Nächtlicher Besuch in der Bahnhofshalle

Ein blaues Schild mit der Aufschrift „Wien Meidling“ hängt in einem Bahnhof über einer Menschenmenge.
Test: Was wurde aus dem ÖBB-Versprechen, Bahnhöfe zu öffnen?

Ich mache keine Probleme, deshalb darf ich bleiben“, erzählt Rosta, der die vergangene Nacht in der Wartehalle am Bahnhof Wien-Meidling verbracht hat. In dem verglasten Raum unter den Bahnsteigen ist es angenehm warm. Ein wartender Fahrgast ist auf einer Bank eingeschlafen und schnarcht laut, sonst ist es hier an diesem Dienstagabend ruhig.

Der Beifall war groß, als die ÖBB vergangenen Freitag ankündigten, warme Bahnhofshallen für frierende Obdachlose zu öffnen. Ein KURIER-Lokalaugenschein beweist, die Ansage war mehr als ein bloßer PR-Gag. Auf den Bahnhöfen zeigen die Bundesbahnen dieser Tage tatsächlich viel Verständnis für Obdachlose.

Es sind Menschen wie Rosta, die Bahnhöfe aus verschiedensten Gründen einem Notquartier vorziehen. Und die Sicherheitsleute? „Kein Problem, kein Problem“, beteuert er in gebrochenem Deutsch.

„Unsere Mitarbeiter sind angewiesen, keine Notleidenen hinauszuwerfen“, erklärt ÖBB-Sprecherin Sarah Nettel. Auch am Franz-Josefs-Bahnhof stehen vier beheizte Waggons als Schlafmöglichkeit zur Verfügung. Am Westbahnhof finden Obdachlose wiederum Unterschlupf in alten Zügen. „Wir versuchen, im Anlassfall individuelle Lösungen zu finden.“ So dürfen Obdachlose, die ihr Lager in beheizten Warteräumen aufgeschlagen haben, derzeit die ganze Nacht über dort bleiben.

Schamgefühl

Rosta hat bereits zwei Mal im Warteraum am Meidlinger Bahnhof übernachtet. Seit drei Jahren ist der 53-jährige Tscheche auf Wiens Straßen zu Hause. Er schämt sich dafür, denn fotografieren lassen will er sich nicht. Seine Wangen sind eingefallen, ansonsten sieht man ihm das Leben auf der Straße nicht an. „Ich gehe ins Tageszentrum JOSI duschen und meine Wäsche waschen“, erzählt er. Zwei Mal pro Woche arbeitet er als Straßenkehrer. Miete und Kaution für eine Wohnung kann er mit seinem Gehalt nicht aufbringen. „Kein Problem“, sagt er immer wieder, „kein Problem.“

Die Grüne Sozialsprecherin Birgit Hebein hat mit den ÖBB die Öffnung der Wartehallen ausverhandelt. Sie freut sich, dass die Bahn Nachsicht mit Menschen wie Rosta zeigt: „Es gibt ein gemeinsames Ziel“, sagt sie. „Und das heißt: Niemand darf erfrieren.“

Kommentare