Missbrauch: Gewerkschaft "fassungslos"

Titelseite eines Artikels über einen Politiker unter Missbrauchsverdacht.
Nach den Missbrauchsvorwürfen gegen einen ehemaligen Funktionär will die FSG den Anschuldigungen nachgehen.

Bei uns herrscht großes Erstaunen, was da alles hervorkommt“, sagt Gottfried Sommer, der Landessekretär der FSG (Fraktion sozialdemokratischer Gewerkschafter) in Wien. Zwei Vorwürfe gegen den ehemaligen (und 1991 verstorbenen) SPÖ-Gemeinderat und FSG-Gewerkschaftsfunktionär P. machte der KURIER publik: In den 1970er-Jahren soll P. als Gewerkschaftsbetreuer einen Minderjährigen mehrmals sexuell missbraucht haben. Und später, Mitte der 80er, wird P. vorgeworfen, einem mittellosen 19-Jährigen Job und Wohnung verschafft zu haben – gegen sexuelle Dienstleistungen.

Landessekretär Sommer kannte P. persönlich. Schon als Jugendsekretär habe er ihn 1982 kennengelernt. „Ich bin etwas fassungslos“, sagt er zu den Anschuldigungen. Zahlreiche Funktionäre haben sich nach den Berichten bei ihm gemeldet. „Die wollen wissen, was da los ist.“ Auch ältere Mitglieder, die schon zu P.s Zeiten aktiv waren, suchen den Kontakt: „Die sind über die Vorwürfe sehr verwundert.“ Auch Sommer selbst sagt, er habe an P. keine pädophilen Neigungen erkannt.

Die Anschuldigungen gegen den verstorbenen FSG-Funktionär P. seien „Beschuldigungen, die ernst zu nehmen sind“, erklärt Christian Meidlinger, geschäftsführender Vorsitzender der FSG Wien. Eine Funktionärsschule der FSG ist nach dem verstorbenen Politiker benannt. „Sollten sich die Verdachtsmomente erhärten, werden wir die Schule umbenennen“, sagt Meidlinger.

Die Gewerkschaft hat die Causa nach ganz oben weitergereicht. „Nähere Fragen bitte an das Büro des ÖGB-Präsidenten“, teilt Landessekretär Sommer mit. ÖGB-Präsident Erich Foglar ist nach Auskunft seines Büros jedoch erst am Montag wieder erreichbar.

ÖVP-Offensive In die Offensive geht nun die Wiener Volkspartei. Gestern stellten drei Gemeinderäte eine Anfrage an Bürgermeister Michael Häupl. Unter anderem will die ÖVP wissen, ob die Stadt Wien bereits 2010 über „schwerwiegende strafrechtliche Vorwürfe wegen mutmaßlichen sexuellen Missbrauchs gegen P.“ Bescheid wusste, wie der KURIER berichtete, und ob Häupl weitere Missbrauchsvorwürfe bekannt sind. „Es steht zu befürchten, dass es weitere Opfer gibt“, sagt Gemeinderätin Isabella Leeb (ÖVP).

Auf der Suche nach drei verschollenen Anzeigen

Sie ist verschollen. Jene Anzeige, die die Stadt Wien vor zwei Jahren an die Staatsanwaltschaft Wien weitergeleitet hat, ist dort nicht auffindbar. Pikantes Detail: Bei dem in der Anzeige wegen sexuellen Missbrauchs Beschuldigten handelt es sich um den ehemaligen SPÖ-Politiker P.

Das ist aber nicht die einzige Anzeige, die die Staatsanwaltschaft nicht findet. Ein ehemaliges Heimkind gibt an, im Jahr 1967 einen Erzieher wegen Körperverletzung angezeigt zu haben. „Gegen den Erzieher liegt keine Anzeige vor“, sagt der Sprecher der Staatsanwaltschaft Wien, Thomas Vecsey. Da der Vorfall schon mehr als 30 Jahre zurückliegt, könne der Akt mittlerweile auch vernichtet worden sein.

Im Jahr 1982 kündigte ein Staatsanwalt in einem Gerichtsverfahren gegen drei Heimzöglinge Untersuchungen gegen deren Erzieher vom Kinderheim Wilhelminenberg an. Eine der Jugendlichen hatte ausgesagt, sich die Methode, auf andere mit nassen Handtüchern einzuprügeln, „von einem Erzieher am Wilhelminenberg“ abgeschaut zu haben. Der Staatsanwalt kündigte „Maßnahmen“ gegen Erzieher H. (Name der Redaktion bekannt, er ist heute noch als Gewerkschaftsfunktionär tätig) an. Wie diese aussahen, ist nicht bekannt. Denn auch in diesem Fall liegt keine Anzeige vor.

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