnt mit ihrer Mitbewohnerin gleich ums Eck in einer Wohngemeinschaft und findet den Bezirk genau richtig für ihre Bedürfnisse. “Nicht zu teure Miete, coole Lokale, tolle Kunst- und Kulturszene und ich bin schnell im Zentrum.”
Keine Verstecke mehr
Mehrmals die Woche verbringt sie Zeit am Yppenplatz. Die Geschehnisse letztes Jahr hätten sie zwar verängstigt, aber sie vertraue der Politik, dass für mehr Sicherheit gesorgt wird. Sie bezieht sich auf den Schusswechsel, der im Juli 2024 für Schlagzeilen gesorgt hat.
Der Vorfall beschäftigt auch Bezirksvorsteherin Stefanie Lamp noch heute. “Was letztes Jahr am Yppenplatz passiert ist, war für den Bezirk eine prägende Situation. Dass hier geschossen wird, ist aus meiner Sicht nicht zu akzeptieren. Wir haben daher viele Gespräche mit allen relevanten Akteuren und Akteurinnen des Yppenplatzes geführt, also mit den Bewohnern, Lokalbetreiberinnen, Sozialarbeitern und auch mit der Polizei.” Folglich versuchte man, ein paar Dinge auf kommunaler Ebene rasch umzusetzen. “Orte, die als Verstecke dienen können, wurden entfernt. Hier gab es enge Zusammenarbeit mit den Dienststellen der Stadt. Wir haben die Beleuchtung verbessert. Außerdem haben wir die Präsenz der Sozialarbeit erhöht, die Personen mit unterschiedlichsten Bedürfnissen abholt. Wir haben ein sehr gutes Einvernehmen und eine großartige Zusammenarbeit mit der Polizei”, sagt Lamp.
Der Yppenplatz sei so ein wichtiger Ort in diesem dicht besiedelten Gebiet. “Wir müssen ihn als schönen und sicheren Ort behalten, wo sich jede und jeder wohlfühlen kann und an dem man nach der Arbeit mit den Kindern gerne auf den Spielplatz geht”, meint Lamp weiter.

Polizei am Yppenplatz
Mehr als 200 Polizistinnen und Polizisten versehen in den Bezirken Ottakring und Hernals ihren Dienst für das Stadtpolizeikommando Ottakring. Von Seiten der Landespolizeidirektion Wien heißt es: “Vor allem der Yppenplatz und das Brunnenmarktviertel standen im vergangenen Jahr nach strafbaren Handlungen im Fokus der Medien. Da hier auch die Drogenkriminalität ein Thema ist, gehört deren Bekämpfung zu den Daueraufgaben jeder Sicherheitsbehörde.”

Marktverkäuferin am Brunnenmarkt
Doch Ottakring ist nicht nur Brunnenmarkt oder Yppenplatz. Der 16. Bezirk reicht vom Gürtel bis zum Wienerwald und bietet ein riesiges Spektrum an unterschiedlichen Orten. In Ottakring trifft Arm auf Reich. So leben hier Menschen an der Armutsgrenze in kleinen Wohnungen, die Unterstützung brauchen. Hier leben aber auch Menschen in großen Einfamilienhäusern samt riesigen Gärten am Wilhelminenberg. Über 100.000 Menschen leben im Bezirk, die untere Hälfte Ottakrings ist dicht besiedelt. Mit 41 Jahren Durchschnittsalter ist er ein relativ junger Bezirk.
Von oben nach unten
Von der Jubiläumswarte aus kann man Wien überblicken, hinter der Baumschule gibt es sogar einen kleinen Urwald. Die Kuffner Sternwarte ist ein historisch eindrucksvoller Ort, dann – weiter bergab – gelangt man in die Heurigengegend. Der Sandleitenhof ist übrigens der größte Gemeindebau der Zwischenkriegszeit. Der Kongresspark, der eine riesige Grünfläche bietet, ist sehr beliebt bei den Bewohnern und Bewohnerinnen des Bezirks. Und schließlich landet man am Vorplatz der U3 Ottakring, das für viele Menschen im Bezirk das Zentrum darstellt. Etwas weiter stadteinwärts liegt die Ottakringer Brauerei. Die Eigentümer haben sich dazu entschieden, innerstädtisch zu produzieren - und das bereits seit vielen Jahren. Mittlerweile ist sie auch zu einer beliebten Event-Location geworden.

Die Ottakringer Brauerei
Für einige Aufregung, vor allem bei den Geschäftstreibenden, sorgt die Umgestaltung der Thaliastraße, denn sie hat sich zur Aufenthaltsstraße entwickelt. Für jeden Baum, der neu gepflanzt wurde, mussten häufig Parkplätze oder Ladeflächen weichen. “Es war ein mutiger Schritt, denn dort sind über 250 Bäume dazu gekommen. Wir sehen, dass die Menschen die neue Aufenthaltsqualität nützen und dass es ihnen Freude bringt”, sagt Bezirksvorsteherin Lamp und betont, dass sie stetig im Austausch mit den Geschäftstreibenden sei. “Ich erlebe immer wieder, dass wir ein Projekt haben mit exakt gleich vielen unterschiedlichen Meinungen zu etwas. Da einen gemeinsamen Nenner zu finden, bedeutet viel Kommunikationsarbeit und es erfordert auch ein Abwägen der Interessen. Was ist für die Mehrheit besser? Und das ist natürlich schon eine Herausforderung”, sagt Lamp.

SPÖ-Bezirksvorsteherin Stefanie Lamp
Aktuell sind 15 Prozent der Menschen in Ottakring aus der EU. 30 Prozent aus Drittländern und 55 Prozent sind Österreicher und Österreicherinnen. "Eine Sache, die mich aus demokratischer Sicht natürlich sehr beschäftigt, ist die Wahlbeteiligung. Im Vergleich zum Jahr 2014 ist sie nämlich gesunken. Das hat einerseits mit dem veränderten Zuzug zu tun, also mit den jeweiligen Staatsangehörigkeiten, und auch mit der Dauer dieser Einbürgerungsverfahren”, sagt Lamp. 2014 waren es 69 Prozent Wahlbeteiligung, 2024 nur noch 60 Prozent. “Ein großer Teil der Menschen, die in Ottakring leben, ist aufgrund der Herkunft nicht wahlberechtigt.” Ganz oft betreffe das auch Jugendliche, die hier aufgewachsen sind und deren Eltern eben nicht wahlberechtigt sind.
Şefik Beyti Özcan sperrt um 21 Uhr seinen Vorarlberger Käsestand am Brunnenmarkt zu. Feierabend. Seine Kunden kommen extra vom Wilhelminenberg herunter, um bei ihm einzukaufen. Darauf ist er stolz.
Klarheit: Die wichtigsten Begriffe
Ottakring ist seit 1892 der 16. Wiener Gemeindebezirk. Er wurde aus den Gemeinden Ottakring und Neulerchenfeld gebildet. Auf der Bezirksfläche von 8,7 km² leben 102.700 Menschen und über 2.000 Hunde. Der Brunnenmarkt im Yppenviertel ist der längste Straßenmarkt der Stadt. Neben dem Brunnenmarkt und Wilhelminenberg kennt man Ottakring außerdem für das gleichnamige Bier. Das Ottakringer-Bier wird immer noch in der Großbrauerrei im 16. Bezirk hergestellt. Bezirksvorsteherin ist Stefanie Lamp (SPÖ).
In Wien gibt es 1.800 Gemeindebauten, in denen ca. 500.000 Menschen wohnen. In den Höfen wachsen rund 68.000 Bäume. Die 7.900 Aufzüge, die es insgesamt in allen Häusern gibt, würden gestapelt zwei Mal die Höhe des Mount Everest ergeben. Die 1.300 Spielplätze entsprechen 3 Mal der Summe der Spielplätze von Bregenz, Innsbruck, Salzburg, Klagenfurt, Linz, Eisenstadt und Graz. Und die 5.500 Wäschetrockner entsprechen hintereinander aufgestellt der Länge der Wiener Ringstraße.
Der Wienerwald ist eine Gebirgsgruppe in Niederösterreich und Wien und bildet damit das Nordostende der Alpen. Das 45 km lange und 20 bis 30 km breite Mittelgebirge ist großteils bewaldet und ein beliebtes Naherholungsgebiet für Wiener. Es ist heute weitgehend als UNESCO-Biosphärenpark Wienerwald ausgewiesen. Die Wienerwaldtäler liegen großteils in den Bezirken St. Pölten, Mödling und Baden.
Yppenplatz, -markt und -viertel sind nach dem österreichisch-niederländischen Feldherrn Simon Freiherr van Yppen benannt. Auf dem Platz in Ottakring sammeln sich unterschiedliche Gastronomien vieler Kulturen. Das Café C.I. war eines der ersten Lokale des seit 1897 bestehenden Yppenmarktes. Das Viertel rund um den Yppenplatz gilt als eine der buntesten Gegenden in ganz Wien. Im Zentrum steht der Brunnenmarkt. Er ist der längste Straßenmarkt Wiens mit mehr als 170 Marktständen.
SPÖ steht für Sozialdemokratische Partei Österreichs. Gegründet wurde sie 1889 in Hainfeld (NÖ) als Sozialdemokratische Arbeiterpartei, ihre Wurzeln liegen in der Arbeiterbewegung. Die Parteifarbe ist Rot.
In Österreich zählt die SPÖ zu den sogenannten linken Parteien; im Grundsatzprogramm von 1998 bekennt sie sich zu den Werten Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Solidarität und Vollbeschäftigung. Säulen der Partei sind auch die Vertreter aus Arbeiterkammer (AK) und Gewerkschaftsbund (ÖGB). Seit 1945 stellt die Wiener SPÖ durchgehend den Bürgermeister – aktuell ist das Michael Ludwig.
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