Kledering: Eine Lehre am Bahnhof neben dem Zentralfriedhof

Drei Personen stehen auf einer Terrasse, im Hintergrund ist eine Lokomotive zu sehen.
Die ÖBB bilden unter anderem Speditionskaufleute aus. Auch auf dem Zentralverschiebebahnhof lernen sie ihr Handwerk.
Von Uwe Mauch

Aussteigen bei der Haltestelle Zentralfriedhof!

Angehende Speditionskaufleute der ÖBB Rail Cargo Group lernen en passant auch etwas über den Wiener Humor. Irgendwer auf dem nur wenige Schritte vom Friedhof entfernten Zentralverschiebebahnhof wird ihnen sicher erklären: „Wir haben es hier eigentlich sehr gut, denn die Anrainer beschweren sich nie.“

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Wie von Geisterhand finden hier Lokomotiven und Waggons ihren Weg.

Der andere Verschub

„Zentralverschieber“ in Form von Arbeitern mit Helmen und Warnwesten sind auf dem riesigen Güterbahnhof in Kledering kaum zu sehen. Die Güterzüge werden automatisch von einem Gleis aufs andere dirigiert.

Dafür sind hier erfahrene ÖBB-Mitarbeiter wie Franz Heißenberger im Einsatz. Er ist der Ausbildungsleiter für künftige Logistikprofis. Seit inzwischen 25 Jahren bildet die Bahn ihre eigenen Bahn-Speditionskaufleute aus.

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Ausbilder Franz Heißenberger hat eine Freude mit den Lehrlingen, die bei ihm ihre Karriere starten.

Mehr als 800 Lehrlinge sind schon einmal bei der Haltestelle Zentralfriedhof ausgestiegen. Acht von zehn wurden dann auch von den ÖBB übernommen.

Heißenberger macht die Aufgabe sichtlich Freude: „Wenn man sieht, wie sich unsere Lehrlinge nach ihrer Lehre entwickeln, zum Teil auch in Führungspositionen, dann ist das schon schön.“

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Patrick Vietze begann im Jahr 2000 seine Lehre als Speditionskaufmann für die ÖBB.

Ein Lehrling der ersten Stunde ist Patrick Vietze. Der Niederösterreicher kam nach dem Polytechnikum in Hollabrunn im Jahr 2000 zur Bahn. Heute hat er als Key-Account-Manager (wo ist nur die Zeit geblieben, als man bei der Bahn einfach nur Schaffner oder Lokführer war!) mit Kunden zu tun, die ihre Konsumgüter auf der Schiene transportieren wollen: „Vom Tomatensugo bis zum Einbauschrank.“

Was er an seinem Beruf schätzt, erklärt Vietze so: „Es ist in der Logistik kein Tag wie der andere. Jede kleine Verschiebung erfordert von uns eine schnelle Reaktion, weil wir umplanen müssen.“ Nebenbei hat der 39-Jährige im Außendienst Österreich besser kennengelernt, dazu auch einige Nachbarländer, in denen sein Arbeitgeber aktiv ist.

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Verena Schultz macht eine "Lehre mit Matura" und möchte danach weiter arbeiten und auch studieren.

Sie bewegen viel

„Eine zentrale Motivation für die Berufsentscheidung ist der Wunsch, mit seiner Arbeit einen Beitrag für den Klimaschutz zu leisten“, sagt der Ausbildungsleiter Franz Heißenberger. Jede Palette mehr auf einem Waggon ist eine weniger auf der Straße.

Auch wenn sie die Arbeit zu großen Teilen klassisch im Büro erledigt, sei das nie abstrakt: „Wir bewegen Tag für Tag viel“, kann Verena Schultz bereits aus eigener Erfahrung sagen. Ein Blick über die weite Landschaft an Gleisen im Osten von Wien bestätigt ihr Credo.

In Anlehnung an einen Uralt-Song von Wolfgang Ambros ist man versucht, zu sagen: „Es lebe der Zentralverschiebebahnhof!“

Nach drei Lehrjahren hat Verena Schultz ihren Lehrbrief in der Tasche. Nun lässt sie sich in einem weiteren Jahr noch zur Logistikerin ausbilden. Schultz wechselte mit ihrer Zwillingsschwester nach der sechsten Klasse Gymnasium zu den ÖBB. Beide machen derzeit eine „Lehre mit Matura“, womit sie schon in wenigen Monaten bessere Berufschancen haben sollten als mit einem reinen Schulabschluss.

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Die Gleise des Zentralverschiebebahnhofs sind insgesamt 120 Kilometer lang.

37.000 Bremselemente

Als Lehrling hat Verena Schultz mehrere Bereiche des Transportkonzerns von innen kennengelernt: „Ich habe nebenbei auch mehr Verständnis für die internen Abläufe der Bahn erhalten.“

Ein Highlight der Lehre war ein vierwöchiger Aufenthalt in Köln, wo sie den komplexen Verschub von Güterzügen aus dem Ruhrgebiet begreifen lernte.

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Es lebe der Zentralverschiebebahnhof! Hier ist Stimmung – mehr als am Friedhof nebenan.

Auch Österreichs größter Verschiebebahnhof hat ein paar Superlative zu bieten. Er wurde vor bald 40 Jahren eröffnet, damals war noch Helmut Zilk (SPÖ) Bürgermeister von Wien. Seine Gleise sind 120 Kilometer lang und mit 37.000 Bremselementen versehen. Rund 80 Züge fahren an einem Tag in Kledering ein, 65 Züge fahren wieder aus.

Was die Logistik leistet, muss Franz Heißenberger seinem Lehrling nicht mehr erklären, „merken wir erst dann, wenn sie ausfällt“.

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