Er ist Europas längster permanenter Straßenmarkt. Wöchentlich besuchen ihn über 100.000 Menschen, damit ist er auch der am stärksten frequentierte Markt der Stadt. Manche bezeichnen ihn auch als die “Lebensader” Ottakrings. Das Leben spürt man hier tatsächlich, es zeigt sich im Stimmengewirr zahlreicher Sprachen, lautstarken Marktschreiern und dem Duft orientalischer Gewürze.
Hier findet man knackiges Obst und Gemüse neben Halal-Fleisch, Vorarlberger Käse neben syrischem Schawarma. Falafel neben österreichischen Würsteln. Bedruckte T-Shirts neben Plastikgießkannen. “Vor allem in den letzten zwei Jahren hat sich hier viel verändert, es sind mehr Syrer hergekommen”, sagt Şefik Beyti Özcan. Tatsächlich war der Brunnenmarkt lange Zeit stark türkisch geprägt, doch mittlerweile sind viele syrische Geschäfte und Marktstände zu sehen.
Am unteren Ende des Marktes liegt der Yppenplatz, ein besonderer Platz, weil dort so viel zusammenkommt. So sind da ein Kinderspielplatz und ein Sportplatz, internationale Gastronomie und Geschäfte und rundherum die Altbauten, von denen aus die Bewohner direkt auf den Platz blicken.
Im Cafe Frida nutzen zwei Studentinnen die Plätze im Schanigarten, um sich die Sonne ins Gesicht scheinen zu lassen. “Die Jacke kann man noch nicht ausziehen, aber dafür können wir hier sitzen, lernen und rauchen”, sagt die 26-jährige Jana, die in Deutschland geboren ist und sich scherzeshalber als “Bobo” bezeichnet. Sie wohnt mit ihrer Mitbewohnerin gleich ums Eck in einer Wohngemeinschaft und findet den Bezirk genau richtig für ihre Bedürfnisse. “Nicht zu teure Miete, coole Lokale, tolle Kunst- und Kulturszene und ich bin schnell im Zentrum.”
Keine Verstecke mehr
Mehrmals die Woche verbringt sie Zeit am Yppenplatz. Die Geschehnisse letztes Jahr hätten sie zwar verängstigt, aber sie vertraue der Politik, dass für mehr Sicherheit gesorgt wird. Sie bezieht sich auf den Schusswechsel, der im Juli 2024 für Schlagzeilen gesorgt hat.
Der Vorfall beschäftigt auch Bezirksvorsteherin Stefanie Lamp noch heute. “Was letztes Jahr am Yppenplatz passiert ist, war für den Bezirk eine prägende Situation. Dass hier geschossen wird, ist aus meiner Sicht nicht zu akzeptieren. Wir haben daher viele Gespräche mit allen relevanten Akteuren und Akteurinnen des Yppenplatzes geführt, also mit den Bewohnern, Lokalbetreiberinnen, Sozialarbeitern und auch mit der Polizei.” Folglich versuchte man, ein paar Dinge auf kommunaler Ebene rasch umzusetzen. “Orte, die als Verstecke dienen können, wurden entfernt. Hier gab es enge Zusammenarbeit mit den Dienststellen der Stadt. Wir haben die Beleuchtung verbessert. Außerdem haben wir die Präsenz der Sozialarbeit erhöht, die Personen mit unterschiedlichsten Bedürfnissen abholt. Wir haben ein sehr gutes Einvernehmen und eine großartige Zusammenarbeit mit der Polizei”, sagt Lamp.
Der Yppenplatz sei so ein wichtiger Ort in diesem dicht besiedelten Gebiet. “Wir müssen ihn als schönen und sicheren Ort behalten, wo sich jede und jeder wohlfühlen kann und an dem man nach der Arbeit mit den Kindern gerne auf den Spielplatz geht”, meint Lamp weiter.
Mehr als 200 Polizistinnen und Polizisten versehen in den Bezirken Ottakring und Hernals ihren Dienst für das Stadtpolizeikommando Ottakring. Von Seiten der Landespolizeidirektion Wien heißt es: “Vor allem der Yppenplatz und das Brunnenmarktviertel standen im vergangenen Jahr nach strafbaren Handlungen im Fokus der Medien. Da hier auch die Drogenkriminalität ein Thema ist, gehört deren Bekämpfung zu den Daueraufgaben jeder Sicherheitsbehörde.”
Doch Ottakring ist nicht nur Brunnenmarkt oder Yppenplatz. Der 16. Bezirk reicht vom Gürtel bis zum Wienerwald und bietet ein riesiges Spektrum an unterschiedlichen Orten. In Ottakring trifft Arm auf Reich. So leben hier Menschen an der Armutsgrenze in kleinen Wohnungen, die Unterstützung brauchen. Hier leben aber auch Menschen in großen Einfamilienhäusern samt riesigen Gärten am Wilhelminenberg. Über 100.000 Menschen leben im Bezirk, die untere Hälfte Ottakrings ist dicht besiedelt. Mit 41 Jahren Durchschnittsalter ist er ein relativ junger Bezirk.
Von oben nach unten
Von der Jubiläumswarte aus kann man Wien überblicken, hinter der Baumschule gibt es sogar einen kleinen Urwald. Die Kuffner Sternwarte ist ein historisch eindrucksvoller Ort, dann – weiter bergab – gelangt man in die Heurigengegend. Der Sandleitenhof ist übrigens der größte Gemeindebau der Zwischenkriegszeit. Der Kongresspark, der eine riesige Grünfläche bietet, ist sehr beliebt bei den Bewohnern und Bewohnerinnen des Bezirks. Und schließlich landet man am Vorplatz der U3 Ottakring, das für viele Menschen im Bezirk das Zentrum darstellt. Etwas weiter stadteinwärts liegt die Ottakringer Brauerei. Die Eigentümer haben sich dazu entschieden, innerstädtisch zu produzieren - und das bereits seit vielen Jahren. Mittlerweile ist sie auch zu einer beliebten Event-Location geworden.
Für einige Aufregung, vor allem bei den Geschäftstreibenden, sorgt die Umgestaltung der Thaliastraße, denn sie hat sich zur Aufenthaltsstraße entwickelt. Für jeden Baum, der neu gepflanzt wurde, mussten häufig Parkplätze oder Ladeflächen weichen. “Es war ein mutiger Schritt, denn dort sind über 250 Bäume dazu gekommen. Wir sehen, dass die Menschen die neue Aufenthaltsqualität nützen und dass es ihnen Freude bringt”, sagt Bezirksvorsteherin Lamp und betont, dass sie stetig im Austausch mit den Geschäftstreibenden sei. “Ich erlebe immer wieder, dass wir ein Projekt haben mit exakt gleich vielen unterschiedlichen Meinungen zu etwas. Da einen gemeinsamen Nenner zu finden, bedeutet viel Kommunikationsarbeit und es erfordert auch ein Abwägen der Interessen. Was ist für die Mehrheit besser? Und das ist natürlich schon eine Herausforderung”, sagt Lamp.
Aktuell sind 15 Prozent der Menschen in Ottakring aus der EU. 30 Prozent aus Drittländern und 55 Prozent sind Österreicher und Österreicherinnen. "Eine Sache, die mich aus demokratischer Sicht natürlich sehr beschäftigt, ist die Wahlbeteiligung. Im Vergleich zum Jahr 2014 ist sie nämlich gesunken. Das hat einerseits mit dem veränderten Zuzug zu tun, also mit den jeweiligen Staatsangehörigkeiten, und auch mit der Dauer dieser Einbürgerungsverfahren”, sagt Lamp. 2014 waren es 69 Prozent Wahlbeteiligung, 2024 nur noch 60 Prozent. “Ein großer Teil der Menschen, die in Ottakring leben, ist aufgrund der Herkunft nicht wahlberechtigt.” Ganz oft betreffe das auch Jugendliche, die hier aufgewachsen sind und deren Eltern eben nicht wahlberechtigt sind.
Şefik Beyti Özcan sperrt um 21 Uhr seinen Vorarlberger Käsestand am Brunnenmarkt zu. Feierabend. Seine Kunden kommen extra vom Wilhelminenberg herunter, um bei ihm einzukaufen. Darauf ist er stolz.
Kommentare