Wien: 62 Verletzte bei Chemie-Unfall

Die Wiener Rettung zählte insgesamt 62 Verletzte. Der halbe Bezirk Landstraße (inklusive der Südost-Tangente und der U3) wurde zum Sperrgebiet. Rettung, Polizei und Feuerwehr rückten mit allem an, was irgendwann einmal ein Blaulicht auf dem Dach gehabt hatte. Großalarm gab es Dienstagabend am Franzosengraben Nummer 20 rund um das Frigoscandia-Kühlhaus. Giftiger Ammoniakgeruch lag in der Luft. Insgesamt mussten 4000 Menschen in Sicherheit gebracht werden: das Etap-Hotel wurde evakuiert, die Besucher des "Cats"-Musicals im Theaterzelt und von Tim Bendzkos Konzert im Gasometer wurden aus der Gefahrenzone gebracht, das Konzert von Eisbrecher in der Arena abgesagt. "Oh Gott, irgendein Giftgas", rief eine Konzertbesucherin.
Alarm
Ausgelöst hatte den Alarm gegen 19 Uhr Andreas Jelinek, Security-Mitarbeiter des benachbarten Veranstaltungszentrums "Arena": "Die ersten 50 Konzertbesucher waren schon da, dann ist dieser Gestank losgegangen. Wir haben das sogar vor der Firma bemerkt und die Feuerwehr angerufen." Minuten später gab die Feuerwehr Alarmstufe zwei, der Katastrophenzug der Rettung rückte an und hinter den ersten Absperrungen bildeten sich Menschentrauben. Immer wieder dröhnte derselbe Satz aus den Polizeiautos: "Aus Sicherheitsgründen werden Sie aufgefordert, den Ort zu verlassen." Laut Feuerwehr-Offizier Christian Feiler war eine Kühlanlage leck geschlagen und Ammoniak ausgetreten. Der Betreiber des Kühlhauses sprach am Mittwoch von einem Materialfehler an einem Pumpenflansch.
Die
Polizei sperrte die Umgebung ab, erweiterte später den Sperrkreis auf einen Kilometer. Betroffen war etwa die Ab- und Zufahrt St. Marx auf die A 23. Bei der U3 war am Kardinal-Nagl-Platz Endstation.

"Wir wissen nicht, was los ist. Niemand sagt uns was", klagten Manuela Stockinger, 36, und ihr Freund Jürgen Bauer, 41. Wie viele Konzertbesucher des Gasometers versuchten sie trotzdem, hinter die Absperrung zu kommen. Ein Sanitäter sah sich zu drastischen Worten genötigt, um für Ordnung zu sorgen: "Hinter dieser Absperrung ist Gift. Hier kommen Sie nicht durch."
Anrainer wurden per Lautsprecher aufgefordert, die Fenster zu schließen und ihre Wohnungen nicht zu verlassen. Vor den Absperrungen bildeten sich Menschentrauben. "Die Polizei hat uns gerade aus dem Restaurant geholt", sagte ein Mitarbeiter der Pizzeria am Franzosengraben. Nun standen er und die anderen Mitarbeiter ratlos und mit Geschirrtüchern um den Kopf gewickelt vor der Absperrung. "Niemand sagt uns, was los ist. Die einzige Information haben wir übers Radio bekommen", sagte der Koch. Er meinte, es sei zu spät evakuiert worden.
Keine U-Bahn
Ein gespenstisches Bild bot auch die U-Bahn-Station Erdberg. Obwohl diese eigentlich schon gesperrt war, verirrten sich doch noch Menschen über die Polizeiabsperrungen dorthin. "Wir laufen nur noch im Kreis, die Polizei lasst uns nicht in die Schlachthausgasse zu unserer Wohnung. Jetzt suchen wir ein Kaffeehaus", sagte eine junge Frau. Glücken wollte ihr das Vorhaben nicht: Kein einziges Gasthaus war mehr erleuchtet.
Chemiker der Feuerwehr führten Messungen durch. Gegen 21 Uhr war die Gefahr gebannt, das Leck geschlossen. Am späten Abend sollte das
Kühlhaus aber noch entlüftet werden. Zuvor wurden die Besucher von "Cats" mit Bussen der Wiener Linien zur U-Bahn gebracht. Auch die Gäste des Konzertes im Gasometer wurden in Sicherheit gebracht. Erst gegen Mitternacht sollte dann die Entlüftung beginnen.
Was ist Ammoniak?
Bei Ammoniak handelt es sich um ein farbloses Gas mit einem stechenden Geruch. Wenn Menschen NH3 einatmen, kommt es zu Reizungen der Atemwegen, in höherer Konzentration kann es zu Verätzungen, Erstickungsanfällen und Lungenödemen kommen. In der Natur entsteht das Gas laut der Homepage ammoniak.org nur in kleineren Menngen durch Zerfallsprozesse in Laub oder Tierkot. Ammoniak ist allerdings eine der meistproduzierten Chemikalien der Welt.
Der große Vorteil von Ammoniak liege in darin, dass man es als fckw-freies Kühlmittel einsetzen kann. Es wird etwa in Kühltheken großer Supermarktketten und Eislaufhallen und -plätzen verwendet und ist aufgrund seiner physikalischen Eigenschaften herkömmlichen Kühlmitteln überlegen.
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